Mein Klagebuch. Dominique CrisandЧитать онлайн книгу.
Herbstnachmittag, als mich in den gemeinsamen vier Wänden meiner Beischlafpartnerin und mir ein inneres Bedürfnis überfiel, welches jeder Mann in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen zu verspüren vermag. Oder, um es etwas greifbarer zu formulieren: Ich musste auf den Lokus, mein Steißbein hatte Husten.
Nach vollbrachter Arbeit verließ ich erleichtert die „Festung der Einsamkeit“ und begab mich in unser beider Wohngemach. Kaum hatte ich mich zufrieden auf dem Sofa abgelegt, erklang ihre zärtliche, engelsgleiche Stimme durch den Flur – vergleichbar mit einem Schmetterling, der in der Abendsonne zwischen rötlichbraun herabfallenden Blättern strotzend vor Leichtigkeit hin- und herfliegt:
„Du Drecksau! Die Klobürste steht nicht zur Dekoration da. Man kann die auch benutzen, oder bist du zu doof dazu?“
Drücken wir metaphorisch „Pause“ und betrachten das Faktum et Orbitum.
Bis zu den Worten „Man kann die auch benutzen“ befinden wir uns bezüglich eines Konfliktes noch im Bereich der Ordnungswidrigkeit. Ein verbales Bußgeld, und der Schnee von morgen wäre heute von gestern.
Die nun unterschwellig subtil vorhandene Missstimmung drohte erst dann weiter massiv zu kippen, als sie sich entschied, die eben genannten Worte in einem Nebensatz noch mit einer Frage zu schmücken, die sie unmissverständlich formulierte: „oder bist du zu doof dazu?“
Da es sich hier, im dichten Nebel der Fragetechniken, um eine sogenannte „geschlossene Frage“ handelt, hat der Antragsgegner per Definition drei klar vorgegebene Antwortmöglichkeiten: „Ja“, „Nein“ und „Weiß ich nicht“.
Präferiere man intuitiv Erstere, laute die Antwort: „Ja Schatz, ich bin doof“, zuzüglich optional: „sonst wäre ich ja nicht mit dir zusammen.“
Da Frauen, mit einer solchen Äußerung konfrontiert, gerne zu unkontrollierten, cholerischen Ausbrüchen neigen, stellen wir diese Antwortmöglichkeit vorerst hinten an.
Betrachten wir Option 2. „Nein, ich bin nicht doof.“
Neben dem leicht brüskierenden Aspekt dieser Aussage zieht sie des Weiteren automatisch unzählige „offene W-Fragen“ nach sich: „Warum tust du dann dies? Weshalb machst du dann das? Wer ist diese Frau, die dir per WhatsApp ständig ihre Brüste schickt?“
In einem Konflikt ist es existenziell wichtig, den Brandherd so klein wie möglich zu halten. Machen wir also aus einem Teelicht keinen unkontrollierbaren Schwellbrand.
Beleuchten wir Antwortmöglichkeit 3:
„Ich weiß es nicht ... Ich weiß nicht, ob ich doof bin“, scheint auf den ersten Blick perfekt, denn es beinhaltet all das, was eine Frau an einem Mann zu schätzen vermag: Selbstoffenbarung, Verletzlichkeit, Einsicht, Wehmut – und das alles ohne Schuldbekenntnis!
Zustimmung, ohne „Ja“ zu sagen. Das sind quasi fünf parallel nebeneinander stehende Kirschen auf dem goldenen Rubbellos der Konfliktlösung!
Der Gordische Knoten im Ei des Kolumbus ist das Verständnis. Zeige Verständnis. Gib ihr das Gefühl, sie zu verstehen, ungeachtet der Haltbarkeit des Tatbestandes.
Gib ihr das Gefühl, sie habe beispielsweise gewissermaßen, im Gegensatz zu dir, die Abseits-Regel verstanden, während du „Pretty Woman“ in den VHS-Rekorder schiebst und diesen großartigen Film bei einem Gläschen Lambrusco dem Champions-League-Finale vorziehst und im Anschluss daran sie darum bittest, in eurer Beziehung endlich mehr über deine Gefühle sprechen zu dürfen.
Zeige Verständnis.
Wenn die Stimme im Navigationsgerät „links“ sagt, während sie darauf besteht, rechts auf einen ungeteerten und höchstens von Spezialkräften der Bundeswehr befahrbaren Feldweg abzubiegen, sage ihr, dass die Dame im Navi sich ja schließlich in ganz Europa auskennen müsse und hier auf der Landstraße zwischen Wald-Michelbach und Siedelsbrunn durchaus einmal falsch liegen könne ... während du mit glücklichem Gesichtsausdruck dein Fahrzeug rechts durch haufenweise Kuh-Kot manövrierst.
Verständnis zeigen heißt Liebe bekommen.
Es geht doch im Konflikt zweier Liebender nur darum, wie es wäre, wenn es anders sein könnte, während man dächte, dass der andere einem persönlich gegenüber fälschlicherweise anderer Meinung gewesen sein würde, unter der Voraussetzung, dass man sich in einer Beziehung weniger verstellt als eine Funkuhr und im wahren Kern sowie im Wechselbad der Gefühl doch sowieso nur den anderen im Kopf hätte, ließe man sich gleichermaßen aufeinander ein.
Konjunktiv 4 – mit Apostroph.
Oder anders formuliert:
Jeder Mann hat seine Macken,
doch benutz die Bürste, warste kacken!
Donnerstag, 26.02.
Im Wartezimmer
Ich saß im gut gefüllten Wartezimmer beim Arzt und las eines der dort ausliegenden Hochglanzmagazine, die Bunte – Ausgabe 21. Dezember 2011.
Als das Umblättern der nächsten Seite kurz bevorstand, stellte ich fest, dass diese an der übernächsten festklebte. Dieses fast ausschließlich in Arztpraxen vorkommende Phänomen entsteht dadurch, dass viele Mitpatienten sich vor jedem Umblättern den Mittelfinger ihrer linken Hand ablecken.
Laut einer Studie werden in Arztpraxen auf diese Art und Weise täglich auf jeder Seite vier verschiedene Speichelreste hinterlassen.
Das Jahr hat 52 Wochen. Abzüglich Urlaub und Feiertagen hat die Arztpraxis also an ca. 220 Tagen im Jahr geöffnet. Rechnen wir mal bis zum 21. Dezember 2011 zurück. Nein. Rechnen wir lieber nicht zurück!
Beuge ich mich also trotzdem diesem gesellschaftlichen Druck und lecke mich vor all diesen fremden Menschen selbst, nur um die beiden Seiten voneinander trennen zu können?
Ich sah keinen anderen Ausweg und leckte. Ganz heimlich. Meinen Mittelfinger.
Nun war ich also offiziell auch ein sogenannter Zeitungslecker.
Aufgrund mangelnden Erfolges wiederholte ich diesen Vorgang sieben Mal, steckte schlussendlich meine komplette Hand bis zum Anschlag in den Hals, bis ich keine Geduld mehr hatte und anfing, die Seite selbst abzulecken.
Nachdem ich bereits ein Drittel der angefeuchteten Seiten im Mund hatte und sie unter den staunenden Blicken des kompletten Wartezimmers zwischen Gaumen und Zunge hin und her rieb, stieß ich plötzlich einen Lustschrei aus: „Die Seite hat sich gelöst!“
Die junge Dame, die in diesen Sekunden das Wartezimmer betrat, schaute mich verdutzt an und zögerte etwas, den letzten freien Platz neben mir einzunehmen.
Zeitgleich ertönte die Stimme des Arztes: „Herr Crisand, bitte in Zimmer drei!“
Verdammt! Die ganze Mühe umsonst.
Ich stand auf und wollte die Zeitschrift gerade wieder auf den Tisch legen, als die junge Dame darauf zeigte und fragte: „Darf ich?“
Ich lächelte sie an: „Sie dürfen“, dann nahm ich ihre linke Hand, führte ihren Mittelfinger ganz tief in meinen Mund und fügte hinzu: „Glauben Sie mir, Sie wollen das.“
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