Das Mitternachtsschiff. Wilfried SchneiderЧитать онлайн книгу.
bereits in der Heimat eine glückliche Wiederkehr gewünscht.
Der Gong der Kemet tönte in die Gassen und trieb die Menschen zum Strand. Auf einem Schild wurde Ptah-hotep über das Ufer getragen. Bitten an Hathor um eine glückliche Fahrt, letzte Grüße und manchen Fluch schrie das Volk über das Wasser. Die Pauken begannen den Ruderern das Maß zu schlagen. Die Schiffe drehten zum Meer. Die Menschen standen mit offenen Mündern, die Worte aber blieben nun ungehört. Der Admiral Abdi-ashirta blickte auf ferne Wolkenberge im Abendhaus, unter denen Menfe lag, die Stadt des Pharao. Und die Stadt Nefeheres .
Langsam fuhr die Flotte den Wolken nach, die Segel im Wind, von dem jeder der Männer erhoffte, dass nicht das Maul des dem Tod verbundenen Anubis ihn herbei blies. Die Ruder bewegten sich im langsamen Schlag der Pauken, deren Klang hatte sich nun das Meer geholt. Plötzlich war der Lärm am Strand verstummt, selbst die Händler starrten mit ruhigen Mündern den Schiffen nach, ihre vordem fuchtelnden Hände auf die Verkaufsplanken gestützt. Re stand zwischen den Wolken, nach dem verhangenen Himmel der letzten Stunden schien er nun die Zweifel von gestern verbrennen zu wollen, so hart empfanden die Menschen die Glut dieser Mittagsstunde. Nichts war wie vor Tagen, nicht für die Besatzung, nicht für die Menschen der Siedlung, die fast zweihundert Seeleute auf ihren einsamen Weg verabschiedet hatten und erst jetzt in der Stille unter dem blendenden Himmel die Größe des Augenblicks erfassten. Djedkares Weib kniete sich in den Sand und schrie nach ihrem Mann, die Schiffe aber tauchten ein in Wolken und Meer, nur die Segel blieben kurze Zeit noch als purpurrote Punkte über dem Horizont.
Wortlos ließ Ptah-hotep sich zu seinem Gefährt tragen, der Hass dieses erbitterten Feindes der Expedition ließ keinen Gruß über die Lippen. Kerifer-Neith wandte den Blick von der Sänfte zum Abendhaus, in dem die Götter lebten. »Jetzt beginnt meine Zeit«, flüsterte er. »Admiral, die Welt wird sich uns zu erkennen geben.«
Mit heftigen Bewegungen riss ein Junge am Umhang seiner Mutter. Die Frau trug das feste Leinen der alten Zeit, durchsichtige Stoffe waren seit der Herrschaft Psammetichs verpönt. »Was willst du, mein Kleiner?«, fragte sie.
»Ich will Seemann werden!«
Kerifer-Neith ging zu ihm. »Komm in fünf Jahren zum Tempel der Neith und frag nach seinem Oberpriester!«
Die erschrockene Kemetin verneigte sich und bat um Vergebung für die Aufdringlichkeit. Sie tat es wieder und wieder, bis die Wachen sie wegzerrten.
»Ihr versteht nichts!«, schimpfte der Priester. »Die Worte des Kindes sind Kemets Zukunft«.
Die Menschen gingen zu den Häusern, stiegen auf die Dächer und blickten aufs Meer. Ruhig trieb das asiatische Haus die Wellen an den Strand, ein letzter Gruß der sidonischen Heimat für ihre an den Felsufern des Lazurwassers entlang in eine unbekannte Zukunft ziehenden Söhne.
Kerifer-Neith bat seine Göttin um die Wiederkehr der Schiffe, und er bat um das Leben ihres Admirals. Er stand vor der Truhe mit den letzten Dingen Abdi-ashirtas und befahl seinen Bediensteten, sie auf das Landgut Ift-ar zu bringen. Er ging durch den großen Raum im Erdgeschoss dieses Hauses, das nur für den Augenblick gebaut worden war und wohl bald eine der Zufluchten für jene wurde, die in der Werftsiedlung ihr Glück suchten und ohne eigene Wohnstatt waren.
Kerifer-Neith stieg auf das Dach, wie es die anderen Bewohner auch getan hatten und blickte nach Süden. Vor dem kemetischen Priester, dem Astronomen und Geografen Kemets, lag ein gleichgültiges, einsames Meer.
3
Abdi-ashirtas Hand glitt über das getränkte Holz der Heckwandung, er roch das Öl des neuen Schiffes. Die beiden Steuerleute neben ihm hielten die Kemet mit ruhigen Bewegungen auf Kurs. Lange Stunden fuhren sie schon auf dem offenen Meer. Diese Tage und Nächte am Beginn einer Fahrt nahmen der Mannschaft die Verbundenheit zum verlassenen Land. Abdi-ashirta dachte an einen Grabspruch, den Kerifer-Neith für ihn zitiert hatte.
Schüttle den Staub von deinem Fleisch,
mach dich auf den Weg in die Unendlichkeit.
Das niedere Schiffsvolk war nicht fähig, allein an fremden Ufern entlang zu fahren und musste sich den Befehlen der Oberen unterwerfen. Das Lazurwasser hatte sich die Siedlung mit ihrem lärmenden Volk genommen, doch schickte die Küste den Seeleuten ihren Wind nach und erleichterte ihnen die Arbeit. Der Admiral hatte darauf bestanden, die Segel purpurn zu färben, zum Leidwesen Kerifer-Neiths, den der Kauf der teuren sidonischen Schneckenfarbe bald gereut hatte. Das rote Tuch trieb die kleine Flotte voran. Abdi-ashirta blickte über die Menfe nach Osten. Er wusste, dass sich hinter dem Wasser über ungemessene Iteru ein trockenes Land ausbreitete, irgendwo von den babylonischen Flüssen durchzogen, die in einem Meer starben, das für Sidonien die Straße in die von assyrischen Überlieferungen beschriebenen Länder hinter den gewaltigen Bergmassiven war. Hir-Rectars Vertraute hatte ihn lange Tage unterwiesen, die Völker der libyschen Küste nach neuen Routen zu fragen. Sie hatten ihn sogar aufgefordert, einen Erkundungstrupp nach Kusch zu schicken. Als er Kerifer-Neith in der Werftsiedlung eine Andeutung davon gemacht hatte, riss der ein Bord von der Wand und schleuderte es auf den Boden. Abdi-ashirta verstand auch ohne Worte. Diesen Weg werden andere finden, und ohne Nechos Kanal werden es keine Sidoner sein. Er drehte sich zum westlichen Haus. Von seinem Ufer waren Menfe und Neferheres Villa drei Tagesmärsche entfernt, doch den Weg in die Lotosblüte und in die Stadt Ptahs gab es für ihn nicht.
Der sanfte Fluss zieht an dem Stein vorbei, auf dem meine Liebste sitzt.
Sie hat die Frage gefragt, wann ich von meiner Reise wiederkehre.
Zähle die Wassertropfen, die Gott Hapi schuf.
Zähle die Blätter an den Weinstöcken deines Vaters.
Zähle die Vögel im Wind, wenn sie das Südliche Haus suchen.
Kennst du die Zahlen, weißt du …
Das Lied starb im Zorn des Zweiten Admirals. Einer der Steuerleute hatte sein Ruder zu locker gefasst, sein Ellbogen traf Abdi-ashirta an der Brust.
»Herr, verzeih!«, rief der erschrockene Mann. »Er hat so schön gesungen, so schön. Ich habe geweint, weil ich an mein Mädchen gedacht habe.«
»Zimri-da!«, rief der Admiral. Es war zu spät. Sein Vertreter riss dem Sänger die Laute aus den Fingern und zerschlug sie auf dessen Kopf.
»Ruderer rudern! Sie singen keine Gesänge!« Die Worte verrieten Zimri-das Erregung.
»Pabener! Bist doch kein Blinder! Singst, als hättest du die Tränen von hundert heulenden Weibern getrunken!«
»Zupfst auf dem Ding wie ein Günstling!«
»Bist was Besseres, was, du Hofmusikant!«
»Stopf dir die Laute in den Arsch, dann spielt der die Lieder!«
Die Männer johlten und riefen dem Sänger ihre Spottworte über das Schiff. Abdi-ashirta ging zu dem Ruderer. In den Augen Pabeners stand Wasser, er hockte auf dem Boden, die zerstörte Laute neben sich.
»Sie ist aus Babylon, ein letztes Geschenk meines Vaters.« Abdi-ashirta strich mit den Fingern über den Resonanzkörper aus Schildkrötenpanzer und den Gänsekopf, der das Griffende zierte. Pabener drückte seine Lippen auf das Instrument und warf es über Bord.
»Ich singe nun meine Lieder ohne sie. Ich war doch zu dieser Stunde frei vom Ruder.« Er sah zu Zimri-da und schüttelte den Kopf. Abdi-ashirta versuchte ihn zu trösten und die Tat seines Vertreters zu erklären, doch die Worte gingen nicht in die Ohren des Sängers.
»Eines Tages hören sie zu. Zweimal habe ich auf einem Boot gesungen, das der Hapi in die Lotosblüte trug. Fünf Schiffe drehten heran, damit man mich besser verstehen konnte.« Er sang erneut, dieses Mal in alten kemetischen Worten, die er sehr leise sprach, dass kaum der Mann neben ihn in der Bank sie zu hören vermochte. Mit Mühe verstand der Admiral die