Stolz und Vorurteil. Jane AustenЧитать онлайн книгу.
Jane Austen
Stolz und Vorurteil
Roman
Aus dem Englischen übersetzt von
Ursula und Christian Grawe
Nachwort und Anmerkungen
von Christian Grawe
Reclam
Englischer Originaltitel:
Pride and Prejudice
1977, 2015 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung, Hamburg, unter Verwendung eines Farbkupferstichs »Rosa gallica aurelianensis – La Duchesse d’Orléans« von Langlois nach Pierre-Joseph Redouté (1759–1840). akg-images
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960983-6
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020408-5
Kapitel 1
Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass ein alleinstehender Mann im Besitz eines hübschen Vermögens angeblich nichts dringender braucht als eine Frau.
Zwar sind die Gefühle oder Ansichten eines solchen Mannes bei seinem Zuzug in eine neue Gegend meist unbekannt, aber diese Wahrheit sitzt in den Köpfen der ansässigen Familien so fest, dass er gleich als das rechtmäßige Eigentum der einen oder anderen ihrer Töchter gilt.
»Mein lieber Mr. Bennet«,1 sagte seine Gemahlin eines Tages zu ihm, »hast du schon gehört, dass Netherfield Park endlich vermietet ist?«
Das habe er nicht, antwortete Mr. Bennet.
»Doch, doch«, erwiderte sie, »Mrs. Long war nämlich gerade hier und hat es mir lang und breit erzählt.«
Mr. Bennet gab keine Antwort.
»Willst du denn gar nicht wissen, an wen?«, rief seine Frau ungeduldig.
»Du willst es mir erzählen; ich habe nichts dagegen, es mir anzuhören.«
Das genügte ihr als Aufforderung.
»Stell dir vor, mein Lieber, Mrs. Long sagt, dass ein junger Mann aus dem Norden Englands mit großem Vermögen Netherfield gemietet hat; dass er am Montag in einem Vierspänner heruntergekommen ist, um sich den Besitz anzusehen, und so entzückt war, dass er mit Mr. Morris sofort einig geworden ist; noch vor Oktober will er angeblich einziehen, und ein Teil seiner Dienerschaft soll schon Ende nächster Woche im Haus sein.«
»Wie heißt er denn?«
»Bingley.«
»Ist er verheiratet oder ledig?«
»Na, ledig natürlich! Ein Junggeselle mit großem Vermögen; vier- oder fünftausend pro Jahr. Ist das nicht schön für unsere Mädchen!«
»Wieso? Was hat das mit ihnen zu tun?«
»Mein lieber Mr. Bennet«, erwiderte seine Frau. »Wie kannst du nur so schwerfällig sein! Du musst dir doch denken können, dass er eine von ihnen heiraten soll.«
»Ist er deshalb hierhergezogen?«
»Deshalb! Unsinn, wie kannst du nur so etwas sagen! Aber es könnte doch gut sein, dass er sich in eine von ihnen verliebt, und darum musst du ihm einen Antrittsbesuch machen, sobald er kommt.«
»Dazu sehe ich gar keine Veranlassung. Warum gehst du nicht mit den Mädchen hin, oder besser noch, schick sie allein, sonst wirft Mr. Bingley noch ein Auge auf dich; so hübsch wie sie bist du allemal.«
»Du schmeichelst mir, mein Lieber. Meine Schönheit – das war einmal, aber jetzt halte ich mir darauf nicht mehr viel zugute. Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, sollte sie nicht mehr von ihrer eigenen Schönheit reden.«
»In solchen Fällen ist ihre Schönheit oft auch nicht mehr der Rede wert.«
»Trotzdem, mein Lieber, du musst unbedingt Mr. Bingley besuchen, wenn er eingezogen ist.«
»Das ist mehr, als ich versprechen kann.«
»Aber denk doch an deine Töchter. Was für eine Partie wäre das für eine von ihnen. Sogar Sir William und Lady Lucas wollen bei ihm vorsprechen, und zwar nur deshalb, denn im Allgemeinen machen sie neuen Nachbarn ja keine Besuche. Du musst einfach hingehen. Wie können wir ihn denn besuchen, wenn du nicht gehst.«
»Du hast zu viele Bedenken. Ich bin überzeugt, Mr. Bingley freut sich über euren Besuch. Ich gebe dir ein paar Zeilen mit meiner herzlichen Zustimmung mit, diejenige meiner Töchter zu heiraten, die ihm am besten gefällt. Allerdings muss ich ein gutes Wort für meine kleine Lizzy einlegen.«
»Das wirst du nicht tun. Lizzy ist keinen Deut besser als die anderen; wenn du mich fragst, ist sie bei weitem nicht so hübsch wie Jane und bei weitem nicht so vergnügt wie Lydia. Aber immer ziehst du sie vor.«
»Keine von ihnen ist besonders empfehlenswert«, antwortete er; »sie sind alle genauso albern und dumm wie andere Mädchen. Nur begreift Lizzy etwas schneller als ihre Schwestern.«
»Mr. Bennet, wie kannst du nur über deine eigenen Kinder so abfällig reden! Es macht dir Spaß, mich zu ärgern. Mit meinen armen Nerven hast du wohl gar kein Mitleid.«
»Du missverstehst mich, meine Liebe. Ich habe großen Respekt vor deinen Nerven. Sie und ich sind alte Freunde. Seit mindestens zwanzig Jahren höre ich dich von ihnen mit großer Besorgnis sprechen.«
»Oh, du ahnst ja nicht, was ich durchmache!«
»Ich hoffe, du wirst es überleben und noch viele junge Männer mit viertausend pro Jahr hierherziehen sehen.«
»Da du sie nicht besuchen willst, werden uns auch zwanzig nicht retten.«
»Sei überzeugt, meine Liebe, wenn zwanzig da sind, besuche ich sie einen nach dem anderen.«
In Mr. Bennet vereinigten sich Schlagfertigkeit, sarkastischer Humor, Gelassenheit und kauzige Einfälle zu einer so merkwürdigen Mischung, dass es seiner Frau auch in dreiundzwanzig Ehejahren nicht gelungen war, ihn zu begreifen. Ihr Gemüt war leichter zu durchschauen. Sie war eine Frau von geringer Einsicht, wenig Weltkenntnis und vielen Launen. Wenn sie unzufrieden war, glaubte sie, nervöse Zustände zu haben. Ihre Lebensbeschäftigung war die Verheiratung ihrer Töchter, Besuche und Neuigkeiten waren ihr Lebenstrost.
Kapitel 2
Mr. Bennet war einer der Ersten, die Mr. Bingley ihre Aufwartung machten. Er hatte von Anfang an vorgehabt, ihn aufzusuchen, obwohl er seiner Frau bis zuletzt das Gegenteil versichert hatte; und bis zum Abend nach dem Besuch wusste sie auch nichts davon. Dann aber kam es folgendermaßen ans Licht: Mr. Bennet sah seiner zweiten Tochter beim Annähen eines Hutbandes zu und sagte plötzlich zu ihr:
»Hoffentlich gefällt der Hut Mr. Bingley, Lizzy.«
»Wie sollen wir denn wissen, was Mr. Bingley gefällt«, sagte ihre Mutter pikiert, »wenn wir ihn nicht besuchen dürfen.«
»Aber vergiss nicht, Mama«, sagte Elizabeth, »dass wir ihm in Gesellschaft begegnen werden und Mrs. Long versprochen hat, ihn uns vorzustellen.«
»Mrs. Long wird nichts dergleichen tun. Sie hat selbst zwei Nichten und ist eine egoistische Heuchlerin. Ich halte gar nichts von ihr.«
»Ich auch nicht«, sagte Mr. Bennet, »und wie ich glücklicherweise sagen kann, werdet ihr auf die Gefälligkeit auch nicht angewiesen sein.«
Mrs. Bennet ließ sich zu keiner Antwort herab, aber da sie sich