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Giganten. Ernst HofackerЧитать онлайн книгу.

Giganten - Ernst Hofacker


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dreißig Jahren entwickelt, seine großen Klassiker in den frühen Fünfzigern produziert und seinen Status als Säulenheiliger der Rockmusik seit Ewigkeiten inne. Aber: Er hat ein Leben lang Musik gemacht und dabei in unzähligen Konzerten eine kraftvolle Performance und Routine entwickelt, von der die Rockkids nur lernen können. Einer seiner gelehrigsten Schüler, der texanische Gitarrist Johnny Winter, erkennt das und tut, was zu tun ist: Er bringt Muddy im Oktober 1976 mit alten Weggefährten wie dem Harpvirtuosen James Cotton und dem Pianisten Pinetop Perkins zusammen, verzichtet auf jegliche Anbiederung an den Zeitgeschmack und lässt die alten Löwen noch einmal aus dem Käfig – laut, live und ohne Netz oder doppelten Boden. Dabei verzichtet er auf nachträgliche Korrekturen des knorrig-kraftvollen Bandsounds und setzt voll auf die pure Kraft der Veteranen-Performance (die er freilich mit seiner Gitarre selbst kräftig befeuert). Das Ergebnis ist Hard Again, ein triumphales Comeback, das Muddys Karriere revitalisiert, ihm einen Grammy einbringt und den Auftakt bildet zu einer Trilogie, die sich mit I’m Ready und King Bee vollendet.

      Während in England der Punk tobt, ist Muddy plötzlich wieder voll da – in einem Alter, in dem sich andere in die Rente verabschieden. Da ist es nur recht und billig, wenn ihm die inzwischen selbst in die Jahre gekommenen Rolling Stones im November 1981 in Chicagos Checkerboard Lounge ihre Aufwartung machen. Einst hatte deren Generation den Blues von Muddy übernommen, nun waren sie selbst an der Reihe, das Erbe weiterzureichen. Muddy sieht es mit weisem Lächeln – the blues had a baby and they named it Rock’n’Roll.

      Nur anderthalb Jahre nach diesem denkwürdigen Abend in der Checkerboard Lounge war Muddy Waters tot. Am 30. April 1983 erlag er in seinem Haus in Westmont, Illinois, einem Vorort von Chicago, den Folgen einer Lungenkrebserkrankung. Gerade siebzig Jahre war er alt geworden. Seinen Job hatte er getan, besser wohl als alle anderen. Denn seine Musik, der urbane, elektrifizierte Chicago Blues, bildete die vielleicht wichtigste Grundlage des Rock. Und damit das Rückgrat einer musikalischen Kultur, die wie keine andere das jugendliche Lebensgefühl in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägte.

      Heute, bald 30 Jahre nach Muddy Waters’ Tod, ist der Blues in den dominanten Stilen der modernen Popmusik vielleicht nicht mehr so deutlich zu vernehmen wie zu Lebzeiten dieses Ausnahmemusikers, trotzdem aber ist er eingebrannt in die musikalische DNA der Generation, die Bühnen und Charts des 21. Jahrhunderts bevölkert. Für die Rocker gilt das nicht weniger als für HipHopper und auch für diejenigen, die von den glorreichen Tagen des Hoochie Coochie Man auf der Southside von Chicago nie gehört haben.

      Empfehlenswert:

      Muddy Waters – His Best 1947 To 1955

      Bis weit in die Fünfzigerjahre hinein veröffentlichten Künstler ihre Musik in der Regel auf Singles, also kleinen 45er-Schallplatten, die Langspielplatte setzte sich erst im Laufe der Sechzigerjahre als dominantes Medium durch. Hier versammelt Chess die großen Erfolge von Muddy Waters zum ersten Mal auf einem Album. Zu hören sind die frühen Singles des Mannes aus Clarkdale: Rauer, archetypischer Chicago Blues, den er zumeist mit seiner Band, bestehend aus Little Walter, Jimmy Rogers, Otis Spann, Elgin Evands und Ernest Crawford, beziehungsweise Willie Dixon, aufnahm. Später hundertfach gecoverte Klassiker wie I Can’t Be Satisfied, Baby Please Don’t Go, I’m Your Hoochie Coochie Man oder Mannish Boy im Original – archaisch, vital, mit unbändiger Kraft. Aufnahmen wie diese bildeten ein Jahrzehnt später den Bauplan des Blues-beeinflussten Rock.

      Folk Singer (1964)

      Zu Beginn der Sechzigerjahre waren die Originale des Chicago Blues ins Abseits geraten. Die jungen Musiker der sogenannten Britischen Invasion hatten den Blues aktualisiert und in aufregenden Pop verwandelt, die schwarze Musik wiederum hatte sich zum Soul entwickelt und junge Label wie Motown und Stax waren drauf und dran, den Soul zum wichtigen Pop-Faktor zu veredeln. Für die alten Bluesleute interessierten sich höchstens noch akademische Folk-Forscher. Muddy Waters zog daraus die Konsequenz und spielte 1963 einige seiner Klassiker in rein akustischen Arrangements neu ein. Seinerzeit war auch diesem Projekt kein großer Erfolg auf dem Plattenmarkt beschieden, dafür aber überzeugt das Album bis heute durch seine feierliche Intensität – Blues von geradezu kammermusikalischer Qualität.

      Hard Again (1977)

      1976: Im Herbst seiner langen Karriere traf Muddy Waters auf den texanischen Gitarristen Johnny Winter. Winter nahm die inzwischen 62-jährige Blueslegende unter seine Fittiche, stellte eine passende, zu Teil aus Waters’ alten Weggefährten bestehende Band zusammen und ließ die Veteranen in einem kleinen Studio in Westport, Connecticut, von der Leine. Das Repertoire, darunter Oldies wie Mannish Boy und I Want To Be Loved, war nicht neu, wohl aber die ungeheure Dynamik, die Spontaneität und die hörbare Begeisterung, mit der hier alle Beteiligten zur Sache gingen. Schon lange nicht mehr hatte man Waters mit dermaßen gewaltiger Kraft singen und spielen gehört. Das Album läutete denn auch ein triumphales Comeback ein. Hard Again zeigt einen Elder Statesman des Blues, der auch einer nachgewachsenen Rock-Generation noch mächtig unter die Haut fahren konnte.

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      GRANDADDY GUITAR

      B. B. King – Duett mit Lucille

       Längst hat der Blues seinen Platz in den vornehmen Konzertsälen gefunden. Zum Beispiel in der Philharmonie des Münchner Gasteigs, durch die an diesem Abend, irgendwann Mitte der Neunzigerjahre, der erdig schwere Groove einer vielköpfigen Band rollt. Er strotzt vor Vitalität, stampft mit dem Temperament einen jungen Pferdes in den Saal und bleibt dabei doch präzise wie ein Seziermesser. Die Männer in ihren gepflegten Anzügen, Drummer, Bassist, Gitarrist, drei Bläser und der Mann am Klavier, knüpfen einen dichten und mächtigen Klangteppich. Keiner von ihnen drängt sich ins Rampenlicht. Das bleibt einem anderen vorbehalten, einem freundlichen, schon etwas älteren Herrn und seiner wie immer elegant in Schwarz auftretenden Geliebten: Mister B. B. King nebst Lucille.

      Jeder weiß, wofür B. B. King und seine Gitarre – eine der ganz wenigen in der Musikgeschichte, die es zu einem eigenen Namen gebracht hat – stehen: für den Blues. Nichts weniger also als die wohl bedeutendste Musik, die das schwarze Amerika hervorgebracht hat. »Louis Armstrong der Blues-Generation« haben sie ihn genannt, und die amerikanische Discjockey Association ehrte den Mann mit der Gibson ES 355 im Jahr 1996 mit dem schlichten Titel »King Of The Blues«. Mehr ist eigentlich nicht zu sagen, denn tatsächlich dürfte kaum ein Gitarrist auf den Planeten Pop und Rock nicht von B. B. und seiner Musik beeinflusst sein. Ob Jimi Hendrix oder Jeff Beck, Ritchie Blackmore oder die Vaughan-Brüder – ohne King wären sie nicht die geworden, die sie sind. Dabei träumte der Grandseigneur mit dem spitzbübischen Lächeln einst nur von einer kleinen Farm, einem Traktor, einer Frau und zwei, drei Kindern.

      Das Leben, in das der kleine Riley B. King am 16. September 1925 auf einer Farm bei Itta Bena, nahe Indianola, Mississippi, hineingeboren wird, ist kein leichtes. Die Zeiten der Sklaverei sind zwar längst vorüber, die Schwarzen aber gelten dort unten im Mississippi-Delta nach wie vor als Menschen zweiter Klasse. Die Rassentrennung ist hier so rigide wie eh und je, und viel mehr als einen Job auf einer Farm oder Baumwollplantage können die Männer nicht erreichen, während die Frauen im besten Fall als Hausmädchen unterkommen.

      Die Startbedingungen sind hart, für Riley ganz besonders. Denn die Mutter Nora Ella verlässt Vater Albert wegen eines anderen, als der Junge gerade fünf ist. Nur vier Jahre später schon stirbt sie, gerade 27-jährig. Ein schlimmer Schock für Riley, mit neun ist er auf sich allein gestellt. Zwar kümmern sich die Großeltern um ihn, seinen Lebensunterhalt aber muss er jetzt selbst verdienen. Er schlägt sich bei verschiedenen Herren als Houseboy durch. Trotzdem geht er zur Schule, die fünf Meilen dorthin muss er jeden Tag zu Fuß bewältigen. Allerdings darf er morgens erst los, wenn die zehn Kühe gemolken sind. Wie er dem US-Magazin Blues Access 1999 erzählte: »Das Schlimmste war das frühe Aufstehen. Morgens, wenn es draußen auf den Feldern noch kalt war.« 15 Dollar verdient er im Monat – und ausgerechnet ein Brötchengeber entpuppt sich als erster musikalischer Förderer des Jungen. King: »Zwei Monate lang behielt Mister Flake Cartledge, bei dem ich damals arbeitete, die Hälfte meines Lohns ein. Und dann kaufte er mir von dem Geld, es waren dreißig


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