Typisch!. Simone MayЧитать онлайн книгу.
Leserin, lieber Leser: Ganz gleich, welchen Enneagrammtyp Sie haben, Sie sind dadurch weder schlechter noch besser und auch nicht mehr oder weniger geeignet für diese oder jene Aufgabe oder Position. Sie sind, wie Sie sind – und das ist auch gut so! Ihr Typenmuster ist ein wesentlicher Aspekt Ihres So-Seins und es gibt ganz sicher gute Gründe dafür, dass Sie ein bestimmtes Muster angenommen haben. Unter dem Stichwort „Rucksack“ erfahren Sie mehr darüber. Doch nochmals, ganz losgelöst davon, zu welchem Persönlichkeitstyp jemand zählt: Er verdient Wertschätzung und Respekt, denn er ist auf seine oder ihre Art vollkommen, einzigartig und liebenswert.
Ich wünsche Ihnen viele interessante Erkenntnisse beim Lesen dieses Buches!
Herzlichst, Ihre Simone May
Ich sehe Dich
Erinnern Sie sich an den 3D-Kino-Kassenschlager „Avatar“? In diesem Science-Fiction Film treffen die Kunstwesen „Na’vi“ und Menschen aufeinander, zwei völlig fremde Welten begegnen sich auf einem anderen Planeten. Wegen der Andersartigkeit dauert es eine ganze Weile, bis die Na’vi und speziell Neytiri, die Häuptlingstochter, Vertrauen zu den Menschen und im Besonderen zum menschlichen Entsandten Jake Sully aufbauen. Abgesehen von den vielen beeindruckenden Effekten hat mich – wie viele andere auch – der Moment, da Neytiri zu Jake die Worte „Ich sehe Dich“ sagt, zutiefst berührt. In dem Kinosaal, in dem ich saß, war es mucksmäuschenstill, als die Zuschauer die aufkeimende Herzensverbindung spürten und intuitiv, auch ohne ein besonders ausgeprägtes spirituelles Verständnis zu haben, die eigentliche Botschaft erfassten: In diesem Moment hatte die Liebe das Misstrauen und die Angst abgelöst.
Gesehen, verstanden und angenommen zu werden, wer wünscht sich das nicht? Und wie schwer ist es zugleich im Alltag, das zu erhalten und zu geben? Wie leicht fällt es hingegen wegzuschauen, wenn etwas stört, und die Augen und Ohren vor dem zu verschließen, was nicht gefällt, und das abzulehnen, was da ist.
Wir ärgern uns, weil andere sich anders verhalten, als wir es tun würden. Wir verstehen nicht, dass der andere uns nicht versteht, dass er uns nicht „sieht“. Wir wollen, dass der andere die Welt so sieht wie wir und damit so wird wie wir. Er soll sich ändern, damit es uns gut geht. Wir hingegen wollen so bleiben, wie wir sind. Lieber gehen wir dem anderen aus dem Weg, als dass wir ihn als Spiegel und Einladung sehen, an uns zu arbeiten.
Im Privaten gelingt das meist ganz gut. Man meidet einfach unangenehme Begegnungen und umgibt sich mit Menschen, die ähnlich denken und fühlen und die nicht den Anspruch haben, einen verändern zu wollen. Doch wie soll das im Berufsleben, bei der Arbeit gehen? Was tun, wenn der Kollege, Mitarbeiter, Chef „anders“ ist, wenn er einen eben nicht sieht? Wie kann man in der beruflichen Gemeinschaft, trotz und gerade wegen der Andersartigkeit und Vielfalt, wertschätzend miteinander umgehen und, bei aller aufgabenorientierten, funktionalen Zusammenarbeit, dennoch eine beziehungsorientierte, emotionale Basis schaffen und aufrechterhalten? Wie zu einem intakten Betriebsklima beitragen, in dem sich unterschiedliche Kollegen miteinander verbunden fühlen, statt sich nur in einer Zweckgemeinschaft aufzuhalten?
Das Wissen aus dem Enneagramm-Persönlichkeitsmodell ermöglicht dies. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen den Einstieg in das Enneagramm im Business erleichtern und Ihnen helfen, es zu nutzen, um besser zusammenzuarbeiten. Das Modell zeigt, wie grundlegend unterschiedlich Menschen die Welt wahrnehmen. Es basiert auf einer Neuner-Typologie und beschreibt, was Menschen bewegt, wie sie denken, fühlen und handeln. Dabei bewertet das Enneagramm nicht, es stellt dar und erklärt. Das Modell hilft, zu erkennen und zu verstehen, wie wir selbst und andere Menschen die Welt sehen. Es gibt Hinweise und stimmt nachdenklich, weshalb wir so sind und wie wir sein können, sobald wir unser Typenmuster lockern. Es regt an, unbewusste Muster und Mechanismen aufzudecken, und zeigt uns darüber hinaus Wege auf, Blockaden zu überwinden und Entwicklungsbarrieren zu durchbrechen.
Was ist das Enneagramm?
Das Modell ist gesamthaft betrachtet fast zweitausend Jahre alt, es schließt Erkenntnisse von Philosophen der Antike, Spirituellen Gelehrten unterschiedlicher Religionen und Psychologen aus unserem Zeitalter ein.
Es hat seinen Ursprung im Nahen Osten und wurde viele Jahrhunderte mündlich überliefert. Anfang des letzten Jahrhunderts kam es über George Gurdjieff nach Lateinamerika zu Oscar Ichazo, von dort zu Claudio Naranjo und schließlich zu David Daniels und Helen Palmer, die seit den 1960er Jahren in den USA Enneagrammstudien betreiben.
Das Enneagramm ist ein heuristisches Modell. Es basiert auf Beobachtung, Erfahrungsaustausch und der Weitergabe von Wissen über Länder-, Kulturgrenzen und Epochen hinaus. Zusätzlich wird es seit etwa fünfzig Jahren auch empirisch erforscht und belegt. Das Enneagramm, wie wir es heute verwenden, ist ein psychologisch-spirituelles Erkenntnis- und Entwicklungsmodell.
In Deutschland hat die Veröffentlichung des Buchs von Andreas Ebert und Richard Rohr 1989 zu einer größeren Verbreitung und Beachtung des Modells geführt, zunächst in kirchlichen und Non-profit-Organisationen, später auch in der freien Wirtschaft. Inzwischen nutzen große, internationale Unternehmen die Weisheit des Enneagramms und bestätigen, dass die Zusammenarbeit konstruktiver und produktiver wird, wenn offen mit den neun Persönlichkeitstypen umgegangen und (auch über Gefühle) gesprochen wird.
Früher wie heute wird das Enneagramm vorwiegend in der mündlichen Tradition weitervermittelt und gelehrt. In sogenannten Panels, Experten-Podien, erzählen Repräsentanten des jeweiligen Typs unter Anleitung des Enneagrammlehrers von sich und ihrer Art, die Welt zu sehen. Sie lassen die Zuschauer an ihren Motiven teilhaben, ihren Schicksalen, Verstrickungen und Entwicklungen, um gemeinsam mit anderen Menschen Wissen zu teilen, um mit anderen, statt über andere zu sprechen.
Das Enneagramm ermöglicht Antworten auf Fragen zu finden, wie zum Beispiel: Was bewegt jemanden dazu, etwas so zu sehen? Was empfindet er in dieser Situation, in diesem Moment? Wie kommt er dazu, diese Position zu beziehen? Was veranlasst ihn, sich so zu verhalten? Und vor allem: Wie reagiere ich auf all das und aus welchen Gründen reagiere ich so?
Das Enneagramm lädt ein, sich auf eine faszinierende Studien- und Erlebnisreise in neun Welten einzulassen, in denen neun vollkommen unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. Es zeigt uns, was geschieht, wenn neun verschiedene Weltanschauungen aufeinandertreffen, wie es im Arbeitsalltag oder im Privaten zu Berührungen oder Begegnungen kommen kann oder welche Konflikte wahrscheinlich sind.
Das Symbol
Wörtlich aus dem Altgriechischen übersetzt heißt „Enneagramm“: „Neuner-Bild“. Es bildet in einem Kreis mit neun Punkten die neun Hauptaspekte menschlichen Daseins in neun Arten zu denken, fühlen und handeln ab. Der Kreis dient als Symbol für die Weltkugel, er steht für Einheit und Verbundenheit der Menschen untereinander und umfasst spirituelle Aspekte (Anbindung von Körper, Seele, Geist an etwas Übergeordnetes, Nicht-Menschliches, wie das Universum oder das Göttliche). Die neun Punkte sind in gleichen Abständen zueinander dargestellt und über den Kreis und Linien miteinander verbunden.
Durch die Visualisierung wird deutlich, dass aus der Perspektive eines jeden der neun Punkte eine eigene Weltsicht resultiert. Jeder Typ hat seine typbedingte, eingeschränkte „40-Grad-Sicht“, die es – so das Ziel der Arbeit mit dem Enneagramm – zugunsten einer Rundum-Sicht (360-Grad-Perspektive) und Bewusstseinserweiterung zu erschließen gilt.
Die Verbindungslinien zwischen den Zahlen auf dem Kreis sind in der Reihenfolge 3 - 9-6 und 1 - 4-2 - 8-5 - 7 angeordnet. Diese Zahlenkette zeigt die Richtung an, die zu einer Weiterentwicklung heraus aus dem Typenmuster und hinein in die Ganzheitlichkeit führt. Nähere Erläuterungen dazu finden Sie in diesem Buch unter den Stichworten „Stress- und Entwicklungspunkt“.
Die neun Typen
Im Enneagramm gibt es den geradlinigen, anspruchsvollen Perfektionisten (Typ 1),