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Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe). August SchraderЧитать онлайн книгу.

Schicksalspirouetten (Gesamtausgabe) - August Schrader


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indem sie sich auf einem Stuhl niederließ; »die Luft ist heute warm und rein, sie wird Sie erquicken.«

      »Ausgehen? Ich?«, antwortete der Greis lächelnd. »Meine alten Füße würden mich nicht weit tragen, und dann bedenken Sie einmal die steilen, hohen Treppen! Ich werde diese Wohnung wohl erst dann verlassen, wenn man mich hinausträgt! So Gott will, liegt dieser Zeitpunkt nicht mehr fern.«

      »Beruhigen Sie sich«, tröstete das junge Mädchen teilnehmend, »die Zukunft wird sich besser gestalten, als Sie glauben.«

      »Ich hoffe nichts mehr von der Zukunft, mein liebes Kind, denn ein Greis in meinen Jahren hat keine Zukunft mehr. Und wollen Sie die kurze Frist, die ich noch zu leben habe, Zukunft nennen, so muss ich Ihnen offen bekennen, dass ich auch davon nichts erwarte als körperliches und geistiges Elend. Ich habe mit der Welt abgeschlossen, weder Furcht noch Hoffnung finden ein Plätzchen in meiner Brust. Die einzige Freude bereiten Sie mir durch Ihre menschenfreundlichen Besuche; doch auch diese ist nicht ungetrübt, denn wenn ich bedenke, mit welchen Unannehmlichkeiten und Überwindungen Sie zu kämpfen haben …«

      »Sprechen wir nicht davon«, fuhr Anna rasch fort; »wenn ich Sie heiter antreffe, ist mein Wunsch erfüllt.«

      »Gott lohne es Ihnen mit einer herrlichen, glücklichen Zukunft!«, rief Wilibald, indem er seine verschlungenen Hände gen Himmel richtete. »Doch eine Frage erlauben Sie mir, mein liebes Fräulein: Ich weiß bis jetzt nicht, welchen Namen ich in mein Gebet einschließen soll, wenn ich abends und morgens an meinen wohltätigen Engel denke – o nennen Sie mir Ihren Namen!«

      »Nennen Sie mich Anna«, sprach das junge Mädchen errötend, »doch nicht nur abends und morgens, ich wünsche, dass Sie mich immer so nennen.«

      »Sie machen mich glücklich durch diese Erlaubnis, denn mein Herz hat sich schon daran gewöhnt, Sie als meine Tochter zu betrachten – pflegen Sie mich doch wie einen Vater; darum lassen Sie mich dankbar sein und Sie wie eine Tochter lieben!«

      Der Erguss der Dankbarkeit des Greises hatte die arme Anna, die so gern eine solche Unterhaltung vermieden hätte, in die peinlichste Verlegenheit gesetzt. Vergebens sann sie darauf, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand hinzuleiten; sie konnte aber in ihrer Verwirrung keinen finden und musste sich begnügen, ihr flammendes Gesicht mit dem Taschentuch zu verdecken. Der alte Wilibald hatte sich erschöpft auf dem Stuhl vor seinem Arbeitstisch niedergelassen.

      »Wie geht es Ihrer armen kranken Nachbarin?«, rief Anna plötzlich, die froh war, ein anderes Gesprächsthema gefunden zu haben.

      »Frau Bertram ist noch immer leidend«, antwortete Wilibald, »die Aufregung von gestern hat sie so erschüttert, dass sie das Zimmer noch nicht verlassen kann.«

      »Wer pflegt denn die arme Frau?«

      »Wer sie pflegt? Ihr Sohn, und in dessen Abwesenheit – ich!«

      »Sie, Herr Wilibald, der der Pflege selbst bedarf?«

      »Ich muss wohl, wenn Richard gezwungen ist, nach Arbeit auszugehen.«

      »Nehmen Sie«, sprach Anna und legte eine kleine Börse auf den Tisch, »hier sind Mittel, um einen Arzt zu beschaffen.«

      »Anna, Anna!«, rief der Greis, »Sie tun des Guten zu viel – erst gestern waren Sie so großmütig und heute …«

      In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Richard, Frau Bertrams Sohn, trat ein; als er jedoch den Besuch erblickte, verbeugte er sich, wie es schien, bestürzt und wollte sich wieder entfernen.

      »Bleiben Sie, Richard«, sprach Wilibald, indem er aufstand, »denn ich möchte Sie unserer gemeinschaftlichen Schützerin vorstellen; Sie kommen gerade zur rechten Zeit!«

      Anna winkte dem Greis; dieser aber, vom Gefühl der Dankbarkeit durchdrungen, achtete nicht darauf, ergriff die Hand Richards und sprach:

      »Richard Bertram, ein Schriftsteller mit einem schönen Talent begabt. Leider liegt es jetzt unter der Last politischer Ereignisse begraben; ich hege indes die feste Hoffnung, dass es sich bald eine schöne Geltung verschaffen wird.«

      »Mein Herr«, antwortete Anna, ihre Fassung nur mit Mühe behauptend, »als eine Verehrerin der Dichtkunst schätze ich mich glücklich, einen ihrer Jünger kennenzulernen; erlauben Sie mir, dass ich Ihnen die ausgesprochene Hoffnung des Herrn Wilibald als meinen herzlichsten Wunsch zu erkennen gebe.«

      Richard vermochte nur: »Mein Fräulein« zu stammeln und sich tief, wie vor einer Königin, zu verbeugen. Sein Anzug war, obwohl ärmlich, dennoch sauber und ganz geeignet, die schlanke, kräftige Gestalt in einem vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen. Das feine weiße Gesicht des jungen Mannes war in diesem Augenblick mit einer Purpurröte übergossen, die von einer ungewöhnlichen Bewegung seines Innern zeugte; sein langes braunes Haar hing in natürlichen Locken auf die Schultern herab, und das große blaue Auge haftete wie angewurzelt auf dem Boden. Die Gegenwart des jungen Mädchens, das Richard zwar schon gesehen, aber nicht gesprochen hatte, schien ihn außergewöhnlich zu berühren, denn er war seiner so wenig Herr, dass er die Regeln des Anstandes und eine passende Antwort auf Annas freundliche Anrede völlig vergaß.

      Obgleich Anna bei dem Anblick des jungen Mannes nicht minder verwirrt war, so hatte sie doch zu viel Takt, um sich ganz von dem Eindruck bemeistern zu lassen. Ein seltsames Gefühl, dessen Ursprung sie im ersten Augenblick in dem Mitleid suchte, das sie für den armen, jungen Mann empfand, hatte sich ihrer Brust bemächtigt, denn dass es mehr sei, konnte sie nicht glauben, da sie ihn erst einige Male flüchtig gesehen hatte. Annas Mitleid war zu groß mit dem verlegenen Richard, als dass sie ihn länger in dieser peinlichen Lage lassen konnte; mit dem artigen Ton einer gebildeten Dame unterbrach sie die eingetretene Stille, noch ehe es Herr Wilibald vermochte, der schon Miene dazu machte.

      »Mein Herr«, sprach sie, »in einigen Tagen ist der Geburtstag meines Vaters. Ich gedenke ihn dieses Jahr festlicher zu begehen als sonst, da er seit kurzer Zeit von einer schweren Krankheit genesen ist: Würden Sie mir wohl zu diesem Zweck ein passendes Gedicht liefern?«

      »O wie gern!«, stammelte Richard und sein Auge blickte ermutigt empor; doch wie von dem Strahl einer mächtigen Sonne geblendet, schlug er die Blicke wieder zu Boden, denn er hatte in Annas liebliche Augen geschaut, die voll unaussprechlicher Milde und Empfindung auf ihn gerichtet waren. Auch das junge Mädchen, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, bebte zurück – weshalb, wusste sie sich nicht zu erklären; sie fühlte nur, dass ihr ganzes Gesicht wie Feuer brannte und dass ihr Blut heftiger in den Adern pulsierte als sonst.

      Auch diesmal trat die Zeit als Vermittlerin auf, denn die Uhr der nahen Pfarrkirche kündigte die Mittagsstunde an.

      »Zwölf Uhr«, lispelte sie, »ich muss eilen! Kann ich mir vielleicht übermorgen das Gedicht von Herrn Wilibald holen oder abholen lassen?«

      »Es wird bereit sein«, antwortete Richard, indem er sich tief verneigte.

      »So leben Sie wohl, Herr Wilibald!«

      Anna reichte dem Greis die Hand, grüßte den immer noch bestürzten Richard durch eine anmutige Verbeugung und verschwand wie eine Fee durch die kleine Tür. Als Wilibald wieder öffnete, um ihr das Geleit zu geben, hörte man ihren leichten Fußtritt schon auf den unteren Stufen der Treppe.

      »Wer ist die junge Dame?«, rief Richard, als der alte Mann ins Zimmer zurückkehrte. Verwundert über den Ton blickte dieser den hastig Fragenden an.

      »Ich weiß es nicht, lieber Richard.«

      »Wie, Sie wissen es nicht?«

      »Nein, alles, was ich weiß, ist, dass sie Anna heißt.«

      »Wie kommt es aber, dass Sie öfter Besuche von ihr erhalten? Wenn ich nicht irre, sah ich sie auch gestern in Gesellschaft einer älteren Dame bei Ihnen?«

      »Sie haben sich nicht geirrt, mein junger Freund. Beide Damen beehrten mich schon während meiner Krankheit mit ihrem Besuch. Ich bin ihnen zu hohem Dank verpflichtet.«

      »Aber mein Gott«, rief Richard ungeduldig und verwundert zugleich, »wissen Sie denn nichts weiter als


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