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Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen - Heinrich Mann


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ganzen Weg entlang ruhte Pavic im Gefühl seiner seltenen, romantischen Persönlichkeit. Er bebte und schmolz darin.

      Bei ihrer Ankunft gingen sie sogleich zu Tische. Nach der geleisteten schweren Lungen- und Muskelarbeit aß und trank der Volkstribun stark. Die Herzogin sah in die Kerzen. Später, in ihrem Zimmer, kam er, satt und sanguinisch, auf den Triumph des Tages zurück. Er wiederholte ihr einzelne Glanzstellen, und die Huldigungen, die ihnen gefolgt waren, rauschten ihr wieder im Ohr. Sie sah ihn aufs neue, ragend groß in furchtbarer Stellung von jagenden Wolken abgehoben, ein Held, gegen den sie keinen Einwand wusste, ein Held, staunenswert und übermächtig. Nun jubelte und befahl er zu ihren Füßen: seine stolzen Freiheitsrufe stiegen zu ihr herauf aus seinen feuchten, roten, verlangenden Lippen.

      Und endlich, zwischen zwei Liebeserklärungen an sein Volk, bemächtigte er sich ihrer. Das Sofa, auf dem es geschah, trug mitten über seiner Lehne eine große goldene Herzogskrone. In den Sekunden seiner Seligkeit hafteten Pavic' Gedanken unverwandt an dieser Herzogskrone.

      Gleich darauf packte ihn namenloses Staunen über das, was er gewagt hatte. Er stammelte:

      "Dank, Hoheit, Dank, Violante!"

      Und sich selbst rührend, immer inniger:

      "Dank, Dank, Violante, dass du das für mich tatest! Herrliche, gütige Violante!"

      Aber ihr Blick floh, von blauen Schatten umzogen, teilnahmslos an ihm vorbei. Ihr Haar war in Unordnung geraten; es hing in starren, dunklen Wellen um das erschreckend bleiche Gesicht. Sie stützte sich mit hart gestreckten Armen auf den Polsterrand. Ihre spitzen Finger zerrissen den gewirkten Stoff. Pavic wand sich in Angst und Reue: "Was habe ich getan!" schrie er sich selbst zu. "Ich bin nur ein Vieh! Jetzt ist alles verloren!" Er verdoppelte seine Anstrengungen:

      "Verzeih' mir, Violante, verzeih'! Ich bin ja nicht schuldig, es ist das Schicksal … Jawohl, das Schicksal, das mich dir zu Füßen warf. Ich soll dir dienen … Wie will ich dir dienen! Violante! Ich will den Staub von deinem Saume küssen und sterbend den Kopf unter deine Absätze legen, Violante!"

      Er rang, berauscht von den eigenen Worten, um einen ihrer Blicke. Sie strich sich, nach langen Minuten, mit zwei Fingern über die Stirn und sagte:

      "Lassen Sie mich, ich möchte allein sein."

      "Du verzeihst mir nicht? O Violante, sei gnädig!"

      Sie zuckte die Achseln. Er flehte mit Tränen in der Stimme:

      "Nur ein Wort, dass du mich nicht verdammst! Violante! Du verdammst mich nicht?"

      "Nein, nein."

      Sie wendete, unfähig den Auftritt länger auszuhalten, den Hals hin und her.

      "Gehen Sie jetzt."

      Er ging endlich, mit schwerem Tritt, weichen Gliedern, aufgelöst in Gefühl und immerfort murmelnd:

      "Dank … Verzeih' … Verzeih' … Dank."

      Sie begab sich sogleich in ihr Schlafzimmer. Sie schickte die Kammerfrau hinaus und begann selbst sich zu entkleiden. Nach dem Erlebten war jede Berührung mit einer menschlichen Haut ihr widerlich. Aber ihre Hände waren schlaff; sie verlor sich immer wieder in Gedanken. Ihre Verwunderung war so mächtig wie seine, doch ganz unvermischt mit Genugtuung.

      Also das war alles? Das war alles, was sie hatte erfahren sollen? "Ich wollte lieber, ich hätte es nicht erfahren … Übrigens ist es zum Lachen." Sie wollte den Mund verziehen, aber in die Kehle stieg ihr eine Übelkeit. Dann fiel ihr ein, dass Pavic sie immerfort Violante genannt hatte. Wie kam er dazu? Bildete er sich auf das Geschehene etwas ein? Solch' ein untergeordneter Vorgang, gab er denn ein Recht zu Zärtlichkeiten der Rede und zu seelischem Nahekommen?

      Sie zerrte an ihren widerspenstigen Hüllen, sie warf, was ihr in den Händen blieb, auf einen Haufen von Musselin und Seidenstoffen, am Fußende ihres Bettes von flüchtigen Dienerinnen zurückgelassen. Plötzlich entstand darunter eine Bewegung. Die Herzogin ging rasch darauf zu. Es raffte sich etwas daraus hervor, eine kleine abenteuerliche Gestalt, die mit ihrem Degen in den Tüchern hängen blieb. Schließlich stand vor ihr Prinz Phili, in Trikots, Barett und blauem Atlaswams, mit dicken, goldenen Blumen auf dem weißen, hermelingefütterten Kragen. Er hatte große Furcht.

      "Da bin i schon," flüsterte er.

      Ihre nervöse Überreiztheit entlud sich:

      "Wie kommen Sie hierher? Trachten Sie doch gleich wieder zu verschwinden!"

      "Sie nehmen es also doch übel?" fragte er. "Der Percossini hat mir ja auch gesagt, Sie würden's übel nehmen, aber konnte ich denn anders? Warum haben's mich nie vorgelassen. Frau Herzogin, und meine Frau haben's auch nicht mehr besucht, Sie Schlimme."

      "Entfernen Sie sich! Ich lasse die Prinzessin benachrichtigen."

      Phili war bestürzt.

      "Verzeihung, o bitte! Der Percossini hat gemeint, Sie würden nichts sagen … Das wenn ich gewusst hätt'!"

      "Hinaus!"

      "Erst verzeihen's mir, Frau Herzogin. Verzeihung, o bitte!"

      Sie warf den Kopf in den Nacken. Sollte dasselbe Spiel von vorne anfangen? Sie trat auf den Thronfolger zu und fasste ihn hart um beide Handgelenke.

      "Ich werde Sie in meinem Wagen nach Hause fahren lassen, mit einem Billet an Ihre Frau. Hören Sie?"

      Der warme Duft ihres geöffneten Corsage machte Phili schwach. Er knickte, fahl, ins Knie und hing nur noch an ihren Händen. Er bettelte:

      "Sein's doch nit so bös, liebste Herzogin, Sie wussten doch, ich wollt' Sie schon längst besuchen als Don Carlos. Aber die Weiber haben mi nimmer ausgelassen. I war schon ganz hin und hab mir gedacht: Jetzt wenn du zu ihr gehst, fallst am End' ab, und aus is. Neuerdings bin i wieder stramm, und da werd' i außig'lahnt…"

      Sie drängte ihn zur Tür. Kaum losgelassen, fiel er weich hin, wie eine Gliederpuppe. Er erhob die Händchen, laut weinend:

      "Sehen's denn nicht, dass ich ein armer Teufel bin! Auf den Thronen, Frau Herzogin kennen doch das, da geht's auch nicht heiter zu. Mich haben's die letzte Zeit so arg hergenommen, — und immer hab' ich an Sie gedacht wie an unsere liebe Frau. Wenn Sie mich nicht wollen, dann stirb ich, ich hab' schon so trübe Ahnungen. Gewährend mir … das…"

      Sie setzte sich auf den Bettrand. Ihre Kraft war erschöpft; sie empfand in dem, was sie erlebte, nichts Widerwärtiges mehr und kaum noch etwas Lächerliches. Aus Gier nach der tierischen Berührung mit ihrem Fleische hatten in Paris die kalten, feinen Kavaliere sich selbst und einander umgebracht. Es war natürlich, dass das dürftige Geschöpf dort am Boden daran starb. Aber lohnte es sich der Mühe, sein Gejammer länger anzuhören? Um was er bat, das war so nichtig … Vor Müdigkeit, vor Überdruss und vor unsäglicher Verachtung dachte sie beinahe daran, es ihm zu gewähren. Da erschien ihr das weißliche Antlitz Friederikens von Schweden, flehend mit versagender Stimme.

      Der Prinz hatte seine Tränen abgewischt und sich erhoben. Sie fragte jetzt ganz gleichmütig:

      "Werden Sie gehen, königliche Hoheit?"

      "Ich geh' schon."

      Er nickte traurig.

      "Frau Herzogin wollen also wirklich nicht?"

      Sie nahm die Klingelschnur in die Hand.

      "Geh' ja schon," murmelte Phili. "Dass nur am End' zwischen uns kein fâché draus wird."

      Und er verschwand.

      In den Morgenstunden schlummerte sie. Des Thronfolgers erinnerte sie sich darauf kaum noch. Tagelang beschäftigte sie sich nicht mit Pavic. Dagegen machte sie eine Menge alter Erlebnisse noch einmal durch. Gespräche, einst in Paris oder Wien geführt, vernahm sie wieder vom ersten bis zum letzten Wort: nun hatten alle eine unerwartete Bedeutung bekommen. Die Personen standen aufs Neue vor ihr. Das waren ja Liebhaber … und das auch. Und jener dort ein betrogener Gatte. Damals hatte sie lächelnd wie im


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