Jim Morrison. 100 Seiten. Birgit FußЧитать онлайн книгу.
in »Peace Frog«, die »the young child’s fragile eggshell mind« bedrängen, bezieht er sich zwar wieder auf das Erlebnis mit den sterbenden Indianern – aber nicht selten erzählen Missbrauchsopfer ja genau solche Deckerinnerungen (wie Sigmund Freud sie nannte) statt der eigentlichen Geschichte: Eine weniger schlimme Grausamkeit überdeckt eine andere, die zu schrecklich ist, um sie auszusprechen. War Morrison also traumatisiert? Wer einmal »The End« gehört hat, kann sich kaum etwas anderes vorstellen (s. S. 15). Wo das Trauma genau herkam, werden wir wohl nicht mehr erfahren. Es gibt ein anwaltliches Schreiben, in dem Jims Eltern versichern, es habe »keinerlei Fehlverhalten« gegeben. Auf jeden Fall kroch damals etwas Düsteres in Morrisons Seele und verschwand nie wieder. Es biss sich fest und fraß ihn am Ende auf.
Zurück zur Musik. Wobei: In der Richtung lief bei Jim Morrison damals noch wenig. Ein paar Monate lang versuchte er als Teenager, Klavier zu lernen, doch dazu fehlte ihm die Disziplin. Auch Gitarre war zu mühsam, mehr als Maracas waren nicht drin. Er ging kaum zu Konzerten. Dass er singen konnte, wusste er offensichtlich noch gar nicht. Aber schreiben konnte er schon in der Highschool – der Songtext zu »Horse Latitudes« stammt aus dieser Zeit. Vor allem war Jim aber damit beschäftigt, seine Geschwister (er hatte einen Bruder, Andy, und eine Schwester, Anne) zu ärgern, die Mitschüler entweder einzuschüchtern oder zu beeindrucken – er wurde mehrmals zum Klassensprecher gewählt – und kleinbürgerliche Gepflogenheiten abzulehnen. Seine in ihrer Nachlässigkeit perfekte Frisur modellierte er angeblich nach dem Vorbild von Alexander dem Großen. Auch die Art, wie er oft den Kopf neigte, guckte er sich bei dem legendären Eroberer ab. Er wusch sich die Haare ungern, lehnte Kämme strikt ab und trug wochenlang dieselben Klamotten. Von Hygiene hielt er nicht viel.
Damals dachte er noch nicht daran, dass er jemals ein Rocksänger werden würde, aber unbewusst sammelte er in seinem Kopf schon alles zusammen, was es dafür brauchte. Er sah sich selbst eher als Schriftsteller oder Soziologen, doch irgendwann begann er, innerlich ganze Rockkonzerte zu hören. Er dachte sich Texte aus, er hörte die Melodien dazu, und er sah vor allem das Publikum – ein großes Publikum. Wie alle zusammen nach etwas Höherem streben, von der Ekstase zur Erkenntnis, eine transzendentale gemeinsame Erfahrung, nicht weniger. Dagegen konnte die reale Welt, in der er sich noch befand, nur verlieren. Zur Abschlussfeier seiner Highschool tauchte Jim nicht auf, das Zeugnis bekam er per Post. Um dem Kriegsdienst zu entkommen, fing er 1961 halbherzig ein Studium am St. Petersburg Junior College, dann an der Florida State University an. (Im März 1965 gelang es ihm, endgültig als untauglich eingestuft zu werden – er hatte einiges eingeworfen und behauptete, schwul zu sein. Möglicherweise rettete ihn aber auch einfach sein Asthma.)
Erst 1964 begann sein Leben endlich so richtig: Er wurde am Department Of Theatre Arts an der UCLA, der University of California in Los Angeles, angenommen, Fachbereich Film. Zur selben Zeit studierte dort unter anderem auch Francis Ford Coppola. Das Filmische spielt in Morrisons Kunst eine große Rolle, wie sich später noch zeigen wird, aber an der UCLA war er keiner der Überflieger. Im Mai 1965 fabrizierte er einen Film zum Semesterabschluss, der »ein Film über den Prozess des Filmens« sein sollte – ein wirrer Zusammenschnitt von einem kiffenden Jim, halbnackten Frauen, Fernsehausschnitten von einer Nazi-Parade. Bei der Aufführung rissen schließlich auch noch die verklebten Stellen. Es gab ein »Ungenügend«. »Film ist ein schwer zugängliches Medium«, sagte Jim später. »Es ist viel komplexer als Musik, man braucht so viele Leute und so viel Ausrüstung. Ich mag das Medium Rock wegen seiner Direktheit.« Auf der Bühne konnte er dem Publikum viel näher sein, seine Wirkung direkt spüren. Filmzuschauer bezeichnete er als »stille Vampire«, ihm war dann doch das Laute lieber.
Mit der Familie schloss Jim früh ab. Als er seinen Eltern schrieb, ein Abschluss in Kinematographie sei leider nicht viel wert und er habe sich jetzt einen anderen Job gesucht, nämlich als Sänger in einer Band, bekam er von seinem Vater einen Brief zurück, in dem vor allem Vorwürfe und Bedenken standen. Als Kind habe er doch nicht mal das Klavierspielen lernen wollen, bei den Weihnachtsliedern auch nie mitgesungen, vier Jahre lang habe man ihm das Studium bezahlt, und nun das? Jim meldete sich nie wieder. Zum letzten Mal gesehen hatte er seine Eltern Ende 1964.
Als seine Plattenfirma Elektra Records Material für ein Presse-Info zum Debütalbum der Doors zusammensuchte, gab er an, seine gesamte Familie sei tot. Im Herbst 1967 rief seine Mutter ihn noch einmal an und lud ihn zum Thanksgiving-Essen ein, aber als sie ihn darum bat, sich dafür dem Vater zuliebe die Haare zu schneiden, legte er auf. Sie kam dann trotzdem mit seinem Bruder Andy zu einem Konzert in Washington, war schockiert, als er ihr die berühmten Zeilen von »The End« direkt ins Gesicht sang (»Father, I want to kill you / Mother, I want to…«) – und hoffte dennoch, ihn später im Hotel noch treffen zu können. Doch Jim war schon abgereist.
Morrison hatte längst eine andere, größere Welt für sich entdeckt. Auf dem UCLA-Gelände war er eines Tages im Frühling 1965 Ray Manzarek begegnet, dessen Band Rick And The Ravens einen lukrativen Gig in Aussicht hatte. Rays Bruder Rick spielte das Piano, sein anderer Bruder Jim die Gitarre, aber ihnen fehlte, um den Vertrag ordnungsgemäß zu erfüllen, noch ein weiterer Musiker. Ob Jim einspringen wolle? Jim gab zu bedenken, dass er gar kein Instrument spielen könne. »Schon okay«, sagte Ray, »wir stöpseln deine E-Gitarre nicht ein.«
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