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Das Mitternachtsschiff. Wilfried SchneiderЧитать онлайн книгу.

Das Mitternachtsschiff - Wilfried Schneider


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auf ein Leben ohne den Sidoner hoffen ließ. Er hatte in den kurzen Begegnungen mit ihr aber auch gespürt, dass der rastlose, unbeirrbare Seemann ihre Achtung gewonnen hatte.

      »Ich will dir erzählen, warum du deiner Schönen in den letzten Dekaden so selten begegnetest. Sie ist mit einem Mann beschäftigt, der Taharqa heißt und König im Land deiner Holzträger war. Er ist aus Granit, die Haut feinkörnig poliert. Sie putzt die Uräusschlangen auf seinem Kopf, deren rote und weiße Kronen sich zu einem Doppelknoten vereinen, bevor ihr Schwanz auf den Nacken fällt. Sein Gesicht ist von außerordentlicher Schönheit, doch das hat ihm auch nicht geholfen. Er wurde vom Sockel gestürzt, sein Name aus dem Stein geschlagen und die Nase gebrochen, damit er nicht atmen kann. In Menfe beginnt der Hass auf die nubische Welt zu regieren, Ptah-hotep und seine Getreuen wollen die Erinnerung an die Könige des Südens töten, die einst in Menfe residierten. Die Figur trägt eine Inschrift: Der vollkommene Gott, Herr der beiden Länder, Herr der Riten, der König beider Kemet, beschenkt mit Macht wie Re auf ewig. Dieser Eigenname ist noch länger. Ich habe den genauen Wortlaut vergessen. Neferheres säubert die Zeichen und bewahrt sie auf Papyrus, bevor das Abbild des schönen Herrschers in die Grube des Vergessens gegeben wird. Sie will zeigen, dass die nubischen Künstler von Kemets Geist beinflusst sind und das gesamte Gebiet im Süden Hapis sich unter kemetische Führung begeben müsse, um nicht Taharqas Schicksal zu teilen, den die Assyrer von Menfe nach Kusch jagten. Necho hat Assyrien unter seiner Aufsicht, bedient sich deiner Heimat als Handelsgesellschaft. Ptah-hotep und der kommende Nachfolger des Pharaos schielen hinter die Katarakte und möchten der Mittagssonne entgegenziehen, um die Schmach zu tilgen, dass schwarze Pharaonen in Menfe regierten. Admiral, ich erzähle dir die geheimen Gedanken, die im Palast geistern, und du hast die Ohren am Ofen, ob die Haushälterin die Hühner gar gekocht hat.«

      Die Nubierin riss den Vorhang beiseite und breitete ihr Mahl auf dem Tisch neben dem Fenster aus. Abdi-ashirta schob angewidert den Brotfladen weg und griff nach einem Flügel. Der Priester warf die Haut aus dem Fenster und zog mit den Zähnen das Fleisch von einem der üblichen Holzstäbe. Sein Blick ging zum großen Tisch im Mittelraum, auf dem eine Karte lag, die Libyen zeigte. Ein Schiff war eingezeichnet, das den Bug nach Süden richtete, in eine Welt, die keine Umrisse aufwies. Eine Schabe kroch über das Gefährt nach Süden, setzte die Beine nur wenige Augenblicke und machte kehrt. Kerifer-Neith jagte seinen Spieß durch das Tier. „Kakerlaken!«, schrie er, »Kakerlaken wie im Palast. Nie gehen die kraftvoll zu einem Ziel!«

      Die dritte Woche lagen nun die Schiffe auf dem Lazurwasser, ein gewohnter Anblick für die Bewohner der Siedlung, die auch jetzt noch keinen Namen trug. Die Vogelschwärme, die der Wind am Beginn der Arbeiten nach Süden geweht hatte, waren längst zurückgekehrt und über Zor in das nördliche Haus geflogen. Lange hatte der Admiral ihnen nachgesehen und sich an die Tage seiner Kindheit erinnert, als er mit Talaya in die Berge gelaufen war, um ihnen näher zu sein. Neue Kolonnen hatten in Bast Schiffe aus Gebal entladen und die in Sidon gefertigten weiteren Schiffsteile auf dem Kanalweg zur Werft getragen. Kam er an den Schlafhallen vorbei, glaubte er noch heute das Stöhnen der erschöpften Männer zu hören.

      Die namenlose Siedlung musste keinen so heftigen Regen erleben, dass ihm die dünnen Lehmwände der notdürftig errichteten Wohnstätten nicht widerstanden hätten. Die Häuser der Höheren waren aus Steinquadern gesetzt, die in den Anfangsdekaden Trupps von Männern aus den Brüchen am Hapi herbeischafften. Darin lebten auch Handwerker, denen der Hof eine Zukunft am Lazurwasser aufgezeigt hatte und dessen Verkünder die Siedlung als künftige bedeutsame Hafenstadt sahen. Zu den Zimmerern, Bäckern und Kleinhändlern gesellten sich bald auch Huren, die ein gutes Gespür für die Bedeutung einer wachsenden Siedlung hatten.

      Der Admiral sah auf das Meer. In der ruhigen Zeit war Neferheres oft zum Lazurwasser gekommen. Er hatte ihr auf dem ersten Markt, der abgehalten wurde, eine kleine Katze gekauft, die er Taimhotep nannte, weil in diesem kemetischen Namen das Wort Frieden vorkam, den er für sich und die Tochter des Nomarchen wünschte. Sothur fühlte er zu dieser Zeit nicht als Bedrohung für das Leben mit ihr nach dem Ende der Reise. Sie hatte das Tier in der Siedlung gelassen, für ihn, als Zeichen ihres Bundes. So sagte sie.

      In der zweiten Hälfte der Bauzeit war der Admiral einige Male in Menfe gewesen, um dem Pharao vom Fortgang der Arbeiten zu berichten Die Villa am Hapi hatte er jedes Mal nur zögernd betretent, als wollte er seinen inneren Frieden nicht durch eine unglückliche Begegnung gefährden.

      Nachdem die Tage in der Werftsiedlung unruhiger wurden, die ersten Freiwilligen für die Schiffe eintrafen, neue Spelunken öffneten und auch nachts die Gassen nicht still wurden, waren die Besuche der Frau noch seltener geworden. Sie erklärte es ihm mit der Umgebung, in der er lebte.

      Lärm tötete die Melodie der Wellen. Abdi-ashirta wandte sich um und lief in sein Haus. Er wusste, was die nächsten Stunden brachten. In dieser Nacht endete für ihn die ruhige Zeit am Lazurwasser, und die Götterlinie jenes Abends in Zor wurde zur Wirklichkeit.

      »Ho!Ho! Das ist der Admiral? Sieht aus wie ein Edler! So einen Schiffsführer hab ich nie gesehen!« Soldaten rissen das grinsende Gesicht aus der Fensteröffnung. »Verzeih, Herr! Wir peitschen ihn!«, riefen sie in das Haus.

      »Wartet!« Abdi-ashirta trat das Schutztor auf. Die Nacht der langsamen Schritte hatte begonnen. Brüllende Soldaten trieben die Ruderer zum Ufer. »Wer bist du?«

      »Janhamu. Schlagruderer der Kemet. Jetzt werde ich gepeitscht. So ist das.«

      »Ich bestimme hier! Lasst ihn los! Nimm!« Abdi-ashirta warf dem Mann ein Stück Bratfleisch vor die Brust. »Hab Dank für deinen Gruß!«

      Mit offenem Mund starrte der Ruderer seinem Befehlshaber nach, der hinter sich die Tür zuschlug, dass der Lehm aus der Einfassung bröckelte. »Was für ein seltsamer Mann!«

      Durch das Fenstergeviert drang Staub, aufgewühlt von hunderten Füßen. Das Geschrei der Bewacher holte die Werftsiedlung aus dem Schlaf. Die Sitten sidonischer Häfen ließen auch diesen Platz nicht aus, der fernab der bewohnten Welt lag. Die Schultern der Männer widersetzten sich den fordernden Fäusten der Begleitmannschaften, ein gespielter Protest auf dem Weg in eine unbekannte Zukunft. Die bandagierten Füße stemmten sich gegen die befohlene Richtung. Die Peitschen der Wachen mieden die Freien, ihre Schläge trafen Sklaven, die unter Schmerzen vorwärts drängten und so die anderen mitzogen. Ihre Ketten klirrten, die Flüche galten allen, die zu dieser Fahrt die Kommandos gaben. Wer abseits der Gruppen lief, blieb unbehelligt. Das waren jene, die den kemetischen Werbern freiwillig gefolgt waren.

      Der Admiral entzündete eine dritte Öllampe. Er drehte die Feder in den Händen. Vor der Tür sprachen seine syrischen Wachen leise miteinander. Am offenen Fensterleinen zogen noch immer Leiber vorbei. Die Köpfe blieben hinter der Mauer verborgen. Männer ohne Gesicht – sidonische Umschreibung für Ruderer, da deren Tugend allein die Kraft ihrer Muskeln war. Der Admiral schlug seine Hand auf die Papyri. »Bei Hathor! Wer läuft hier! Die haben noch nie in den Bänken gesessen! Wie sollen solche Arme die Schiffe treiben! Die Könige erlesen ihren Weg in die andere Welt aus dem Totenbuch. Ich schreibe meines selbst.« An den Häusern gegenüber brannten die Fackeln, leuchteten auf die vorbeigetriebenen Leiber, dass deren Schatten über die Wände des Raums zogen.

      Abdi-ashirta erinnerte sich jenes stürmischen Abends in Zor, als die im Libanonwind flackernden Öllampen die Gesichter der Ratsherren veränderten. Vor dem Fenster wurden die Rufe drohender. Männer drängten vorbei, die das Possenspiel der langsamen Schritte verweigerten. Sie hatten die Leiber geübter Ruderer, wehrten sich gegen die Aufseher und waren durch ihre Fußfesseln als Gefangene gekennzeichnet. Schultern streiften das Haus.

      »He, Ormas! Reiß den Palast des Herren nicht ein!« Die Kumpane lachten, syrische Gardisten stachen ihnen die Dolchspitzen in die Haut und rammten sie beiseite. Fluchend zogen die Ruderer zum Meer. Das Gejohle der künftigen Schiffsleute mischte sich mit den Rufen der Bewohner als tobe eine Schlacht durch die Gassen.

      Vor dem Registrierhaus hatten Soldaten einen Kreis gebildet. Die Ruderer lagerten im Sand und sortierten die Bündel mit den Habseligkeiten, die ihnen schlecht gelaunte Beamte


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