Das Haus der Freude. Edith WhartonЧитать онлайн книгу.
und Dummheit passt gar nicht zu Ihnen.« Sie lehnte sich zurück und trank ihren Tee in kleinen Schlucken mit einem so bezaubernd kritischen Gesichtsausdruck, dass er, wenn sie im Salon ihrer Tante gewesen wären, vielleicht versucht hätte, den Gegenbeweis zu ihren Schlussfolgerungen anzutreten.
»Sehen Sie denn nicht«, fuhr sie fort, »dass mir schon genug Männer angenehme Dinge sagen, und dass das, was ich brauche, ein Freund ist, der keine Angst hat, mir die unangenehmen zu sagen, wenn ich das nötig habe? Ich habe einmal geglaubt, Sie könnten dieser Freund sein – ich weiß auch nicht warum, außer dass Sie weder ein Pedant noch ein Flegel sind, und dass ich Ihnen nichts vormachen oder vor Ihnen auf der Hut sein müsste.« Ihre Stimme hatte einen ernsthaften Ton angenommen. Sie saß da und blickte zu ihm auf mit dem besorgten Ernst eines Kindes.
»Sie wissen nicht, wie sehr ich einen solchen Freund brauche«, sagte sie. »Meine Tante ist voll von Anstandsregeln, aber die gelten für das Benehmen, das in den frühen Fünfzigern üblich war. Ich habe immer das Gefühl, dass ich, wenn ich mich wirklich daran halten wollte, auch Organdy und Keulenärmel tragen müsste. Und die anderen Frauen – meine besten Freundinnen – na ja, die benutzen oder verleumden mich, aber es ist ihnen völlig egal, was aus mir wird. Mich gibt es gesellschaftlich einfach schon zu lange; die Leute werden meiner müde. Es fängt schon an, dass sie sagen, ich sollte heiraten.«
Es entstand eine kurze Pause, in der Selden ein oder zwei Erwiderungen überdachte, die darauf angelegt waren, die Pikanterie der Situation noch zu erhöhen. Er verwarf sie jedoch zugunsten der einfachen Frage: »Nun, warum tun Sie es nicht?«
Sie errötete und lachte. »Ah, ich sehe, Sie sind doch ein wirklicher Freund, und diese Frage gehört genau zu den unangenehmen Dingen, nach denen ich verlangt habe.«
»Sie war aber nicht so unangenehm gemeint«, erwiderte er freundschaftlich. »Ist Heirat nicht Ihre Berufung? Ist es nicht das, wofür Sie erzogen wurden?«
Sie seufzte. »Ich glaube schon. Was gäbe es auch sonst?«
»Genau. Und warum geben Sie sich dann nicht einen Ruck und bringen es hinter sich?«
Sie zuckte die Achseln. »Sie reden, als ob ich den ersten Mann heiraten sollte, der mir über den Weg läuft.«
»Ich habe nicht andeuten wollen, dass Sie sich in einer derartigen Zwangslage befänden. Aber es muss doch jemanden mit den erforderlichen Qualifikationen geben.«
Sie schüttelte müde den Kopf. »Ein oder zwei gute Chancen habe ich vergeben, ganz zu Anfang, als ich in die Gesellschaft eingeführt wurde; ich glaube, das tut jedes Mädchen; und, wie Sie wissen, bin ich entsetzlich arm – und sehr kostspielig. Ich brauche eine ganze Menge Geld.«
Selden hatte sich umgewandt, um nach dem Zigarettenkasten auf dem Kaminsims zu greifen.
»Was ist denn aus Dillworth geworden?«, fragte er.
»Oh, seine Mutter bekam Angst; sie hatte die Befürchtung, ich würde den gesamten Familienschmuck neu fassen lassen. Außerdem sollte ich ihr versprechen, dass ich den Salon der Familie nicht umdekorieren würde.«
»Aber genau deswegen wollen Sie ja heiraten!«
»Eben. Also schiffte sie ihn nach Indien ein.«
»Pech – aber Sie können doch etwas Besseres als Dillworth finden.«
Er bot ihr den Kasten mit den Zigaretten an; sie nahm drei oder vier heraus, steckte eine zwischen die Lippen und ließ die anderen in ein kleines Goldtäschchen an einer langen Perlenkette gleiten.
»Habe ich denn noch Zeit? Ein paar kurze Züge also.« Sie lehnte sich vor und hielt die Spitze ihrer Zigarette an die seine. Während sie das tat, bemerkte er mit ganz unpersönlichem Wohlgefallen, wie gleichmäßig ihre schwarzen Wimpern an ihren samtigen weißen Lidern wuchsen, und wie der zartlila Schatten unter ihnen langsam in das reine Weiß ihrer Wangen überging.
Sie fing an, in seinem Zimmer umherzuwandern, und betrachtete dabei prüfend zwischen den kleinen Wolken ihres Zigarettenrauchs die Bücherregale. Einige Bände hatten die reife Färbung feiner Punzarbeit und alten marokkanischen Leders, und ihre Augen hingen an ihnen mit liebevollem Blick, nicht mit der Anerkennung des Fachmanns, aber mit der Freude an angenehmen Farben und Stoffen, für die sie in ganz besonderem Maße empfänglich war. Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck von planlosem Genießen zu aktiver Mutmaßung; sie wandte sich mit einer Frage an Selden.
»Sie sammeln, nicht wahr? Sie kennen sich aus mit Erstausgaben und diesen Dingen?«
»So sehr, wie sich jemand, der kein Geld auszugeben hat, damit auskennen kann. Dann und wann entdecke ich etwas im Abfall, und ich gehe auch manchmal und schaue mir die großen Verkaufsauktionen an.«
Sie hatte sich wieder den Regalen zugewandt, aber jetzt schweiften ihre Augen ohne besondere Aufmerksamkeit über sie hinweg, und er sah, dass sie mit einer neuen Idee beschäftigt war.
»Und Amerikana – sammeln Sie Amerikana?«
Selden machte große Augen und lachte.
»Nein, das liegt nun ganz und gar nicht auf meiner Linie. Sehen Sie, ich bin kein wirklicher Sammler. Ich habe nur gern gute Ausgaben von den Büchern, die ich besonders mag.«
Sie zog ein Gesicht. »Und Amerikana sind wahrscheinlich entsetzlich öde?«
»Ja, das finde ich eigentlich schon – außer für den Historiker natürlich. Aber ein echter Sammler schätzt ein Ding wegen seines Seltenheitswertes. Ich nehme nicht gerade an, dass diejenigen, die Amerikana kaufen, nächtelang aufbleiben, um sie zu lesen. Der alte Jefferson Gryce hat das jedenfalls mit Sicherheit nicht getan.«
Sie hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu. »Und dennoch erzielen sie fabelhafte Preise, nicht wahr? Es kommt mir so seltsam vor, so viel Geld für ein hässliches, schlecht gedrucktes Buch auszugeben, das man doch nie lesen wird. Außerdem nehme ich an, die Besitzer von Amerikana sind nicht einmal Historiker?«
»Nein, nur sehr wenige Historiker können es sich leisten, sie zu kaufen. Sie müssen diejenigen in öffentlichen Bibliotheken oder privaten Sammlungen benutzen. Es ist wohl nur der Seltenheitswert, der den Durchschnittssammler anzieht.«
Er setzte sich auf die Lehne des Sessels, neben dem sie gerade stand, und sie fragte ihn weiter nach den seltensten Ausgaben, ob Jefferson Gryces Sammlung wirklich für die beste der Welt gehalten werde, und was der höchste Preis gewesen sei, den man jemals für eine einzelne Ausgabe erzielt hätte.
Es war so angenehm dazusitzen und zu ihr aufzuschauen, während sie das eine oder andere Buch aus den Regalen nahm, und ihre Finger die Seiten schnell durchblätterten, wobei ihr zum Boden gewandtes Profil sich gegen den warmen Hintergrund der alten Einbände abhob, dass er weiterhin erzählte, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass ihr plötzliches Interesse für ein so wenig aufregendes Thema doch eigentlich sonderbar war. Aber er konnte nie lange mit ihr zusammen sein, ohne den Versuch zu machen, für das, was sie tat, einen Grund zu finden, und als sie seine Erstausgabe von La Bruyère zurückstellte und sich vom Bücherschrank abwandte, begann er sich zu fragen, worauf sie hinauswollte. Ihre nächste Frage war nicht so geartet, dass sie ihm darüber Aufschluss gegeben hätte. Sie blieb vor ihm stehen mit einem Lächeln, das ihn gleichzeitig in eine gewisse Vertrautheit einzubeziehen und ihn an die Einschränkungen zu erinnern schien, die es ihm auferlegte.
»Tut es Ihnen nie leid«, fragte sie plötzlich, »dass Sie nicht reich genug sind, all die Bücher zu kaufen, die Sie gern haben möchten?«
Er folgte ihrem Blick durch das Zimmer mit dem abgenutzten Mobiliar und den schäbigen Wänden.
»Ja, tut es mir nicht sogar in eben diesem Moment leid? Halten Sie mich für einen Heiligen auf einer Säule?«
»Und dass Sie arbeiten müssen, stört Sie das nicht?«
»Ach, die Arbeit an sich ist nicht so schlecht; ich habe viel für die Juristerei übrig.«
»Nein, aber dass man so angebunden ist, die Routine. Möchten Sie denn niemals einfach wegfahren, um neue Gegenden und neue Leute kennen