Blutblume. Louise Boije af GennäsЧитать онлайн книгу.
verschwand ich in der Küche, um mir ebenfalls eine Tasse zu holen, und folgte Bella in ihr Büro. Sie hatte sich schon aufs Sofa gesetzt und betrachtete den grauen Himmel und die Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe prasselten.
»Diese Jahreszeit ist schwer für mich«, sagte sie und trank einen Schluck Kaffee.
Ich wartete ab, weil ich das Gefühl hatte, sie wollte mir etwas erzählen.
»Ich habe ein paar Jahre lang mit jemandem zusammengelebt, den ich wirklich geliebt habe«, sagte sie zögerlich, ohne den Blick vom Fenster zu lösen. »Und dann haben wir uns getrennt. Passten nicht zusammen. Wollten nicht dasselbe.«
Wieder schwieg sie, und ich wartete.
»Im Herbst wird das immer so greifbar«, fuhr sie fort. »Die langen Abende vor dem Fernseher. Man geht zum Training, kommt zurück. Steht vor dem Kühlschrank und hat überhaupt keine Idee.«
Wenn man einen Kühlschrank hat, dachte ich.
»Was ist denn mit deinen Eltern?«, fragte ich. »Wo wohnen sie?«
»Sie haben sich scheiden lassen und jetzt beide neue Familien. Ich liebe meine kleinen Geschwister, wirklich. Aber ich bin die, die ›übrig geblieben‹ ist. Ich gehöre in die Lücke zwischen zwei neu entstandenen Familien und bin darin verschwunden.«
Sie lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln. Nicht selbstmitleidig, eher niedergeschlagen.
»Ich verstehe mich gut mit ihnen allen, wir sehen uns zu Weihnachten und so«, fuhr sie fort. »Aber … mich vermisst auch niemand, wenn ich nicht dabei bin.«
»Du Arme«, sagte ich. »Wo wohnen sie denn?«
»Mein Vater wohnt in Skåne, und meine Mutter ist gerade mit ihrer Familie nach England gezogen.«
Mit einem Mal verstand ich Bellas Drang, an den Wochenenden unterwegs zu sein, viel besser.
Sie lachte.
»Ich hätte gern ein Haustier«, sagte sie. »Als ich klein war, hatten wir immer eine Katze.«
Ich musste an Simåns denken. Immerhin ein Haustier hatte ich.
In diesem Moment drehte Bella den Kopf und betrachtete mich aus dem blauen und dem grünbraunen Auge. In ihrem Blick lag eine Ernsthaftigkeit, die ich bislang noch nicht gesehen hatte.
»Vielleicht werde ich das bereuen«, sagte sie, »aber dann müssen wir eben eine andere Lösung finden. Wie auch immer, ich hab am Wochenende viel nachgedacht. Und ich will dich etwas fragen.«
Sie klang so ernst, dass sich mein Puls beschleunigte. Plötzlich hatte ich einen ganz trockenen Hals. Was hatte sie vor? Wollte sie mich bitten, wieder zu kündigen? Wollte sie mir kündigen? Wollte sie, dass ich mein Gehalt zurückgab oder die ganzen neuen Klamotten doch selbst bezahlte? Was, wenn sie selbst kündigen wollte, was würde dann aus mir werden, schließlich war ich ihre Assistentin! Gullbritt und Eva hatten gesagt, ich könnte jederzeit wiederkommen, aber das wollte ich unter keinen Umständen. Außerdem wollten sie mich mittlerweile vielleicht gar nicht mehr.
Mit einem Mal sah ich vor mir, dass ich gezwungen war, nach Örebro zurückzukehren. Wie im Schnelldurchlauf spulte sich der Samstagabend vor meinem inneren Auge ab. Die anderen Gäste, die zu betrunken gewesen waren, um zu tanzen, und ständig gegeneinanderstießen. Henkes ungeschickte Einladungen und der angeschickerte Vorschlag, »dich in Stockholm besuchen zu kommen«. Sallys freizügiges Gackern, das ihre rotweinfleckigen Zähne entblößte. Das Paar, das auf dem Sofa saß und extrem fummelte. Liams Hand auf meinem Hintern und mein Impuls, ihm dafür eine zu scheuern – dem ich nicht nachkam, weil ich wusste, dass ich ihn sonst richtig verletzen würde.
Das überwältigende Gefühl von Einsamkeit.
Und dann der eiskalte Spaziergang nach Hause und alle Erinnerungen, die er zum Leben erweckte. Die Angst, die mich überkam, sobald ich ein unerwartetes Geräusch hörte. Ich war gegangen, ohne mich zu verabschieden und in der Überzeugung, der kurze Spaziergang würde dazu beitragen, dass es mir gleich wieder besser ging. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich verfolgt fühlen würde. Jemand lief ein Stück hinter mir: Ich konnte Schritte hören, selbst vereinzeltes Räuspern, aber immer, wenn ich mich umdrehte, war niemand dort. Mein Herz schlug schneller, und als ich endlich meine Straße erreicht hatte, fing ich an zu laufen. Ich war überzeugt, dass mir ein Schatten folgte und nur auf die Gelegenheit wartete, sich auf mich zu stürzen.
Wer immer er war, er lief nach wie vor frei herum.
Mama, die noch wach war und in der Küche wartete, wollte sofort wissen, ob ich eine gute Zeit gehabt hatte – ganz als wäre ich wieder fünfzehn und in der Neunten. Ihr Blick verriet mir, dass ich – ganz wie sie selbst – sehr, sehr zart war und jederzeit zusammenbrechen könnte. Egal wie tough und erfolgreich ich werden und wie viel ich erreichen würde, ich würde sie nie vom Gegenteil überzeugen können.
Bella holte tief Luft. Dann lächelte sie plötzlich ihr typisches, breites, strahlendes Bella-Lächeln, das so ansteckend war, dass man es sofort erwidern musste.
»Jetzt guck nicht gleich so erschrocken«, sagte sie. »Tut mir leid – ich bin hier wohl gerade etwas zu sehr mit der Vergangenheit beschäftigt. Nein, ich wollte dich einfach fragen, ob du bei mir einziehen willst. Meine Wohnung mit mir teilen. Du und deine Katze und ich. Wir hätten sicher eine Menge Spaß.«
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