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Wenn Hitler 13 Minuten länger geblieben wäre. Heiner WelterЧитать онлайн книгу.

Wenn Hitler 13 Minuten länger geblieben wäre - Heiner Welter


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      Klein-Carla mit den besten Wünschen

      für eine glückliche Zukunft.

      Heiner Welter, Jahrgang 1948, Studium der Medizin, Literatur- und Theaterwissenschaften 1968 – 75 an der Universität Köln. Nach Staatsexamen und Promotion Ausbildung zum Chirurgen an der Ludwig-Maximilians-Universität München: dort Habilitation 1986, Professur 1994. Seit 1989 als Chirurg tätig. 1993 – 98 Studium der Neueren und Bayerischen Geschichte (W. Ziegler) an der LMU. Verheiratet mit der Radiologin Dr. Gabriele Conradi. Lebt in Krailling. Autor zahlreicher medizinische Publikationen, Buchbeiträge und Ausbildungsfilme. In Lindemanns Bibliothek erschien 2016 der Roman „Das verschwundene Grab der Manns“ (2. Aufl. 2017).

      Eine Sammlung mit Essays ist in Vorbereitung.

      Heiner Welter

      Wenn Hitler

      13 Minuten länger

      geblieben wäre

      Novelle

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      1. Der entscheidende Abend

      Der Kriegsbeginn veränderte meine Arbeit grundsätzlich. Ausgerechnet mir fiel beim Völkischen Beobachter die Kriegsberichterstattung zu. Gerade mir, der aufgrund seines Klumpfußes als wehruntauglich – viele meiner Zeitgenossen würden sagen wehrunwürdig – beurteilt worden war. Aber: da gab es prominente Beispiele dafür, dachte ich mir, dass man trotz einer solchen Behinderung in Wort und Schrift Großes vollbringen kann.

      Ein wichtiges Manuskript hatte ich an diesem Tag, dem 8. November 1939, in meinem Büro in der Schellingstraße zurückgelassen. Ob ich wohl in diesem Artikel die gewünschten positiven Darstellungen genügend herausgearbeitet hatte? Ich werde wohl an mir und den Texten noch eifrig feilen müssen? Unser Propagandaminister legt, das hatte er erst kürzlich vor Journalisten bei der Reichspressekonferenz betont, gerade in Kriegszeiten großen Wert auf diese Art der Berichterstattung. Während natürlich der Völkische Beobachter bisher keine Probleme mit der richtigen Darstellung hatte, mussten sich etwa Redakteure der Deutschen Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Zeitung und des Berliner Tageblatts wiederholt deutliche Kritik und Änderungswünsche anhören. Dies sollte sich nicht zu häufig wiederholen, immerhin ist der Blätterwald in Großdeutschland dicht genug. Da könnte man durchaus auf die eine oder andere Gazette verzichten.

      Meine Gedanken drehten sich weiter um die täglich stattfindende Reichspressekonferenz. Ich würde in den nächsten Monaten häufiger nach Berlin fahren, um dort auch für Bayern die Anweisungen zu den geänderten Informationsrichtlinien unter Kriegsbedingungen zu erhalten. Richtig, ich werde häufiger im Reichsministerium für Propaganda sein und mir in Berlin sogar eine Zweitwohnung zulegen können. Ja, können, sagte ich zu mir, das klingt besser als müssen ...

      Bei diesem Gedanken wurden meine Schritte wie von fremder Macht gesteuert langsamer. Mir blieb unklar, weshalb ich schließlich stehen blieb. So würde ich die Rede des Führers nie pünktlich erreichen. Sollte ich den Bürgerbräukeller in der Rosenheimer Straße zu spät erreichen, zöge das nur Gerede unter den Parteigenossen und Kollegen der schreibenden Zunft nach sich. Zu viele kannten mich, der ich immerhin seit 1921 Parteimitglied war und als Journalist noch unter Dietrich Eckart beim Völkischen Beobachter gearbeitet hatte. In dieser kurzen Phase bis zu seinem Tod an Weihnachten 1923 galt ich sogar ein wenig als der Liebling des Chefredakteurs. Kurz bevor er starb, hatte er noch meine Arbeitslosigkeit verhindert, indem er Frau Bechstein, eine Gönnerin des Völkischen Beobachters, überzeugen konnte, mich als eloquenten und sprachgewandten Privatsekretär einzustellen. Die Zeit bei der guten Helene half mir nicht nur wirtschaftlich auf die Beine, nein, in der Zeit des Parteiverbots und der Einstellung des Völkischen Beobachters lernte ich die Strukturen hinter der Fassade unserer Bewegung genauer kennen. Nach dem 26. Februar 1925 konnte ich meine Schreibe wieder voll ausleben, verlor aber nie den Kontakt zu den guten Bechsteins.

      Weshalb ließen mich diese Überlegungen wie versteinert zurück? Wo war ich eigentlich? Schwabing lag schon lange hinter mir. Die vor mir liegende Straße – erst vor einer Minute hatte ich die Mariensäule vor dem Münchner Rathaus passiert – lag in völliger Dunkelheit. Das Stadtbild hatte sich in den letzten beiden Monaten grundlegend verändert. Obwohl noch kein feindliches Flugzeug über der Hauptstadt der Bewegung gesichtet worden war, befolgten alle Volksgenossen die Regeln des Luftschutzes. Zahlreich geklebte Plakate verdeutlichten die tödliche Gefahr aus der Luft. Überall waren diese notwendigen Warnungen zu sehen: Die Litfaßsäule vor mir half mir bei der Orientierung. Meine Taschenlampe, nur kurz angeschaltet, zeigte mir die Reklame der „Schneider Weißen“ besonders eindrucksvoll, und das auch noch direkt vor dem gleichnamigen Brauhaus. Ich konnte mich nur im Tal befinden ...

      Nein, sagte ich mir, ich trödelte vor mich hin, anstatt zumindest schneller zu gehen. Als Mitglied der Turnabteilung des TSV 1860 München war ich doch trotz meiner Behinderung sportlich gut geübt. Zwar hatte ich wegen meiner orthopädischen Spezialschuhe den Langstreckenlauf eher vernachlässigt, aber dafür hatte ich mich durch Radfahren und Gewichtheben fit gehalten. Gelaufen war ich natürlich auch, dies aber nur auf einsamen Waldwegen, ohne Publikum; niemand stellt doch gerne seine Behinderung zur Schau.

      Der Weg von der Schellingstraße zur Rosenheimer dehnte sich mir allmählich zur Marathondistanz. Die letzte Steigung, gleich hinter der Isar, wollte ich, da ich sonst sicher die Hälfte der Rede verpassen würde, mehr oder weniger sprintend – zumindest kam mir meine Fortbewegung so vor – nehmen. Jedoch schon nach der halben Strecke blieb ich erneut, diesmal keuchend und jämmerlich hustend, stehen. Nachdem ich in mein Taschentuch gespuckt hatte, durchfuhr es mich wie mit einem Messer. Neben dem Schleim zeigten sich Blutfäden, wie ich sie bei meiner Mutter gesehen hatte. Danach waren ihr nur noch zwanzig Monate geblieben. Doch mit diesen Gedanken konnte und wollte ich mich in dieser für unser Volk so wichtigen Zeit nicht aufhalten, ich musste weiter.

      Nun begann auch noch der verhasste Nieselregen des Novembers, eines Novembers, der mir später als ungewöhnlich mild im Gedächtnis bleiben sollte.

      Wäre nicht dieses wichtige Datum, ich hätte mich heute schnell mit einer guten Flasche Wein ins Bett verdrückt. So aber drängte ich mich Schutz suchend entlang der Häuserfronten der rechten Straßenseite von einem Hauseingang zum nächsten. Das Portal zum Bürgerbräukeller erkannte ich bereits, als ich an einer unbeleuchteten Tür mit einer Person zusammenstieß, die völlig in Dunkelheit gehüllt war, ja – das war mein erster Gedanke –, die so etwas wie Finsternis ausstrahlte. Aber, gibt es das wirklich?

      Aus dem Hintergrund jedoch – der Eingang führte auf einen erstaunlich hell erleuchteten Hinterhof – stand genügend Licht zur Verfügung. Der Fremde verschwand jedoch genauso schnell, wie er sich vor mir aufgebaut hatte. Kurz sah ich noch seine Silhouette vor dem Hintergrund des Hinterhofs, dann schien er sich im grellen Licht aufzulösen. Ein Erkennen blieb unmöglich. Plötzlich durchfuhr es mich. Wir befinden uns im Krieg. Welcher Verrückte verstieß hier so eklatant gegen die Verdunklungsregeln? Die Volksgenossen waren doch intensiv auf die Gefahren des Bombenkriegs aufmerksam gemacht worden, und dann ... Kurz nur blickte ich in meiner Verwirrtheit zu meinem Ziel hinüber, dem Bürgerbräukeller, da knackte es im Durchgang zum Hinterhof. Als ich meinen Blick nach rechts zum Hof zurückwendete, blickte ich nur noch in eine dunkle Leere. Mich schauderte und jede Eile fiel von mir. Zögerlich und langsam ging ich den Bürgersteig entlang, näherte mich dabei im Schritttempo dem Eingang des Bürgerbräukellers. Ja, das würde ich nie vergessen, hier hatte unsere glorreiche Bewegung ihren Anfang genommen!

      Völlig unklar blieb mir in dieser Minute, weshalb mein Eifer, dieses Ziel zu erreichen, erneut so abrupt erlahmte. Es stand doch die Rede des Führers, seine erste Rede in München seit Kriegsbeginn, an. Wir fieberten schon seit Tagen diesem Großereignis entgegen. Zwei meiner Kollegen saßen bereits seit Stunden auf besten Plätzen, um Fotos zu schießen und kein Wort des Führers zu verpassen. Mir aber war heute die Rolle des verehrenden Zuhörers – ganz ohne den üblichen Schreibdruck des Journalisten – um einiges lieber. So würde ich die eine oder andere Maß trinken und den 9. November in bester Stimmung mit begeisterten Volksgenossen begehen. Hoffentlich würde ich nun, da ich doch mindestens eine halbe Stunde zu spät kam, noch


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