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Der Papst kommt. Andrea HensgenЧитать онлайн книгу.

Der Papst kommt - Andrea Hensgen


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sie in diesem Augenblick beschließt, ihn kennenlernen zu wollen, verscheucht sie mit einem verlegenen Lächeln, und macht sich zugleich selbst Mut dazu mit einem ungewollten, ruckartigen Nicken. Die offenen Haare fallen ihr ins Gesicht, und Koljas Blick hakt sich fest an der Kette um ihren Hals, feine, goldene Glieder auf sonnengebräunter, glatter Haut. Diese Neigung zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt, und wenn der eine Finger über die obere Vertiefung gleitet und der zweite diesem harten Knochen folgt und beide sich berühren in dieser Mulde, bevor sie ... , jede Frau ­beginnt Kolja an dieser Stelle zu erkunden.

      „Sie waren etwas verwirrt gestern Abend, stimmt’s?“

      „Ja, stimmt.“

      Wahrscheinlich läuft sie Marathon oder betreibt sonst einen Ausdauersport, ein magerer, fast knochiger Körper, die enge Jeans und das knappe, weiße T-Shirt stellen ihn weitaus deutlicher zur Schau als die weite, lange Jacke, die sie gestern Abend trug. Ges­tern schätzte Kolja sie jünger ein. Könnte sogar sein, dass sie zwei Kinder großgezogen hat, eher von einem anderen Mann als von diesem kleinen Juristen.

      „Der Papstbesuch ist schuld, alle reden jetzt von solchem Zeug. Fritz verpasst keinen Fernsehauftritt von dem Kerl, als könnte er ihm an der Miene ablesen, was den tatsächlich antreibt. Sind Sie etwa auch katholisch?“

      „Früher mal.“

      „Ach, auch ausgetreten! Habe ich mit achtzehn hinter mich gebracht. Der Verein ist doch ’ne Zumutung für jeden, der vernünf­tig denken kann. Und das Getue jetzt, wenn der Papst mal ein paar Häftlingen die Füße wäscht. Haben Sie gewusst, dass die Felgen des Papamobils vergoldet sind? Da war für mich endgültig Schluss, aber wir gehen besser mal zur Seite.“

      Das Gebimmel einer nahenden Straßenbahn, sie kommt laut scheppernd zum Stehen. Die Frau fasst Kolja am Ärmel und schiebt ihn vorbei an dem Gedränge, steuert ihn um die Pyramide herum. Touristen und lärmende junge Kerle bevölkern am Sonntag­nachmittag den Marktplatz. Rentner in beigen Leinenjacken mitsamt ihren Frauen in hellen Kostümen halten sicheren Abstand zu einer Gruppe schwarzgekleideter Punks, viel zu gleichgültig, als dass sie in ihren schweren Lederklamotten, klobigen Stiefeln und den glänzenden Metallringen rund um den Kopf provozieren wollten.

      Kolja streift dicht an einem Jungen vorbei, dessen schmale, dreckige Finger geschickt eine Zigarette drehen. Er sitzt auf dem Boden, Rücken und Schultern hat er wie eine Katze eingezogen.

      Der Junge sieht auf, blickt Kolja geradewegs ins Gesicht.

      „Haste mal ’nen Euro, Alter?“

      Rehbraune, junge Augen, und ein freches Grinsen, in dem das Vergnügen des Kindes mitschwingt, dem es unverhofft gelungen ist, einen Erwachsenen zu verblüffen.

      Die Frau sieht ihm tatenlos dabei zu, wie Kolja nach seinem Geldbeutel greift und vergeblich nach einem Fünf-Euro-Schein sucht. Münzen hat er keine, unmöglich kann er dem Jungen zehn Euro schenken.

      Sie scheint nicht gewillt, ihm auszuhelfen, wirkt vielmehr erstaunt, fast ungeduldig-verärgert.

      „Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld dabei.“

      Der Junge quittiert es mit einem mitleidigen Grinsen. Im Blick der Frau liest Kolja bloß Unverständnis. Hilfloses Zaudern ist sie von ihren sonstigen Begleitern offenbar nicht gewohnt. Kolja durchzuckt es, sich wortlos umzudrehen und wegzugehen. Seit langem fehlt ihm der Elan, eine neue Bekanntschaft zu beginnen, wenn sich nicht auf Anhieb etwas wie Wohlwollen und Gleichklang einstellt.

      „Macht nichts, Alter. Trotzdem viel Spaß mit Deiner Puppe!“

      „Ich heiße Simona, und Sie?“

      Erst jetzt kommt es Kolja in den Sinn. Bis zu diesem ­Augenblick sind sie tatsächlich einander namenlos Seite an Seite durch die Stadt gelaufen. Vermutlich wartet sie insgeheim seit zwei ­Stunden darauf, wie lange es brauchen wird, bis ihm endlich ihr Name fehlte.

      „Kolja.“

      „Na, das passt doch. Wir können uns duzen, oder?“

      „Ja, schon. Aber es braucht eine Weile bei mir, bis ich mich darauf eingestimmt habe.“

      „Geht mir gar nicht so. Du hast kein Wort gesagt zu dem Bild eben in der Kunsthalle, ich meine das von Grien!“

      „Wahrscheinlich bin ich insgesamt eher langsam, und dazu ziemlich unerfahren, was Kunst angeht.“

      „Warte ich eben.“

      Simona streckt ihr Gesicht der Sonne entgegen, lässt sich zurückfallen an die Rückenlehne der Bank und schließt die Augen.

      Mattes Lavendelblau durchbricht kräftiges Rosenrot, darüber schwingt lichtes Schleierkraut dem Himmel zu.

      Der Botanische Garten gehört zu Karlsruhes Attraktionen. Kolja fühlt sich hier endgültig zurückversetzt in jene Zeit, an jene Plätze, zu denen das Wort Promenade passt, und Tanzcafés, Ausflugsdampfer, Ansichtskarten. Ein fast erzwungenes Dämpfen jeglicher Lebensfreude. Wieder scheint es Kolja, als gehöre dieser Platz bereits einer Vergangenheit an, mitsamt dessen müßigen Besuchern, denen der Anblick solch raffinierter Blumenpracht genügt und ein Kaffee unter der filigranen Stahlkonstruktion der Orangerie.

      Als Lustgarten war dieser Teil des Schlossparks gedacht, mit Gewächshäusern, Volieren, Grotten und Brunnen. In seiner streng formalen Anlage erwuchs ihm bald seine besondere Eigenart zu innerhalb des übrigen Schlossparks und dessen freizügig-offener Gestaltung.

      In Simonas Worten klang dies weitaus schnoddriger, während ihrer improvisierten Führung eben.

      Ein seltsamer Zufall, der sie heute Mittag zusammengeführt hat. Kolja lässt seinen Blick auf ihr ruhen. Sie reagiert nicht ­darauf und genießt zugleich die Aufmerksamkeit, hellwach unter ihren geschlossenen Augen. Kolja spürt die Spannung ihres Körpers.

      Den ersten Fragen nach Koljas Eindrücken der Stadt hing ihr schlechtes Gewissen an wie überflüssige Dankesworte einer längst erfüllten Bitte. Sie wollte es gutmachen, was Fritz sich gestern an Unhöflichkeit gegenüber einem fremden Gast herausgenommen hat. Aber nicht jedem von Fritz’ Opfern hätte sie zum Ausgleich einen gemeinsamen Nachmittag angetragen – oder mehr, wenn es allein in ihrer Hand läge und Kolja ihre Blicke eben nicht zu selbstgefällig deutet. In den vergangenen zwei Stunden war Kolja in Simonas Augen zu Fritz’ Gegenspieler und offenbar zu ihrem eigenen Retter gewachsen. Wahrscheinlich fällt ihm diese Rolle nach einer Reihe von Vorgängern zu.

      Kolja schiebt Simona zu der Sorte Frauen, die auf Reisen den eigenen Geldbeutel am sichersten unter dem Hemd ihres Begleiters aufgehoben glaubt, und alles an unerfüllten Sehnsüchten gleich dazu steckt.

      Wie er ist sie neu in der Stadt, mit dem Auftrag, ein neues Touris­muskonzept für die Stadt entwerfen. Ausgerechnet Karlsruhe hat sich dazu eine Fremde eingestellt. Zu Fritz war sie zwei Jahre lang wochenends gependelt. Mit dem Angebot dieser Stelle tat sich vor einem knappen halben Jahr die Gelegenheit auf, gemeinsam in einer Stadt zu wohnen. Es gibt tatsächlich einen Sohn aus ­einer geschiedenen Ehe, er verbringt dieses Wochenende bei seinem Vater. Karlsruhe hätte sich dieser Junge kaum als Wohnort ausgesucht, hätte er seiner Mutter nicht gezwungenermaßen folgen müssen. Die üblichen Schwierigkeiten, Simona hatte es sich leichter vorgestellt und mehr Einklang erwartet, zwischen ihrem Sohn und „meinem Freund“. So redet sie von Fritz.

      Nun beschreibt sie im Auftrag der Stadt, was Karlsruhe einem Fremden zu bieten hat. Hans Baldung Griens Bild war heute Mittag eine ihrer ersten Stationen, „Die Geburt Christi“ gehört zu den Glanzstücken des Besitzes der Kunsthalle.

      Dem Zufall ihres Zusammentreffens müsste Kolja dankbar sein. Gestern Abend war sie Teil der fremden Runde, jetzt sitzt sie an seiner Seite auf der Bank, mit einer größeren Bereitschaft, als sie in Worten benennen könnte oder sich selbst eingestehen würde.

      Wieder hat Kolja gestern Abend unbefragt eine Gruppe ­fremder Menschen als Einheit gedacht, sie zusammengeschweißt und sich als Einzelner ihr gegenübergestellt.

      Wie oft gerät jedermann in eine solche Lage, dass alle anderen sich scheinbar kennen,


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