Giganten. Ernst HofackerЧитать онлайн книгу.
James. Der junge Chuck-Berry-Freak dringt so immer tiefer ein in die damals für einen weißen britischen Jugendlichen noch reichlich mysteriöse Welt der schwarzen Musik. Und – von nicht zu unterschätzender Bedeutung – Richards und Jones entwickeln eine grundlegende musikalische Idee der Rolling Stones: Sie verweben ihre Gitarren miteinander, bis die zwei Instrumente wie eins klingen. Richards selbst erklärte das später so: »Ab einem gewissen Punkt weißt du nicht mehr, wer was macht. Da ist nichts mehr auseinander zu halten.« Die frühen Stones sind eine astreine Zwei-Gitarren-Band, die sich einen Dreck um die klassische Aufteilung von Rhythmus- und Leadspiel kümmert. Richards: »Du kannst ja auch nicht in einen Laden gehen und eine Leadgitarre kaufen. Du bist Gitarrist und spielst Gitarre.« Jeder macht alles, mal spielt der eine ein paar Slide-Licks, mal der andere ein paar Boogie-Muster. Exemplarisch für dieses frühe Zusammenspiel der String Twins Jones/Richards: It’s All Over Now von 1964, wo Jones’ cleane Akkorde und Richards’ sauber gehackte Rhythmus-Riffs fast unentwirrbar zusammenfließen.
Interessanterweise verliert Richards genau in dem Moment seinen kongenialen Gitarrenpartner Jones, als er beginnt, seinen musikalischen Horizont und damit seine Fähigkeiten als Gitarrist zu erweitern. Der Neue bei den Stones, der 1969 angeheuerte, trotz seiner jungen Jahre mit allen Blueswassern gewaschene Mick Taylor, entspricht eher dem klassischen Typus des Leadgitarristen. Sein Ton ist elegant, sein Spiel virtuos, seine Technik brillant. Der Vorteil: Richards lernt jede Menge von Taylor. Und er kann in den späten Sechziger-, frühen Siebzigerjahren, ungestört vom weit unten in der Bandhierarchie angesiedelten Gitarrenpartner, seine Architektur des Stones-Sounds weiterentwickeln. Wie sehr die Band musikalisch Richards’ Vision entspricht, zeigt sein gebetsmühlenartig wiederholtes Bekenntnis: »Wozu sollte ich ein Soloalbum machen? Es würde sich doch nur wie ein Stones-Album anhören.« Erst 1987 nimmt er aus Frust über Jaggers Solo-Eskapaden seine eigene Soloplatte in Angriff.
Der Nachteil im Zusammenspiel mit Mick Taylor: Zwar schätzt Richards dessen Virtuosität sehr wohl, allerdings muss er sich neben dem begnadeten Solisten zwangsläufig wieder eher auf die Rhythmusarbeit beschränken und mit der statischen Aufteilung in Lead- und Rhythmusgitarre abfinden. Seit Ron Wood den 1974 ausgestiegenen Taylor ersetzt hat, kann Richards seine ursprüngliche Idee der ineinanderfließenden Gitarren oder »ancient form of weaving«, wie er es nennt, wieder verfolgen. Er erklärt den Unterschied zwischen Taylor und Wood so: »Mick gehört zu den Gitarristen, mit denen man nie das hinbekommt, was mit Ronnie möglich ist, nämlich sich gegenseitig die Bälle zuzuspielen.«
Konzert in der Berliner Waldbühne, 1998: Die Stones spielen Thief In The Night, die Tonart ist eine gebräuchliche, G-Dur. Richards singt und streut zwischen die Akkorde seine typischen Licks. Plötzlich verrutscht er um einen ganzen Bund nach oben, spielt exakt einen Halbton über dem Rest der Band – mit entsprechend misstönendem Effekt. Erschrockene Gesichter allenthalben, Keith grinst linkisch, schlendert zurück in die zweite Reihe. Wenige Monate später: Der Autor interviewt den Meister in New York. Frage: Wie kommt es, dass dir nach all den Jahren solche Anfänger-Fehler unterlaufen? Keith: »Du glaubst gar nicht, wie nass so ein Griffbrett sein kann, wenn es regnet.« Aber Keith, in Berlin war bestes Sommerwetter! »Okay, hör zu: Auf der Bühne zählt nur der Moment! Im Unterschied zum Studio hast du dort nur einen Take. Live spielen ist eben gefährlich, jederzeit kann etwas schief gehen. Vielleicht macht es ja deshalb soviel Spaß.« Eine Anekdote, die Richards’ Philosophie als Musiker auf den Punkt bringt. Wer braucht auswendig gelernte Kunststücke? Wer will dröges Handwerk mit Netz und doppeltem Boden? Richards’ Attitüde ist die des Jazzers. Eine Haltung, die sich auf den von biederen Akkordarbeitern und eitlen Posern dominierten Rockbühnen dieser Welt nur noch selten findet. Und die sich zum Beispiel in den Sessions auf Four Flicks (Extreme Western Grip, Well Well) in Reinkultur und phasenweise natürlich bei den Konzerten beobachten lässt (in dieser Hinsicht unbedingt zu empfehlen: Martin Scorseses meisterhaftes Stones-Porträt Shine A Light von 2008). So betrachtet, sind die Rolling Stones im tiefsten Grunde ihres Herzens eine Jazzband und Keith Richards näher an Louis Armstrong als an Jimi Hendrix oder Stevie Ray Vaughan. Darin ist er Leuten wie John Lee Hooker oder Muddy Waters, die sich um das klassische Bluesschema nie sonderlich scherten, nicht unähnlich.
Five Strings - Richards’ Gitarren: Das Image vieler klassischer E-Gitarrenhelden ist entweder mit der Fender Stratocaster oder Gibsons Les Paul verbunden. Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck und Rory Gallagher selig etwa gehören zur Strat-Fraktion, Jimmy Page, Paul Kossoff und Duane Allman, um nur ein paar zu nennen, sind Paula-Fans. Mit der Fender Telecaster indes sind, wenn wir von Status Quo und weniger bekannten Virtuosen wie Roy Buchanan oder Mick Ronson mal absehen, eigentlich nur zwei Leute wirklich berühmt geworden: Bruce Springsteen und Keith Richards – beide übrigens Spieler, die weniger Wert auf Virtuosität sowie klang- und spieltechnische Innovation legen als auf einen klaren Vintage Sound. Dabei kommt Keith erst spät auf den Geschmack. Als er die Tele für sich entdeckt, müssen sich die Stones schon Rock-Opas schimpfen lassen. Denn erst ab der 1972er-US-Tournee setzt Richards diese älteste in Serie gebaute E-Gitarre regelmäßig auf der Bühne und im Studio ein.
Vorher, in den Sechzigerjahren, benutzt er andere Gitarren. Zunächst, in den frühen Jahren, eine Harmony Meteor Sunburst, eine damals preiswerte US-Alternative zur teuren Gibson 335. Ab etwa 1965 wird Richards, wie auch die Beatles, von Epiphone mit dem damals populären Casino-Modell ausgestattet, im Prinzip auch dies eine 335-Variante, allerdings ohne Sustainblock und mit P-90-»Eselsohr«-Pickups statt Humbuckern. Wenig später dann besitzt er seine erste Les Paul, eine Standard Sunburst mit Bigsby-Vibratosystem aus den späten Fünfzigerjahren. Die Les Paul gehört für die nächsten Jahre zu seinen Hauptinstrumenten, häufig benutzt er zudem eine schwarze Les Paul Custom, die so genannte »Black Beauty« mit drei (!) doppelspuligen Tonabnehmern, zu hören auf Beggars Banquet. Etwa zur selben Zeit stößt er überdies auf ein obskures Instrument, die nach seinem Erfinder Dan Armstrong benannte Plexiglas-E-Gitarre aus dem Hause Ampeg. Sie gehört neben den Les Pauls für einige Jahre zu seinem Standard-Handwerkszeug. Heute wird die Ampeg Dan Armstrong übrigens wieder hergestellt, Ron Wood benutzt sie gelegentlich, und auch Dave Grohl spielt eine.
Als Richards ab Ende der Sechzigerjahre häufiger mit offenen Tunings spielt, ärgert er sich darüber, dass die im G-Tuning um einen Ganzton heruntergestimmte dicke E-Saite wegen ihrer nun sehr geringen Spannung reichlich störend dröhnt. Keiths Lösung: Weg damit! Zumal drei Dominanten im Akkord eine zuviel sind. Folgerichtig taucht die Idee auf, eine echte Fünf-Saiten-Gitarre zu bauen, die es bis dahin nicht gibt.
Während der Aufnahmen zu Exile On Main St. lernt Keith den Gitarrenbauer Ted Newman-Jones III kennen, dem er den Auftrag gibt, ein solches Instrument zu bauen. Die Schwierigkeit dabei: Eine Fünfsaitige braucht nicht nur fünfpolige Tonabnehmer, sie benötigt auch einen speziellen Sattel, eine spezielle Bridge und womöglich auch eine andere Griffbrett-Breite. Richards spielt das Wunderwerk aus der Werkstatt von Newman-Jones eine Zeit lang, unter anderem auf der US-Tournee 1972, allerdings wird die Gitarre sehr bald gestohlen. Seit Mitte der Siebzigerjahre kristallisiert sich aber immer stärker Richards’ Vorliebe für die klobige und an sich wenig vielseitige Telecaster heraus. Sein favorisiertes Exemplar blieb bis heute ein butterscotch-blondes Modell aus den frühen Fünfzigerjahren, das er auf den Namen »Micawber« tauft. Er benutzt sie ausschließlich für Songs in Open G. Ihre Besonderheiten: Sie hat im Unterschied zum Serienmodell einen PAF Humbucker in der Halsposition, nachträglich eingebaute Mechaniken sowie eine nicht originale Messingbrücke.
Bis in die Achtzigerjahre benutzt er zudem oft eine schwarze Telecaster Custom von 1972. Sie, »Micawber« und Keiths zweitliebste Tele (»Malcolm«), ebenfalls aus den Fünfzigern, jedoch mit Naturfinish, sowie eine weitere Sunburst Tele, Baujahr 1967, gehören bis heute zu seinen wichtigsten Bühnengitarren. Für Standardstimmungen hat er lange Zeit, von 1989 bis 1995, eine weiße Music Man Silhouette, eingesetzt, der er immerhin attestiert, es qualitätsmäßig als erste Gitarre seit Jahrzehnten mit den Fünfzigerjahre-Klassikern von Fender und Gibson aufnehmen zu können. Während der letzten Welttourneen sieht man ihn immer häufiger mit zwei Gibson Semi Acoustics. Die eine ist eine Cherry Red ES-355, die andere eine schwarze ES-355 (mit großem Crown Inlay am Headstock). Beide Gitarren sind mit Bigsby-Systemen ausgestattet. Keith benutzte die 355 auf der Licks-Tour besonders gerne, etwa bei Songs wie Gimme Shelter, It’s Only Rock’n’Roll, Satisfaction oder Rock’s Off. Überdies