Die Tote hinter der Nightwood Bar. Katherine V. ForrestЧитать онлайн книгу.
Sie erfrischend wenig in Abwehrstellung.«
»Ich habe ihnen zugehört«, sagte Andrea schwermütig, »wie sie sich über ihr Leben beklagten, darüber, wie die Welt mit ihnen umgeht. Ich sehe das so: Diese Welt ist vielleicht beschissen, aber es ist die einzige Welt, die wir haben, und ich sehe nicht, wie sich irgendetwas an ihr ändern soll, wenn man versucht, sie zu verlassen. Aber Patton und die Frauen hier reden meistens über nichts anderes, wenn es um Politik geht – ihr Traum ist eine zweigeteilte Welt.«
Andrea sprach zwanglos, sie setzte ein gemeinsames Verständnis voraus. Kate fragte sich, ob ihre Äußerungen Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Polizei bedeuteten oder einfach Bestandteil einer Unterhaltung mit einer anderen Lesbe waren. Kate fiel wieder Maggies Urteil über die Frau ein, die vor ihr saß, und sie wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht: »Aber dennoch, Sie machen irgendwie einen … bitteren Eindruck.«
Andrea zuckte die Achseln. »Man kann aus Gründen bitter sein, die nichts mit Lesbenpolitik zu tun haben.«
Diese Feststellung und der ausdruckslose Ton ihrer Stimme luden zu keinem weiteren Kommentar und keiner weiteren Frage ein. »Dory Quillin«, sagte Kate. Nachdem jetzt ein wenn auch noch mageres Vertrauensverhältnis hergestellt war, gab Kate dem Gespräch eine andere Richtung. »Kannten Sie sie?«
»Ich wusste, wie sie hieß, und kannte sie vom Sehen und Hörensagen. Sie hat mir einmal Avancen gemacht. Danach sagte sie immer Hallo zu mir. Würden Sie sagen, dass ich sie gekannt habe?«
Kate sah auf ihre Notizen. Diese Frau hatte Stil, war faszinierend und beunruhigend. »Sie kannten sie vom Sehen. Welchen Eindruck hatten Sie von ihr?«
»Ein herzzerreißend schönes Kind.«
»Das Ihnen Avancen gemacht hat«, sagte Kate mit härterer Stimme.
»Dieses umwerfend schöne Kind war in verzweifelter Not und vollkommen durcheinander. Ich brauchte keinen Psychiater, um das zu sehen. Ich bin erst dreiunddreißig, aber um ehrlich zu sein, allein die Vorstellung, eine Frau im Bett zu haben, die so viel Hilfe brauchte, hat mich erschöpft.«
Kate schmunzelte. Andrea sah sie ausdruckslos an und nahm dann einen Schluck von ihrem Drink. »Sie wirkte auf alle Frauen hier faszinierend«, sagte sie. »Aber sie zerrissen sich auch den Mund über sie, sie hatte etwas so Wildes an sich. Sie spekulierten die ganze Zeit herum, die wüstesten Sachen …«
»Was für wüste Sachen?«
»Drogen, Frauen, Männer, Mafia, Orgien … was immer ihre Phantasie zutage förderte. Dory gehörte nicht hierher. Die meisten Mädels in ihrem Alter hängen im Peanuts rum oder in den Bars im Valley. Man konnte sehen, dass sie nach etwas anderem suchte. Nach einer mütterlichen Liebe.«
Andrea sah von Kate weg und fuhr mit müder Stimme fort: »Lesbierinnen glauben gerne von sich, sie hätten eine aufgeklärtere Einstellung zu Altersunterschieden in ihren Beziehungen. Aber manchmal denke ich, wir versuchen einfach nur zu der Zeit der Sicherheit zurückzukehren, in der wir die Töchter unserer Mütter waren. Zurück zu der Zeit, in der wir Kinder waren, keine Ahnung von Männern hatten und davon, wie sehr sie unser Leben kontrollieren würden.«
Kate nickte. Sie hätte so lange sitzen bleiben mögen, wie Andrea Ross Lust hatte weiterzureden.
»Die Frauen hier drinnen trinken Alkohol, aber sie nehmen keine illegalen Drogen oder Tabletten, das lehnen sie ab. Sie sind hart gegen alles, was sie nicht verstehen, wovor sie Angst haben. Sie sind zu weit entfernt von einer Dory Quillin.«
»Hatte Dory Quillin mit Drogen zu tun?«, fragte Kate vorsichtig.
»Wer hat das nicht?«
Kate wartete.
Nach einer Weile sagte Andrea: »Ich will es mal so ausdrücken: Sie lud mich ein, mit zu ihrem Bus zu kommen, und bot mir etwas Coke an, falls ich Interesse hätte. Und ich glaube nicht, dass sie damit das Zeug in den Dosen meinte.«
»Aber Sie sind nicht mitgegangen?«, hakte Kate nach.
»Ich stand nicht auf sie und ich stehe nicht auf Drogen. Was weder etwas mit dem Altersunterschied noch mit Tugend zu tun hat. Mein Bruder ist an einer Überdosis gestorben, als er siebzehn war.«
»Das tut mir leid«, sagte Kate mitfühlend.
Andreas Schulterzucken war eine Gewohnheitsgeste, wie Kate sehen konnte, ein Mittel, um Zeit zu gewinnen, bis sie ihre Gedanken wieder beisammenhatte. »Seit seinem zehnten Lebensjahr war Tony auf der Suche nach einem Weg, sich umzubringen – ich werde nie wissen, warum.«
Kate sah sie aufmerksam an. »Und Sie hatten das gleiche Gefühl bei Dory Quillin? Haben Sie sie deshalb gemieden?«
Andreas Augen wurden abweisend, und sie drehte langsam das Glas in ihrer schlanken Hand. »Ich fühlte mich überfordert, deshalb habe ich sie gemieden. Das würde mir mit jeder so gehen. Momentan brauche ich alles, was ich habe, für mich selbst.«
Ihre Augen hellten sich wieder auf; sie sah Kate mit einer Offenheit an, die diese aus der Fassung brachte. »Ich hatte nie den Eindruck, dass sie selbstzerstörerisch war. Ganz im Gegenteil. Sie hatte etwas sehr Gesundes an sich, das darum kämpfte, herauszukommen.«
Kate notierte sich diese Äußerung, die sie ebenso tröstlich wie traurig fand. »Ich weiß, dass Sie erst seit zwei Wochen hierherkommen …« Sie brach ab, als Andrea beide Augenbrauen hob. »Eine der Frauen hat es mir erzählt. Ermittlungen sind nur möglich, weil die eine Hälfte der Welt über die andere klatscht.« Sie formulierte ihre Frage vorsichtig: »Wissen Sie zufällig, ob eine der Frauen, die heute Abend hier waren, eine mehr als oberflächliche Beziehung zu Dory gehabt hat?«
»Patton.«
Kate nahm das enttäuscht auf; dann regte sich Erstaunen in ihr. »Patton«, sagte sie und sah dabei das blonde Kind auf dem Parkplatz vor sich. »Ein irgendwie … seltsames Paar«, murmelte sie. »Finde ich.«
»So wie die anderen Frauen Patton damit aufzogen, scheint es nur kurz gedauert zu haben. Ich würde sagen, sie hat Dory als Indoktrinationsobjekt benutzt … Patton ist genau der Typ dazu. Ein paar von den jungen Frauen in Dorys Alter sind sicher für so was anfällig, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Dory sich sonderlich für politische Reden interessiert hat. Ihre Not schien mir entschieden grundsätzlicherer Natur zu sein …« Sie trank ihr Glas aus und stellte es resolut auf den Tisch.
Kate fielen keine weiteren Fragen an Andrea Ross mehr ein, außer persönlichen Fragen, die unangebracht waren. »Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte sie.
»Eins noch«, sagte Andrea. »Da war jemand hier, vielleicht so vor zwei Wochen. Eine schwarze Frau um die vierzig. Ich hörte, wie die Frauen sie Neely nannten. Sie haben über sie geredet, nachdem sie weg war. Sie war eine Zeitlang mit Dory zusammen, wie lange, weiß ich nicht.«
»Hat sie Dory gesucht?«
»Das weiß ich nicht. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sie früher regelmäßig hergekommen, aber nicht mehr, seit Dory hier verkehrte.«
»Danke.« Kate reichte Andrea eine ihrer Karten.
Andrea drehte die Karte um: »Detective Kate Delafield«, sagte sie. »Sie wollen also, dass ich Sie anrufe.«
Sie sah Kate nicht an. Ihr Tonfall gab ihren Worten eine unmissverständliche Bedeutung.
Wenn Ihnen noch etwas einfällt, was Sie mir zu diesem Fall sagen könnten, hätte Kate ihr sagen sollen, ihr sagen müssen. Stattdessen antwortete sie: »Ja.«
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