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Himmelberg. Johannes HuckeЧитать онлайн книгу.

Himmelberg - Johannes Hucke


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werden. Als er sah, wie der Mann sich mit einem Holzstück wappnete, ließ Hoensbroech den rechten Arm vorschnellen, und die Degenspitze traf mit der Wucht des vollen Galopps. Am festen Leder rutschte das Metall ab, sonst wäre der Arm wohl amputiert worden.

      „Machen Sie das Feuer aus, sofort!“ Graf Hoensbroech treibt den Fremden vor sich her, zum Hochsitz hin, dessen hölzerne Leiter bereits lodert und glimmt. „Jacke ausziehen. Ersticken sie damit die Flammen!“

      Während der Graf mit den Füßen das mehr rauchende als brennende Reisig beiseiteschiebt, gehorcht der Gefangene, streift seine Jacke ab und drückt sie gegen den Schwelbrand. Erst jetzt erkennt der Graf, dass es mit dem Feuer gar nicht so weit her ist; das Material war wohl viel zu feucht, um richtig in Flammen aufgehen zu können.

      „Nasir, du kannst runterkommen! Aber pass auf, die Sprossen sind angekokelt.“

      Vorsichtig steigt Nasir Shansab hinunter. „Wo sind die andern?“

      „Keine Ahnung. Weggerannt.“

      „Respekt. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Einer gegen drei!“

      „Glücksache. – Halt, keinen Schritt!“ Entschlossen nähert sich der Graf dem Gefangenen, den Degen unverwandt vorgestreckt. „Bleiben Sie stehen! Halt, sage ich! Ach so, sprechen Sie überhaupt deutsch?“

      „Natürlich“, flüstert Dschamal Parhez und hält ruckhaft inne.

      „Lauter! Ich verstehe Sie nicht.“

      „Natürlich spreche ich deutsch!“

      „Gut. Sind Sie schwer verletzt?“

      „Nein.“

      „Zeigen Sie mal her.“

      Dschamal rührt sich nicht.

      „Sie sollen mir das zeigen!“

      Widerwillig nimmt der Verletzte die Hand von der Wunde. Nachdem Graf Hoensbroech die Verletzung in Augenschein genommen hat, den Kavalleriedegen nach wie vor gegen den Besiegten gerichtet, überrascht er diesen mit einem Vorschlag. „Kann ich mich auch darauf verlassen, dass Sie das Gastrecht achten?“

      „Bitte?“

      „Werden Sie als mein Gefangener auf Gewalttätigkeiten verzichten, wenn ich Sie mit in mein Haus nehme und dort verarzte?“

      „Ich brauche keinen Arzt.“ Der junge Parhez blickt seinen Überwinder wütend an.

      „Ich bin auch kein Arzt. Bei mir geht das ohne Betäubung. Aber immerhin habe ich einen Verbandskasten im Haus. Geben Sie mir Ihr Wort?“

      Dschamal überlegt. Blickt starr vor sich hin. Dann nickt er langsam. So sehr es ihn schmerzt, aus heiterem Himmel überwunden worden zu sein, ehrt es ihn doch, dass ein Wildfremder seinem Wort Glauben schenkt. Was jetzt kommt, weiß Gott allein! So eine Schmach ... Während Dschamal den Weinberg hinabsteigt, die blankgezogene Klinge immerfort in seinem Rücken wähnend, murmelt er ein Gebet. Aber es kommt ihm nicht so richtig über die Lippen. Die Wunde brennt außerordentlich stark, fest presst er die gesunde Hand dagegen.

      „Haben Sie eine Waffe?“, will der Mann hinter ihm wissen.

      Dschamal schüttelt den Kopf.

      Leise bittet Hoensbroech seinen alten Freund Nasir, das Pferd mit nach unten in den Stall zu führen. Bald blickt er nach hinten, ob nicht die beiden Geflohenen wieder auftauchen, bald nach vorn, auf diesen merkwürdigen Menschen, der so unerwartet schnell aufgegeben hat. Wie alt mag er sein? Siebenundzwanzig vielleicht? Wie ein Auftragsmörder sieht er jedenfalls nicht aus. Filigran ist er gebaut, gelenkig, die Figur eines Balletttänzers. Wären sie bloß schon unten am Haus ...

      Als Nasir Shansab, den Schimmel an der Hand, Graf Hoensbroech einholt, ist er außer Atem. „Ich kann gar nicht sagen, wie ich dir danke. Hast du wirklich keine Polizei verständigt?“

      „Unsinn, selbstverständlich nicht.“

      „Und deine Frau?“

      „Du kennst sie doch.“

      „Gut. Auch dafür danke ich euch. Und jetzt?“

      „Gehen wir erst mal ins Warme.“

      Aus der Dachluke spähend, das Fernglas in Händen, hat Gräfin Maria den Hergang verfolgt. In der Jackentasche hielt sie ein Handy bereit, eingeschaltet, die Notrufnummer bereits vorgewählt. So irrsinnig sie die Idee fand, auf solch altertümliche Weise dem Freund zu Hilfe zu kommen, so sehr fühlt sie nun Erleichterung. Nein, mehr noch, es ist nicht zu verhehlen: Das hat ihr ganz prachtvoll gefallen, wie ihr Gatte diese haarsträubende Situation gemeistert hat. Ganz bestimmt wird sie ihn nicht sofort dafür loben, sonst reißt das noch ein. Aber zu gegebener Stunde wird sie die richtigen Worte finden. Mit einem Mal hat die Gräfin Zutrauen gefasst; die Hauptgefahr scheint einstweilen überstanden. Zwar weiß sie noch nicht, wie dies alles nun vor sich gehen soll, aber inzwischen traut sie dem Gatten zu, auch hierfür eine Lösung zu finden. Als sie den Männern entgegengeht und ihrem Gemahl zunickt, meint sie ein ungläubiges Lächeln um seine Augen wahrzunehmen. Sie begrüßt Nasir, indem sie ihm mit beiden Händen um die Rechte greift, flüstert ihm ein paar Worte zu. Und dann kümmert sie sich um den Schimmel.

      „Das hat er brav gemacht“, kommertiert Graf Hoensbroech nach hinten gewandt. „Eine Belohnung hätte er sich verdient.“

      „Genau das hatte ich gerade vor“, lautet die Antwort, und die Gräfin führt das ruhig vor sich hin trottende Pferd in den Stall. „So, mein Guter“, tätschelt sie ihm den Hals, „was magst du lieber: Rüben oder Äpfel?“

      Ohne die Antwort abzuwarten, greift sie in einen Jutesack voll dicker Gelberüben. – Durch die Stalltür kann sie erkennen, wie Nasir Shansab die Tür zum Degustationsraum zuerst durchschreitet, gefolgt von diesem jungen Kerl mit dem schmalen Wuchs. Hinterdrein kommt ihr Mann. Ein bisschen erschöpft sieht er aus, wie er sich niederbeugt, um den Degen draußen gegen die Hauswand zu lehnen. Nun, ist ja kein Wunder. Eine Kavallerieattacke reitet man heutzutage wirklich nicht mehr so oft.

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