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Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr. Albrecht GralleЧитать онлайн книгу.

Wie Opas schwarze Seele mit einem blauen Opel gen Himmel fuhr - Albrecht Gralle


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meine Mutter ihren Vater zu sich holen. Mein eigener Vater war vor zwei Jahren gestorben, und ich bekam allmählich das Gefühl, dass in unserer Familie alle Männer starben, weil der andere Opa, also der Vater meines Vaters, schon im Krieg gestorben war. Ich fragte mich, wann Sven, mein Bruder, und ich dran wären. Aber so richtig glaubte ich nicht daran, dass wir demnächst sterben würden. Ich fühlte mich noch ziemlich fit, hatte keinen Krebs (ein merkwürdiges Wort), und mein Herz schlug regelmäßig, außer, wenn ich beim Sportunterricht zufällig neben Leili stand. Na ja, es war nicht immer zufällig. Übrigens möchte ich mal sagen, dass sich Jungs schon mit elf verlieben können, nicht erst, wenn sie Stimmbruch haben. Eigentlich auch schon mit sechs. Ich muss es schließlich wissen.

      Übrigens wohnten wir deshalb in einem Haus, weil Onkel Georg uns ein Haus geschenkt hat, als mein Vater gestorben ist. Er hat, glaube ich, drei davon. Außerdem ist er stinkreich. Wahrscheinlich wollte er nicht, dass der Schuppen total auseinanderfällt. Das Haus sah von außen etwas hässlich aus, aber wir Kinder hatten zumindest ein eigenes Zimmer. Vorher hatten wir ziemlich eng zur Miete in einem Dreifamilienhaus gewohnt. Onkel Georg besserte auch die Witwenrente meiner Mutter auf. Trotzdem mussten wir einigermaßen sparsam leben.

      Auf jeden Fall waren meine Geschwister und ich nicht gerade begeistert, plötzlich einen alten Mann im Haus zu haben.

      „Der meckert nur den ganzen Tag an uns herum“, maulte mein Bruder.

      „Ach was, er ist nicht ständig da“, sagte meine Mutter. „Er lebt im Prinzip in seiner eigenen Wohnung und kommt zum Essen rüber, aber damit er nicht so allein ist, zieht er eben zu uns. Wir haben dieses große Haus bekommen, da kann man auch mal ein Stück abgeben. Außerdem hat er ein Auto und fährt auch. Das ist ganz praktisch für mich, wenn ich größere Sachen einkaufen muss. Er ist auch gar nicht so hilflos und kann sich gut alleine beschäftigen. Was er braucht, ist nur etwas Familienanschluss.“

      Familienanschluss! Ein komisches Wort, dachte ich. Das hört sich so an, wie wenn man eine Wasserleitung irgendwo anschließt oder ein neues Stromkabel verlegt. Übrigens gibt es viele seltsame Worte, manchmal auch welche, die wirklich gut klingen und was darstellen, zum Beispiel Wolkenbruch.

      „Ich könnte ja den Führerschein machen“, sagte Sven zu meiner Mutter, „und dann fahre ich dich überallhin.“

      „In der Zwischenzeit ist es ganz praktisch, jemanden zu haben, der fährt.“

      „Warum machst du eigentlich nicht selbst den Führerschein?“, piepste Anna, meine kleine Schwester. Sie ist sieben, in der ersten Klasse und lernt ganze Wörter auf einen Schlag, obwohl sie noch nicht alle Buchstaben kennt. Meine Mutter sagte, die Kinder kämen ganz durcheinander. Vor zwanzig Jahren hätten sie auch schon mit diesem Mist angefangen. Ich hatte Glück, weil ich in der ersten Klasse jeden Buchstaben einzeln gelernt habe, und danach konnte ich eigentlich alle Wörter lesen, auch die, die ich gar nicht kannte, zum Beispiel Fatalismus. Zuerst dachte ich, es hätte was mit dem Wort Vater zu tun, aber jetzt weiß ich, dass es bedeutet: Ist sowieso alles egal.

      Übrigens sieht meine Schwester Anna meistens niedlich aus. Sie flechtet sich (oder flicht sich? Egal). … Sie macht sich jedenfalls eine Menge kleiner Zöpfe in ihre blonden Haare, und die hüpfen dann hin und her, wenn sie durch die Gegend läuft. Als sie kleiner war, hat sie mir immer alles nachgemacht, das fand ich blöd. Inzwischen macht sie viele Sachen für sich selbst, seit sie ein Playmobil-Krankenhaus hat.

      „Ich soll den Führerschein machen?“, stöhnte meine Mutter. „Das traue ich mich nicht. Bei dem Verkehr.“

      „Aber deinen uralten Vater lässt du herumfahren“, meinte Sven.

      Dazu sagte meine Mutter nichts.

      „Was für ein Auto fährt er denn?“ Sven fing an, sich Gedanken zu machen.

      „Ich glaube, einen Opel.“

      „Und wie sieht Opa Elias überhaupt aus?“, fragte ich.

      „Aber René, du hast ihn doch schon ein paarmal gesehen.“

      „Höchstens einmal im Jahr vielleicht, aber ich hab vergessen, wie er aussieht. Ich weiß nur, dass er einen echten Revolver hat.“

      „Typisch Jungs“, sagte meine Mutter. „Denken immer an Waffen!“

      Meine Mutter holte den Schuhkarton aus dem Schrank, in dem sie alle Bilder aufbewahrte, und wühlte darin herum.

      „Das ist er – na ja, vor sechzig Jahren.“

      Ich schaute mir das Bild an. Es war noch schwarz-weiß. In der Mitte lehnte ein Mann an einem alten Opel, hatte eine Zigarre im Mund und schaute in die Ferne.

      „Das war sein erstes Auto, ein blauer Opel“, sagte meine Mutter. „Er hat immer davon geschwärmt.“

      „Aber das Auto ist doch gar nicht blau“, meinte Anna.

      „Damals waren die Bilder alle schwarz-weiß!“, erklärte meine Mutter.

      „Er raucht“, sagte ich und blickte meine Mutter an. Rauchen war bei uns zu Hause verpönt.

      „Ich hoffe, dass er inzwischen nicht mehr raucht. In meiner Wohnung wird jedenfalls nicht geraucht. Das kann er bei sich tun.“

      Auf dem Bild sah er ganz nett aus und lächelte leicht. Seine Haare waren dunkel, fast schwarz, ziemlich dicht und wirr, als ob er gerade einen Sturm hinter sich hätte.

      „Er sieht gar nicht wie ein Großvater aus“, meinte ich. „Und der Name Elias passt eigentlich auch nicht zu ihm.“

      Wir kannten uns bei den biblischen Figuren ganz gut aus, weil wir eine dicke Kinderbibel mit Bildern hatten und meine Mutter uns regelmäßig daraus vorlas. Jedenfalls sah der Prophet Elias in der Bibel viel wilder aus als mein Großvater. Er trug einen langen Mantel mit Gürtel und einen Bart, der ihm bis zur Brust reichte, und geraucht hat er auch nicht, höchstens, als er den Altar von Gott anzünden ließ. Vermutlich hatte er vorher Benzin darübergegossen und sein Feuerzeug heimlich angemacht. Und die Leute damals dachten, es sei Wasser gewesen, und wunderten sich, dass das Wasser brannte.

      „Ist doch klar, dass Opa auf dem Bild nicht wie ein Großvater aussieht, weil er da noch kein Großvater war“, sagte mein Bruder und verdrehte die Augen nach oben.

      „Ich hab noch ein neueres Bild.“ Meine Mutter wühlte weiter und zeigte auf das farbige Bild eines alten Mannes mit weißgrauen Haaren, der an einem Stock ging und ein rotkariertes Hemd anhatte. Das war schon besser.

      „Was hat er denn so gemacht?“ , fragte Sven, „ich meine, beruflich?“

      „Er war bei der Lufthansa.“

      „Was?“ Mein Bruder blickte uns an. „Er war Pilot?“

      „Nein“, lachte meine Mutter, „er war am Flughafen angestellt und für die Sicherheit der Flugzeuge verantwortlich.“

      „Vielleicht kann er uns billig Flüge besorgen?“, überlegte Sven. „Er hat doch sicher noch Beziehungen! Ich finde, wir sollten ihn für eine Probezeit aufnehmen.“

      „Das sagst du nur, weil er ein Auto hat und vielleicht Flüge …“

      „Nein, ich verehre ihn aufrichtig!“, lachte Sven.

      „Schön“, sagte meine Mutter, „wie auch immer, ich werde ihn zu uns einladen, und dann werden wir ja sehen, ob es funktioniert. Aber wundert euch nicht, wenn er sich mit euch anlegt. Er redet ziemlich direkt. Ich will’s nur schon mal ankündigen.“

      Das war dann also geklärt. Großvater würde kommen und uns Flüge besorgen, wenn wir uns mit ihm gutstellten.

      „Hat er irgendwelche Hobbys?“, fuhr Sven mit seiner Fragerei fort. „Und wie alt ist er überhaupt?“

      „Hm“, meinte meine Mutter. „Soweit ich mich erinnere, sammelt er Artikel von seltsamen Ereignissen, die er irgendwo liest. Und er schreibt gerne Leserbiefe an die Zeitung. Er ist jetzt …“, sie überlegte, „… bald einundneunzig.“

      „Was?“,


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