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Das Mitternachtsschiff. Wilfried SchneiderЧитать онлайн книгу.

Das Mitternachtsschiff - Wilfried Schneider


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kommt nicht zu euch. Ihr befasst euch nur mit dem, was euch nützt. Es gibt aber Dinge, die muss man um ihrer selbst willen tun. Dieser Phenesch kennt das wahre Maß. Die gestrige Sonne wärmt nicht den heutigen Tag. Ein Sklave sieht nicht die Weite. Nicht der Arm allein treibt das Schiff, es braucht den Geist, der ihm befiehlt. Admiral aus Sidonien, du wirst drei Schiffe erhalten. Erkunde Küsten, die noch kein Mann dieses Erdkreises betrat. Oder geh zurück nach Zor und vergiss! Kein Zwang soll dich leiten. Mache meinen Traum zu deinem und du wirst ein Fürst sein. Dir wird das Landgut Ift-ar gehören, ich gebe dir Neferheres, die Tochter des Nomarchen von Menfe zur Frau. Kerifer-Neith hat es so gesagt? Gut. So wird es sein. Neferheres.« Er wiederholte den Namen, zögerte und sagte noch einmal leise »Schön ist ihr Antlitz.« Er hob den Arm. »Oder verlasse Kemet noch heute. Es wird in Ehren geschehen. Du hast mein Wort.«

      Im Portal zeigte sich ein Offizier. Ptah-hotep, der sich ihm zuwandte, warf einen höhnischen Blick auf den Seefahrer.

      »Rede zu mir, Sothur!« Die Männer traten zum Thron. Der Gardist verneigte sich.

      »Göttergleicher! Menfes Straßen hält der Pöbel in Besitz. Unterkünfte von Fremden werden zerstört. Aus den Hütten verbreitet sich Empörung. Vor den Warenlagern am Fluss rotten sich Frauen zusammen.«

      »Genug!« Necho stampfte mit dem Fuß auf. »Griechische Wachen zu Neferheres, nicht unter deinem Kommando, Sothur. Ptah-hotep, kümmere dich! Syrische Hundertschaften treiben den Pöbel in die Häuser. Handle, Ptah-hotep. Sothur geht in die Garnison. Hass auf Fremde! Hass auf den Kanal! Ihr Priester schürt die Glut und freut euch über die Flamme. Geh endlich, Ptah-hotep!«

      Abdi-ashirta war in den Hintergrund getreten. Sothur! Er kannte den Namen aus Merit-Res Mund, als sie im Garten mit der Herrin unter dem Eukalyptusbaum saß. War der Gardist … wie konnte er annehmen, dass Neferheres allein lebte … aber ein Gardist des Hofes … doch er sprach die Worte wie ein Gebildeter … die Gedanken verwirrten sich, er dachte an Neferheres, an ihr Lächeln, wenn sie von Necho sprach, an die altkemetische Wortweise, die sie so gern nutzte. Sothur ging an ihm vorbei, er hatte das Gesicht eines Kemeten des Südens. Er neigte unmerklich den Kopf. Verwundert sah der Sidoner diesen Gruß, den der Gardist in Gegenwart des Herrschers nicht entbieten durfte, der aber von Anerkennung sprach. Abdi-ashirta war so befangen von dieser Geste, dass er den Pharao nicht beachtete, der wieder auf seinen Thron stieg. Die Handflächen des Herrschers klatschten auf die Lehne.

      »Es ist mein Wille: Die Expedition findet statt! Die Priester sagen, der Kanal gefährde Kemet. Sie flüsterten mir die Umsegelung Libyens in die Ohren, um mich von seinem Bau abzubringen. Ich aber mache die Umsegelung zu meinem Werk! Zu meinem! Der Kanal folgt einem alten Lauf. Was siehst du mich so an? Ja doch, es gab ihn schon früher einmal. Das wissen nicht viele. Unsere Umsegelung aber ist einsam. Sie gab es noch nie.« Das Gesicht Nechos verkrampfte sich, aus weiten Augen starrte er den Sidoner an. »Gib mir die Antwort, Phenesch!«

      Abdi-ashirta griff in sein Gewand, die Finger rieben den Stoff, richteten den Gürtel und zerrten erneut an dem Tuch.

      »Wann antwortest du, Phenesch?«

      »Als Kind besuchte ich oft die Schwester meiner Mutter. Sie wohnte in einer Bergsiedlung. Viele Wege führten von dort in meine Stadt. Sie verzweigten sich an drei Stellen. Vor der letzten Biegung war ich stets nach links gegangen. Einmal flogen über mir Störche. Ich folgte den Vögeln. Ich ging den unbekannten Weg.«

      »Deine Antwort!« Der Herr der mächtigsten Welt stand auf drei Schritt neben dem Sidoner.

      »Ich verirrte mich, schlief über die Nacht auf fremdem Gestein. Im Morgenlicht sah ich Zor, lief durch vertraute Gassen in das Ostviertel, weinend vor Glück, denn ich war noch ein Kind.«

      »Du lehnst ab?«, schrie Necho.

      »Nein! Nein! Ich bin ein Seefahrer aus Zor!«

      »Der Weg der Störche. Ich wusste es!«

      Abdi-ashirta kniete nieder, legte sein Gesicht auf die Füße des Herren Kemets, berührte die Abbilder feindlicher Assyrer auf dessen Schuhen, wie es Neferheres ihn gelehrt hatte.

      »Steh auf, Phoinikos!« Zum ersten Mal sprach der Pharao das griechische Wort. »Kerifer-Neith, den Obersten Schreiber!« Das Gesicht des Gottes lebte. »Höre heute meinen Plan, Admiral. Deine Gedanken sage mir morgen. Wer dich in Zor unsere Sprache lehrte, ich werde es ihn lohnen. Von jetzt an wirst du oft gerufen. Kerifer-Neith begleitet dich auf deinen Wegen, als wäre ich an deiner Seite. Er spricht mit meinem Mund. Ich befehle ihn, dich an den Kanal zu führen. Siehe die Kühnheit kemetischer Ideen mit deinen Augen. Admiral, wir stärken Ma’at. Bald herrscht in Kemet die Weltordnung der Großen Zeit. Später wirst du Ift-ar besuchen, siehe dort den königlichen Lohn, den ich dir biete. Sei stolz! Du bist ein Auserwählter. Kemet wird deine Heimat sein! Mein Kemet!«

      Abdi-ashirta sah nach dem Zeitstab. Die Katzengöttin warf ihren Schatten kaum auf die Hälfte der Tagstunden, als der am rechtsseitigen Ufer gelegene Stadthafen auf sie zu schwamm. Nur einmal hatten sie Halt gemacht, in On versorgte ein Arzt die Wunde zweier Schiffsmänner, denen die untere Rah die Kopfhaut aufgerissen hatte. Der Sidoner vermisste die Meereswinde Zors. Die Schwüle über der Lotusblüte, dem Mündungsland, nahm den Atem. Abdi-ashirta fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, den Wunsch nach einer Besichtigung des Kanals zu verbergen, auch wenn der Pharao am Tag nach der Audienz selbst den Befehl erteilt hatte, sein Eliteboot herzurichten.

      »Man zeige meinem Admiral den Kanal bei Bast. Mögen die Taten, die Kemeten vollbringen, ihn stärken. Der Schweiß von Helden ist Nektar für den Mutigen, aber nicht die Salbe der Faulen.« So hatte der Göttergleiche mit dem Munde des Neith-Priesters gesprochen. Am Tag danach trug sie Gott Hapi durch seine Welt.

      Dem Sidoner war schon in den ersten Augenblicken die Wasseruhr aufgefallen. Sie war rot bemalt, mit Löwe und Stier und einem Flusspferd, das ein Krokodil auf dem Rücken trug. Den Tieren folgte ein Mann, der die Arme breitete.

      »Unsere Leitsterne für die Messung der zwölf Nachtstunden. Mit ihrem Stand am Himmelsbogen bestimmen wir die Zeit«, hatte Kerifer-Neith erklärt und begonnen, dem Sidoner die entsprechende altkemetische Schrift zu zeichnen. Schon nach kurzer Zeit hatte sich Abdi-ashirta Deutungen eingeprägt und erste Begriffe geschrieben.

      »Übernehmt unsere Zeichen. Sie sind einfacher«, hatte er gesagt.

      »Dann verstehen sie vielleicht auch die Ruderer«, war die Antwort gewesen. »Was Thot uns gab, ist heilig. Und wie werden die Beamten fett, wenn auch schwielige Hände schreiben können? Du weißt doch, dass nichts in alter Schrift auf den Listen der Kämmerer steht. Wir setzen seit vielen Regentschaften bei unseren Geschäften die Zeichen waagerecht.« Kerifer-Neith packte den Arm des Sidoners. »Träume nicht! Die Zeit rinnt auch ohne dich. Schau auf die Stadt! Sieh es an, dein Bast! Dort sind die Residenzen der Großen von gestern. Am Ende der Überschwemmung zog das Personal ab, und jetzt schon grüßt das Tor nach Süden als geschminkte Hure. Die einst hier zu graben begannen, gruben bis zum Mittelteil und zogen gestern in ihre Dörfer. In drei Tagen werden jene heimgeschickt, die ihre Arbeit am Lazurwasser verrichten. Die Flutung des Bittersees war schon vorbereitet. Es ist vorbei, du erster Seefahrer Zors. Kein Schiff des Inneren Meeres wird das Lazurwasser erreichen können. Basts Bausiedlung liegt verwahrlost. Bricht ein Hammerschlag die Stille? Hörst du die Stille, Phenesch, wie sie aus den Rissen der morschen Häuser dringt? Siehst du Kinder auf den Dächern? Bast schrumpft auf die Maße von einst. Hier handelt nur noch die Hälfte der Händler, keine Tänzer tanzen auf lustigen Plätzen. Bast stirbt, Phenesch, stirbt unter dem giftigen Atem blöder Beamten, die befürchten, ihr Wohlstand könne unter der kühnen Idee leiden. Der Kanal ließe die Welt größer werden, und das macht die Herren kleiner. Halte deine Zunge still, später auf dem Dach des Palastes wird Ma’at mich die rechten Worte finden lassen«.

      Kerifer-Neith schwang sich über die Wandung. Abdi-ashirta folgte ihm auf den Steg, geriet auf eine zerbrochene Planke und spürte Uliliyas Hand. Wütend trat der Priester das Brett ins Wasser. »Morsch wie die Stadt selbst. Du schlägst gegen eine Hauswand, und das Dach stürzt ein


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