Die Kindermörderin. Ein Trauerspiel. Heinrich Leopold WagnerЧитать онлайн книгу.
Heinrich Leopold Wagner
Die Kindermörderin
Ein Trauerspiel
Reclam
1969 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960965-2
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-005698-1
[4]Personen
Martin Humbrecht, ein Metzger.
Frau Humbrecht.
Evchen Humbrecht, ihre Tochter.
Lisbet, ihre Magd.
Magister Humbrecht.
Major Lindsthal.
Lieutenant von Gröningseck.
Lieutenant von Hasenpoth.
Wirthinn im gelben Kreutz.
Marianel, eine Magd darinn.
Frau Marthan, eine Lohnwäscherinn.
Fiskal.
Zween Fausthämmer.
Blutschreyer, Geschworne; (stumme Personen.)
Der Schauplatz ist in Straßburg, die Handlung währt neun Monat.
[5]Erster Akt.
(Ein schlechtes Zimmer im Wirthshaus zum gelben Kreutz: die Art, wie es meubliret seyn muß, ist aus dem Akt selbst zu ersehn: auf der Seite eine Thüre, die in eine Nebenkammer führt. Lieutenant von Gröningseck führt Frau Humbrecht an der Hand herein. Evchen ihre Tochter geht hinter drein: die Frauenzimmer haben Domino, Er eine Wildschur an; alle noch ihre Masken vor.)
MARIANEL.
(setzt ein Licht auf den Tisch, im Abgehn.) Sie haben schon befohlen? (Lieutenant winkt ja, Magd ab.)
FR. HUMBRECHT.
(die Maske vom Gesicht ziehend.) Herr Hauptmann! sie stehn mir doch –
V. GRÖNINGSECK
(wirft Wildschur, Maske und Hut hin.) Für alles, liebe Frau Humbrecht! für alles! – Ein Mäulchen, Kleine! das ist Ballrecht: (zieht Evchen die Maske auch ab) sey doch nicht so kleinstädtisch; ein Mäulchen! sag ich: (küßt sie; zur Mutter) Noch aber bin ich nicht Hauptmann, und ich laß mich nicht gern mehr schelten, als ich bin.
FR. HUMBRECHT
(verneigt sich) Wie sie befehlen: sie stehn mir doch, Herr Major –
V. GRÖNINGSECK.
Bravo! bravo! immer besser! ha ha ha!
EVCHEN.
Ey, Mutter, stell sie sich doch nicht so artig; Major ist ja noch mehr als Hauptmann, sie weiß ja gar nichts. – Der Herr Lieutenant wohnt schon einen ganzen Monat bey uns –
V. GRÖNINGSECK.
Einen Monat und drey Tage, mein Kind! ich hab jede Minute gezählt.
[6]EVCHEN.
Denk doch! ist ihnen die Zeit so lang geworden.
V. GRÖNINGSECK.
Noch nicht! aber bald möchte sie mirs werden, wenn du nicht –
EVCHEN.
Du! seit wann so vertraut?
V. GRÖNINGSECK.
Zank nicht Evchen! zank nicht! müßt mir heut nichts übel nehmen Leutchen, ich hab ein Gläschen Liqueur zuviel.
FR. HUMBRECHT.
Was ich fragen wollt, Herr Leutenant, sie stehn mir doch davor, daß wir in einem honetten Haus sind?
V. GRÖNINGSECK.
So soll mich der Teufel lebendig zerreißen, Frau Humbrecht! wenn hier nicht täglich alles, was beau monde heißt, zusammenkommt: – sehn sie nur an, wie schlecht das Zimmer meublirt ist. –
FR. HUMBRECHT.
Eben drum!
V. GRÖNINGSECK.
Eben drum! freilich, eben drum! Das macht die guten Zimmer sind alle schon besetzt. Meynt sie denn pardieu! der Lieutenant von Gröningseck würde sich sonst in einen solchen Stall weisen lassen. Drey Stühl, und ein Tisch, den man nicht anrühren darf! (er stößt daran, der Tisch fällt um, das Licht mit, geht aus.)
FR. HUMBRECHT.
Herr Jemine das Licht! Herr Leutenant, das Licht!
V. GRÖNINGSECK
(ihr nachäffend.) Das Licht! das Licht! hat der Henker das geholt, so gibts noch andre. – Wo ist der Leuchter? – (sucht.)
EVCHEN.
Hier hab ich ihn schon.
V. GRÖNINGSECK.
Wo? wo?
EVCHEN.
Ey hier! sie greifen ja dran vorbey – pfuy! –
FR. HUMBRECHT.
Was ist? was giebts?
V. GRÖNINGSECK.
Gar nichts! (nimmt den Leuchter ab, und geht nach der Thüre) Hola, des flambeaux! (Ein altes Weib hält ihm ohne sich recht sehn zu lassen ein Licht hin, er steckt seines an.)
EVCHEN
(sich die Hände am Schnupftuch abwischend) Ey da hab ich mir die Hände am Inschlitt beschmiert. [7](Wirft dem Lieutenant heimlich einen drohenden Blick zu: er lächelt)
FR. HUMBRECHT.
Wenns sonst nichts ist –
V. GRÖNINGSECK.
(stellt den Tisch wieder auf, das Licht drauf.) Das war ma foi ein Hauptspaß! eben red ich von dem krüpplichten Hund, da stürzt die Kanaille zu Boden – Bald hätten wir das Beste übersehn, le diable m’emporte, c’est charmant! c’est divin! seht doch das Stellagie da an, halb Bett, halb Kanape; ich glaub gar es ist ein Feldschragen, den sie aus dem Spital gestohlen haben; ha ha ha! – Was wett ich, sie haben kein so schönes Brautbett gehabt, Frau Humbrecht? – Zwar nur ein Strohsack – (drückt mit der Hand drauf) aber doch gut gefüllt, – elastisch! –
FR. HUMBRECHT
(halb böse.) Ey was, Herr Leutenant! in Gegenwart meiner Tochter –
V. GRÖNINGSECK.
Muß ich sie küssen – guckst scheel Evchen? – noch einmal, dem Evchen zum Possen! – so! aller guter Ding sind drey. – (geht auf Evchen los, bietet ihr die Hand, sieht ihr starr in die Augen, sachte zur Tochter) Das war Strafe für dein unzeitiges Pfui! (Evchen lacht, schlägt ein.)
FR. HUMBRECHT
(während obiger Pantomime) Er ist zum Fressen der kleine Narr! man muß ihm gut seyn, nicht ob man will: wie Quecksilber, bald da, bald dort.
MARIANEL
(kommt) Befehlen sie, daß man aufträgt?
V. GRÖNINGSECK.
Das versteht sich pardieu! je eher je besser, und je mehr je lieber!
FR. HUMBRECHT.
Komm Eve! ich