Glyzinienduft und Hausmusik. Doris LottЧитать онлайн книгу.
am Mannheimer Hauptbahnhof, als sie einem alten Ehepaar beim Einstieg in die Straßenbahn behilflich war. Im Gespräch erwähnte sie, dass ihre Mutter aus Karlsruhe kam. Wie der Mädchenname war, wollten die Herrschaften wissen. Beim Namen Renate Schiller fragten die Herrschaften sie direkt : „War Ihr Großvater Dr. Arnold Schiller?“ Sie bejahte. Der alte Herr stand auf, küsste ihr die Hand und rief: „Wertes Fräulein, Ihr Herr Großvater war ein Heiliger.“
Karlstraße 18
„Ich will die Menschen hochheben“
Die Karl-Apotheke darf nicht sterben
„Wenn das geopfert wird, dann fehlt der Stadt ein Herzstück“, sagt Kurt Kramer. Die Medien haben ihm den Ehrentitel „der Glockenpapst“ verliehen, weil er immer dann zu Rate gezogen wird, wenn es irgendwo in Deutschland ein Problem mit einer Glocke gibt. Der Karlsruher Kurt Kramer hat ein ausgeprägtes Gefühl für „Dissonanzen“, nicht nur, wenn es um Glocken geht.
Was augenblicklich in unserer Stadt auf dem Bausektor vor sich geht, beunruhigt ihn zutiefst. Grünflächen und Plätze werden zerstört, Häuser abgerissen und was die Bomben und die Kahlsanierung der Ära Klotz nicht geschafft haben, das fällt, wie die Karlsruher befürchten, den Planungen für den U-Strab-Bau zum Opfer. Mitten in all dem Chaos gibt es kleine Oasen wie das „Tortenstück“ am Stephanplatz, die Karl-Apotheke, die seit mehr als 70 Jahren in Familienbesitz ist und die für so viele Karlsruher eine Art Zufluchtsort ist, den sie immer wieder aufsuchen, wenn sie Hilfe und ein aufmunterndes Wort brauchen.
Wir sitzen mit Freunden an einem schönen Junitag im gastlichen Haus eines badischen Winzers, irgendwo im lieblichen Markgräfler Land. Ich weiß nicht, wie wir so unvermittelt auf das Thema Karlsruhe und den geplanten Abriss der Karl-Apotheke zu sprechen kommen und warum ich mich anstecken lasse vom Unmut der Karlsruher Tischrunde gegen die Politik unserer Stadtväter, die so vieles, was den Karlsruhern ans Herz gewachsen ist, einfach zerstören. Annemarie Kramer mischt sich ein und berichtet, dass sie manchmal von der Waldstadt kommend nur deshalb in die Stadt fährt, um sich in ihrer „Lieblings-Apotheke“ beraten zu lassen. Sie erzählt vom Apotheker Christian Giese, der für jeden ein persönliches Wort findet: „Einmal hat er zu mir gesagt: ‚Sie lächeln immer, das ist so wohltuend’.“ Annemarie weiß, dass ich über Karlsruher Häuser schreibe. „Schau dir die Apotheke an! Es lohnt sich, nicht nur wegen der außergewöhnlichen Schaufenster!“
Es ist kurz nach 8 Uhr, als ich am nächsten Morgen mein Fahrrad am Stephanplatz im Fahrradständer der Apotheke einparke. Es stimmt schon. Wer kommt schon an der Karl-Apotheke vorbei, ohne nicht wenigsten einen Blick auf die faszinierende Schaufenster-Dekoration zu werfen? Ein listiges Füchslein in seiner natürlichen Umgebung beäugt den Betrachter, ein Gingkobaum ziert das Eckfenster und neben der wissenschaftlichen Erklärung über den ältesten Baum der Menschheit, der selbst die Katastrophe von Hiroshima überlebte, entdecke ich das berühmte Goethe-Gedicht, das dem Zauber des Baums und der Verwandtschaft seines gespaltenen Blattes mit dem Wesen des Dichters nachspürt.
„Fühlst du nicht an meinen Liedern,
dass ich eins und doppelt bin?“
Dann erst trete ich ein, immer noch das Dichterwort im Ohr, reihe mich ein in die Schlange der Wartenden, lasse neugierig meine Blicke umherschweifen und atme diesen Duft ein von ätherischen Ölen, wohltuenden Essenzen und einem Hauch von Baldrian, der mich an die Apothekengerüche meiner Kindheit erinnert.
Eine seltsame Apotheke ist das, ein langgezogener schmaler Gang und überall in den Vasen und Krügen üppige Sträuße, die einen Duft von Sommerwiesen-Herrlichkeit verströmen. Für einen Augenblick vergesse ich, wozu ich hergekommen bin und freue mich an rosa Malvenblüten, an Johanniskraut und wildem Rittersporn, an Fingerhut und Ackerwinden und dekorativen Gräsern und Rispenblüten. Ein Stück Natur in einer Stadt, wo ringsherum das Chaos herrscht. Eine Insel, die vom Untergang bedroht ist?
Mein Blick fällt auf einen gelben Zettel mit einer Unterschriftenliste mit der Skizze der Karl-Apotheke. Sieht aus wie ein „Tortenstück“, denke ich und mir fällt ein, dass ich an diesem Gebäude schon als Kind an der Hand meiner Mutter auf dem Weg zur damaligen „Hauptpost“ vorbeiging und dass hier auch eine öffentliche Toilette war und ich mich wunderte, ob diese nun zur Tankstelle oder zur Apotheke gehörte oder zu beiden.
„Die Karl-Apotheke darf nicht sterben!“ steht auf dem Zettel. „Oberbürgermeister Frank Mentrup ist nicht bereit, uns einen, die Zukunft sichernden, Mietvertrag zu geben. Das bedeutet nichts anderes, als die abzusehende und gewollte Schließung der Karl-Apotheke. Das bedeutet den Verlust einer gewachsenen Karlsruher Institution, den Verlust von über 20 Arbeitsplätzen und den Verlust einer für viele Karlsruher Bürger wichtigen Anlaufstelle, nicht nur für gesundheitliche Fragen und Sorgen.“
Das alles berührt mich, besonders der Satz am Ende: „Der Stephanplatz wird dann wohl ein Teil seiner Identität verlieren. Die Stadt kennt ihre Schätze nicht.“
Plötzlich kann ich Kurt Kramers Unmut verstehen und dieses Gefühl der Ohnmacht, wie es wohl die Karlsruher vor Jahren empfunden haben, als eine Versicherung trotz der Proteste der Karlsruher das historische Weltzienhaus eines Weinbrenner-Schülers abreißen wollte.
Damals waren die Karlsruher erfolgreich mit ihren Protesten und ihren Sieg verdankten sie dem Journalisten Josef Werner, der wie ein Löwe für den Erhalt des Hauses gekämpft hatte. Aber die Profitgier der Immobilienhaie und Spekulanten ist heute noch mächtiger als damals, als der Chef der Lokalredaktion der Badischen Neuesten Nachrichten mit seinem Engagement zum Beispiel auch das Kaufhaus Karstadt mit seiner Jugendstil-Fassade retten konnte. Wer geht heute noch auf die Barrikaden, um die Karl-Apotheke zu retten?
Über ١٧.٠٠٠ Unterschriften hat Christian Giese schon für den Erhalt seiner geliebten Apotheke gesammelt. Unermüd-lich appelliert er an das Gewissen und den Sachverstand der Stadtväter, ein Stück Karlsruhe zu retten, das so viele Bürger liebgewonnen haben. Der Stuttgarter Hauptbahnhof fällt mir ein und die vielen engagierten Bürger, die auch heute noch gegen einen Abriss protestieren, wo längst schon die Würfel gefallen sind. Zehntausende lassen sich nicht entmutigen, und ich?
Rasch unterschreibe ich die vor mir liegende Liste und verlasse die Apotheke. Ich weiß, dass es eine Lösung geben wird, und als ich kurz darauf Christian Giese kennenlerne, bestärkt mich das in meiner Überzeugung. Er wird es schaffen, er muss es schaffen. Ein Leben lang hat er nicht vergessen, was seine Mutter, die selbst Apothekerin war, ihm als jungen Mann ans Herz gelegt hat, als er in den Familienbetrieb eintrat:
„Schau dir die Menschen an, die zu uns kommen. Sie haben den Krieg erlebt, einen Arm oder ein Bein verloren. Sie sind oft mürrisch, enttäuscht oder hoffnungslos. Sprich die Menschen an, versuch, sie hochzuheben, heiterer zu machen.“
Der Apotheker Christian Giese erzählt von den anfänglichen Zweifeln an sich und seiner Berufung: „Ich wusste doch nicht, ob ich für den Beruf überhaupt geeignet war, ich habe doch selber nicht viel gesprochen. Aber plötzlich ging mir auf, dass wenn man den anderen Menschen, der ja irgendwo ein Bedürfnis nach Zuwendung und Liebe hat, zum Reden bringt, wenn man ihm freundlich zuhört, dann wertet man ihn auf und hebt ihn hoch.“
Geben ist seliger denn Nehmen. Auch das ist eine Erfahrung, die Christian Giese in seinem Leben gemacht hat. Was ihm die Ausgeglichenheit schenkt? Er