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Der Papst kommt. Andrea HensgenЧитать онлайн книгу.

Der Papst kommt - Andrea Hensgen


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sieht fragend zu Kolja, als zeichne ihn sein zweifacher Besuch des Bildes zu dessen Fachmann aus, und sofort mischt sich Simona ein, zu Koljas Überraschung offenbar unwillig darüber, dass es ihm obliegen soll, das Gespräch neu auszurichten, kaum dass es der fachkundigen Unterfütterung bedarf.

      „Sie wissen ja beide um Jesus Ende, Josef aus den Worten des Alten Testaments und das Kind als Gottessohn. Selbst Maria weiß Bescheid, auch wenn sie hier so lieblich tut. Es gibt ein anderes Bild von Hans Baldung Grien, das malte er knapp zwanzig Jahre früher, da sitzt Maria weinend unter dem Kreuz, in der gleichen Haltung, mit verschränkten Armen auf der Brust.“

      „Gut, Josef und Maria bleibt ja nichts anderes als Gottes Wille hinzunehmen, aber warum guckt denn Jesus hier so böse? Am Ende fügt er sich doch brav in sein Schicksal.“

      Friedel wirft einen ungeduldigen Blick in die Runde. Er schenkt sich die Mühe zu verbergen, dass Spekulationen über Kunst weitab dessen führen, was ihn Tag für Tag zu beschäftigen hat.

      Fritz richtet sich auf. Dieses beständige Grinsen um die Mundwinkel, plötzlich verrät Kolja dieses Gesicht, wie es steht zwischen Simona und Fritz. Was immer er ihr gibt, den Preis wird er subtil in Erinnerung zu halten wissen. Jetzt wendet sich Fritz zu Friedel und Eva.

      „Deshalb ist er doch zu den Menschen gekommen, ist einer von ihnen geworden, um ihr Leid bis um Letzten mitzutragen, um auszuhalten, was Menschen einander antun, so verstehen es die Christen.“

      „Um ihnen Erlösung zu versprechen, wie Lorenz es glaubt?“

      Fritzens Kopf schnellt zu Kolja. Das Grinsen um die Lippen erstarrt, von einer Sekunde zur anderen – und Fritz scheint Kolja noch tiefer entblößt. Den Kopf hält er schief, von unten sieht er Kolja an, gelblich-fahl wirkt im Licht der Lampe seine Haut.

      „Damit den Opfern der Nazis endlich Gerechtigkeit widerfährt, meinen Sie das?“

      Mit demselben Tonfall könnte Fritz von einem spannenden Buch oder einem interessanten Film reden – kaum vorstellbar, womit man diesen Mann packen könnte.

      „So hat es doch Lorenz gesagt.“

      „Ja, so hat er es gesagt.“

      Simona schiebt ihren Stuhl laut an den Tisch.

      „Da sind wir uns doch einig, dass Gott nicht gutmachen kann, was wir Menschen zu verantworten haben, an Leid und Unrecht. Was Lorenz sich da zurecht legt, das nimmt doch keiner mehr ernst.“

      „Lass mal, Simona!“

      Eine weiße Serviette ist während des Essens zu Boden gefallen. Fritz hebt sie auf, breitet sie aus auf dem Tisch und streicht den Stoff glatt, nach allen vier Seiten.

      „Das steht ja außer Frage, Lorenz sieht die Sache viel zu eng und verbohrt. Dem sucht ja selbst die Kirche auszuweichen, der Frage nach dem Jüngsten Gericht und der Erlösung am Ende ­aller Tage.“

      Er bricht seine Rede ab und lässt den Blick über die Runde schweifen, als wolle er allen einen Moment lang Zeit lassen, sich darauf einzustimmen, dass sie nun etwas hören sollen, was sie von ihm, ihrem Fritz, bislang kaum erwartet hätten. Vor Gericht wird Fritz kaum weniger geschickt agieren, Pathos wahrscheinlich feiner dosieren. Kolja legt sein Gesicht in beide Hände, als wolle er ­jedes Wort von Fritzens Rede aufmerksam bedenken.

      „Jesus überhaupt, ja das Christentum, da scheinen mir die Projektionen der Menschen zu deutlich durch, die machen mir Gott zu klein. Wie sich die Juden Gott denken, das scheint mir viel überzeugender. Wir fügen uns Gottes Entschluss, ohne zu wissen, was er vorhat mit uns.“

      Kolja hebt den Kopf. Keiner am Tisch weiß es einzuschätzen, wohin Fritz zielt mit seinem Bekenntnis. Denn dass er eine Strategie verfolgt oder sich bloß ein Spielchen erlaubt, das ist offenbar. Da redet keiner, der mit Glaubenszweifeln ringt.

      Wie hilflos Simona sich fühlt, doch als Gastgeberin verantwortlich für gute Stimmung am Tisch, verrät Kolja der flüchtige Griff in ihr Haar. Sie löst ihren Zopf, neigt den Kopf zur Seite und sieht Kolja von unten an, mit der Bitte, es gut sein zu lassen.

      Hey, wir zwei, wir waren uns doch so nah, im Schlosspark, hey, lass mich doch jetzt nicht im Stich, hilf mir doch hier raus – Kolja irritiert die Blöße in diesem Blick, ihr Vertrauen auf ein Einverständnis, das Kolja nie mit ihr geteilt, ihr nie versprochen hat. Mit der linken Hand presst sie das Haar an ihre Schläfe, nur um es im nächsten Moment wieder offen fallen zu lassen, als hätte nichts einen Sinn, stünde ihr Kolja nicht bei.

      Vor vielen Jahren ein Familienpicknick am Fluss, da lief sein jüngster Sohn auf das Wasser zu, lief hinein und Koljas Vater sprang auf und schnappte den Kleinen, bevor er mit dem nächsten Schritt den Boden unter den Füßen verloren hätte, und Kolja hatte alles gesehen, das Unglück kommen gesehen und sich nicht gerührt, dabei mehr erstaunt als erschrocken darüber, über die eigene, völlige Unfähigkeit, aufzuspringen und ins Wasser zu stürzen. Noch als sein Vater ihm das Kind in den nassen Kleidern in den Arm legte, hing Kolja dieser Verwunderung nach, dass es tatsächlich auf ihn angekommen wäre.

      Es gibt einige solcher Situationen, von denen Kolja erinnert, dass es an ihm gelegen hätte, sie zu retten oder bloß schnell in die eine oder andere Richtung zu wenden, zumindest erwarteten genau dies die Umstehenden von ihm, sahen Kolja an – in Koljas Augen, als stünde da noch einer hinter ihm.

      „Ist es denn in Ordnung, Fritz, Jesus gegen die Juden auszuspielen? War er nicht der letzte jüdische Prophet, so habe ich es ­immer verstanden?“

      Das Ehrliche ihrer Frage löst unverhofft die Spannung am Tisch, Eva selbst scheint es am wenigsten zu spüren.

      „Das Christentum begann ja sozusagen erst nach ihm, Jesus selbst kommt doch ganz klar aus dem jüdischen Gottesgedanken.“

      Friedel betrachtet seine Frau von der Seite, in einer verlegenen Mischung aus Überraschung und Stolz, und sofort schnappt ­Simona nach der Gelegenheit.

      „Bevor es ganz historisch-theologisch wird, wer hätte denn noch Lust auf einen Kaffee oder einen Espresso?“

      Friedel scheint nicht gewillt, sich den Auftritt seiner Frau so abrupt beschneiden zu lassen.

      „Worum geht es jetzt eigentlich, ich meine, worüber streitet Ihr zwei denn, Du und Fritz?“

      „Wir streiten doch nicht, Eva hat natürlich Recht. Das Chris­tentum beginnt nicht mit dem historischen Jesus, sondern mit dem Bild, das seine Nachfolger von ihm schafften.“

      Das Raunend-Beschwörende ist von ihm abgefallen, hat Evas offenherziger Rede nicht Stand gehalten. Fritz faltet die ausge­breitete Serviette zu einem kleinen Päckchen und steckt es in die Hosentasche.

      „Tod und Auferstehung, das war ja die Sensation, das machte ihn zum Gottessohn und verwandelte den Kreuzes- in einen Opfer­tod, und damit zur Erlösung. Im Tod nahm Jesus alle Sünden auf sich, und da liegt für mich der Bruch. Den Graben will ich nicht übertreten.“

      Fritz richtet sich auf, ganz der Gastgeber, der freundlich und bestimmt das Gespräch beendet, mit einem Blick, einem Nicken hin zu Kolja, um den Fremden nicht im Zweifel zu lassen – genug der Bekenntnisse.

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