Jenseits des schweigenden Sterns. C. S. LewisЧитать онлайн книгу.
sich von seinem Vorhaben nicht abbringen, und schließlich kletterten sie hinauf. Ransom war der Letzte. Er kam rittlings auf der Mauer zu sitzen und hatte sich wegen der Flaschenscherben, die dort waren, seinen Mantel untergelegt. Die anderen beiden waren auf der Außenseite bereits in die Finsternis gesprungen, aber ehe er ihnen folgte, wurde in der Mauer eine Tür, die keiner von ihnen bisher bemerkt hatte, von außen geöffnet und die seltsamsten Geschöpfe, die er je gesehen hatte, kamen in den Garten und brachten Weston und Devine wieder mit. Sie ließen die beiden im Garten, zogen sich selbst wieder in die Dunkelheit zurück und schlossen die Tür hinter sich ab. Ransom kam nicht mehr von der Mauer herunter. Er blieb oben sitzen, ohne Angst, aber mit einem ziemlich unbehaglichen Gefühl, denn sein rechtes Bein hing nach außen und war so dunkel, und sein linkes so hell. »Mein Bein wird abfallen, wenn es noch dunkler wird«, sagte er. Dann blickte er in die Dunkelheit hinunter und fragte: »Wer seid ihr?«, und die seltsamen Geschöpfe mussten noch da sein, denn sie antworteten alle: »Hu-hu-hu!«, genau wie Eulen.
Er begriff langsam, dass sein Bein weniger dunkel als vielmehr kalt und steif war, weil das andere so lange darauf gelegen hatte; und auch, dass er in einem Sessel in einem erleuchteten Zimmer saß. In seiner Nähe wurde gesprochen und ihm wurde bewusst, dass dieses Gespräch wohl schon einige Zeit dauerte. Sein Kopf war einigermaßen klar. Er merkte, dass man ihn betäubt oder hypnotisiert hatte, oder beides; nach und nach gewann er die Herrschaft über seinen Körper zurück, doch er war immer noch sehr schwach. Er hörte aufmerksam zu, ohne sich zu bewegen.
»Ich habe dieses Hin und Her allmählich satt, Weston«, sagte Devine gerade, »umso mehr, als schließlich mein Geld auf dem Spiel steht. Ich sage dir, er ist genauso gut geeignet wie der Junge, in mancher Hinsicht sogar besser. Aber er wird
jetzt bald wieder zu sich kommen und wir müssen ihn sofort an Bord bringen. Das hätten wir schon vor einer Stunde tun sollen.«
»Der Junge war ideal für uns«, sagte Weston verdrießlich. »Er ist unfähig, der Menschheit zu dienen, und wahrscheinlich wird er nichts Besseres zu tun haben, als seinen Schwachsinn auch noch zu vererben. In einer zivilisierten Gesellschaft würden Burschen wie er automatisch einem staatlichen Labor zu Versuchszwecken überlassen.«
»Schon möglich. Aber hier in England würde sich für einen Burschen wie ihn vielleicht Scotland Yard interessieren. Nach diesem Wichtigtuer dagegen wird monatelang kein Hahn krähen, und selbst dann wird niemand wissen, wo er war, als er verschwand. Er ist allein gekommen. Er hat keine Adresse hinterlassen. Er hat keine Familie. Und schließlich hat er seine Nase von sich aus in diese Angelegenheit gesteckt.«
»Trotzdem, mir gefällt das nicht. Schließlich ist er ein Mensch. Der Junge war im Grunde eher ein – ein Präparat. Allerdings ist auch der hier nur ein Individuum, und wahrscheinlich ein völlig nutzloses. Außerdem riskieren auch wir unser Leben. Für etwas Großes …«
»Um Himmels willen, fang nicht wieder damit an. Dazu haben wir keine Zeit.«
»Ich glaube«, erwiderte Weston, »er wäre einverstanden, wenn man es ihm klar machen könnte.«
»Nimm du seine Beine; ich nehme ihn unter den Armen«, sagte Devine.
»Wenn du wirklich glaubst, dass er zu sich kommt«, sagte Weston, »solltest du ihm lieber noch eine Dosis verpassen. Wir können erst nach Sonnenaufgang starten. Es wäre ziemlich lästig, wenn er drei Stunden lang da drin herumzappeln würde. Mir wäre es lieber, er wachte erst auf, wenn wir unterwegs sind.«
»Richtig. Behalt du ihn im Auge, ich gehe nach oben und hole das Zeug.«
Devine verließ das Zimmer. Durch halb geschlossene Lider sah Ransom, dass Weston über ihm stand. Er wusste nicht, wie sein Körper – wenn überhaupt – auf den Versuch einer plötzlichen Bewegung reagieren würde, aber er begriff, dass er die Gelegenheit nutzen musste. Kaum hatte Devine die Tür geschlossen, als Ransom sich mit aller Macht gegen Westons Beine warf. Der Wissenschaftler fiel auf den Sessel, Ransom stieß ihn mit letzter Kraft von sich und stürzte in die Halle.
Er war sehr schwach und stolperte. Aber das Entsetzen saß ihm im Nacken und innerhalb weniger Sekunden hatte er die Haustür gefunden. Er bemühte sich verzweifelt, die Verriegelung zu öffnen, doch die Dunkelheit und das Zittern seiner Hände waren gegen ihn. Noch bevor er den oberen Riegel aufgestoßen hatte, kamen hinter ihm gestiefelte Füße über den nackten Boden gepoltert. Er wurde bei Schultern und Knien gepackt. Er trat um sich, wand sich, brüllte in der schwachen Hoffnung auf Hilfe aus Leibeskräften und verlängerte schweißbedeckt den Kampf mit einer Heftigkeit, die er sich nie zugetraut hätte. Einen herrlichen Augenblick lang war die Tür offen, die frische Nachtluft streifte sein Gesicht und er sah die tröstlichen Sterne und sogar seinen Rucksack, der auf der überdachten Veranda liegen geblieben war. Dann traf ihn ein schwerer Schlag auf den Kopf. Sein Bewusstsein schwand. Als Letztes spürte er noch, wie kräftige Hände ihn packten und zurück in den dunklen Flur zerrten, und hörte, wie eine Tür ins Schloss fiel.
3 _______
Als Ransom wieder zu sich kam, schien er in einem dunklen Raum im Bett zu liegen. Er hatte ziemlich starke Kopfschmerzen und verspürte ein allgemeines Schwächegefühl, sodass er sich zunächst nicht dazu aufraffen konnte, aufzustehen und seine Umgebung zu untersuchen. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und merkte, dass er stark schwitzte. Das machte ihm bewusst, dass in dem Raum (wenn es einer war) eine ungewöhnlich hohe Temperatur herrschte. Als er die Arme bewegte, um die Bettdecke abzuwerfen, berührte er die Wand rechts vom Bett; sie war nicht nur warm, sondern heiß. Auf der linken Seite tastete er mit der Hand
ins Leere und stellte fest, dass die Luft dort kühler war; die Hitze schien also von der Wand auszugehen. Er befühlte sein Gesicht und fand eine aufgeschürfte Schwellung über dem linken Auge. Dies erinnerte ihn an den Kampf mit Weston und Devine, und er schloss daraus, dass sie ihn in eines der Nebengebäude hinter ihrem Schmelzofen gesperrt hatten. Im selben Moment blickte er auf und entdeckte die Quelle des trüben Lichts, in dem er, ohne sich dessen bewusst zu sein, die ganze Zeit über die Bewegungen seiner Hände hatte sehen können. Unmittelbar über seinem Kopf befand sich eine Luke – ein viereckiger Ausschnitt des sternenübersäten Nachthimmels. Ransom kam es vor, als habe er noch nie in eine so eisige Nacht hinausgeblickt. Die Sterne schienen in ihrem Glanz wie in unerträglicher Qual oder Lust zu pulsieren, drängten sich dicht und zahllos in ungeordneter Fülle, waren traumhaft klar und strahlend auf dem tiefschwarzen Hintergrund. Sie zogen all seine Aufmerksamkeit auf sich, beunruhigten und erreg-
ten ihn so, dass er sich aufsetzte. Das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf wurde stärker und erinnerte ihn daran, dass er niedergeschlagen und betäubt worden war. Während er überlegte, ob das Mittel irgendeine Wirkung auf seine Pupillen gehabt haben mochte und so die unnatürliche Pracht und Fülle des Himmels erklärte, lenkte eine silbrige Lichterscheinung, eine Art blasser und verkleinerter Sonnenaufgang, seinen Blick von Neuem nach oben. Kurze Zeit später schob sich die Scheibe des Vollmonds in sein Gesichtsfeld. Ransom saß still und schaute. Er hatte noch nie einen solchen Mond gesehen – so weiß, so blendend und so groß. Wie ein großer Fußball direkt vor dem Fenster, dachte er, und gleich darauf: nein – noch größer. Er war mittlerweile überzeugt, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmte; kein Mond konnte so groß sein wie das Ding, das er dort sah.
Das Licht des riesigen Mondes – wenn es denn ein Mond war – erleuchtete seine Umgebung jetzt beinahe so hell, als ob es Tag wäre. Er befand sich in einem sehr merkwürdigen Raum. Der Boden war so klein, dass das Bett und ein Tisch daneben die gesamte Breite einnahmen. Die Decke schien etwa doppelt so groß zu sein und die Wände wölbten sich nach außen, sodass Ransom das Gefühl hatte, am Boden einer tiefen, engen Schubkarre zu liegen. Das bestärkte ihn in der Annahme, sein Sehvermögen sei entweder vorübergehend oder dauernd geschädigt. Im Übrigen erholte er sich jedoch rasch und verspürte sogar eine unnatürliche Leichtigkeit und eine angenehme Erregung. Die Hitze war noch immer drückend und bevor er aufstand, um den Raum genauer zu untersuchen, streifte er alle Kleider bis auf Hemd und Hose ab. Das Aufstehen hatte verheerende Folgen und er befürchtete, die Nachwirkungen des Betäubungsmittels seien noch stärker als zunächst gedacht. Obgleich er sich keiner ungewöhnlichen Muskelanstrengung