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Budschakenblut. Martina von SchaewenЧитать онлайн книгу.

Budschakenblut - Martina von Schaewen


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in den Mittelpunkt zu stellen. Die Gemeinde sang so ergreifend mit, dass der Geistliche hoffte, es würde den Menschen ein wenig Trost spenden.

      Wenige Tage nach dem Abschied in der Kirche besuchten die Menschen zusammen mit dem Pfarrer den Friedhof. Der Weg führte sie aus dem Dorf hinaus, eine Anhöhe hinauf. Bei dem Trubel um die bevorstehende Umsiedlung hatte keiner daran gedacht, dass der Pastor diese Strecke in seinem Alter und auf seine Gehhilfe angewiesen, kaum bewältigen konnte. Anfangs schritt der Pfarrer zügig mit Hilfe seines Stockes voran, seine Gemeinde ergeben hinterher.

      Kaum hatte man den Ort verlassen, stieg der Weg ein wenig an. Ohne Vorwarnung ließ sich Alois Fischer plötzlich nach hinten fallen, direkt in die Arme des Schulzen. Für einen Moment schloss der Geistliche die Augen. Als er sie wieder aufriss, begann er nach Atem zu japsen. Wie ein Maikäfer vor dem Abflug pumpte er Luft ein und aus. Seine Haushälterin rannte, so schnell es ihr Alter und ihr Umfang zuließen, herbei. Keuchend setzte sie sich auf den Boden und forderte den Schulzen auf, ihr den Geistlichen in die Arme zu legen. Seinen Kopf unter ihrem dicken Busen, wiegte sie den Pfarrer wie eine Amme einen Säugling hin und her. Sein hektischer Atem beruhigte sich und er schloss lächelnd die Augen. Die anschließenden Minuten kamen den Umstehenden wie eine Ewigkeit vor. Unvermittelt riss der Pastor die Augen wieder auf und befreite sich aus den Armen dieser Frau. Zwei kräftige Männer halfen ihm dabei und stellten ihn aufrecht hin. Alois Fischer griff nach seinem Stock, schwang ihn in die Höhe, während er den Menschen ein »Voran!« zurief. Der Ortsvorsteher überzeugte den Geistlichen jedoch davon, dass es besser wäre, sich von den kräftigsten Männern des Ortes zum Friedhof tragen zu lassen. Für die Helfer war dies allerdings keine einfache Aufgabe. Nicht das Gewicht des Geistlichen forderte ihre ganze Kraft, sondern die schwungvollen Stockschläge, die der Pfarrer zum Allmächtigen in den Himmel schickte, gefolgt von unverständlichen Litaneien.

      Am Friedhof angekommen, blickten viele wehmütig auf Sarata zurück.

      Malerisch erstreckte sich der Weg von hier oben, eingerahmt zwischen Sträuchern und Bäumen. Von der Anhöhe sah man über den größten Teil des Dorfes hinunter, bis zur Marktstraße.

      Jeder spürte die Ergriffenheit und den Schmerz des Anderen bei dem Gedanken daran, dass sie dieses Bild ein letztes Mal vor Augen hatten. Es sollte in ihrem Gedächtnis bleiben für ihre Enkel und Urenkel.

      Nach stillen Minuten wendeten sich die Ersten ab und liefen auf die Gräber ihrer Toten zu. Es galt, ein letztes Mal die Gräber zu schmücken und für immer Abschied zu nehmen.

      Nicht nur die Eltern und Großeltern hatten hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, sondern auch die Urgroßeltern, die vor über 100 Jahren den Ort Sarata gründeten.

      Alois Fischer stand am Grab seines Vorgängers und versuchte ein paar tröstende Worte an die Gemeinde zu richten. Der Pfarrer verabschiedete sich von seiner Gemeinde. Jetzt wurden auch die, die bisher nicht zugehört hatten, aufmerksam. Keiner verstand so richtig, was Alois Fischer redete. Nach seinen letzten Worten: »Sarata, im Tode bin ich dein!«, legte er sich zum Erstaunen seiner Gemeindemitglieder auf das Grab seines Vorgängers und schloss die Augen. Diesmal wiegte ihn die herbeieilende Haushälterin vergeblich unter ihren dicken Brüsten hin und her.

      Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen starb der Geistliche in den Armen der Frau, die jahrzehntelang treu an seiner Seite gelebt hatte.

      An all das dachte Olga, während sie wünschte, dass der Transport endlich losging. Auf was wartete man noch? Sie seufzte leise und schaute auf die Nummern der Fuhrwerke. Die Wagen waren bereits in der richtigen Reihenfolge aufgestellt, denn keiner sollte unterwegs verloren gehen.

      Alles in ihrem Leben erwirtschaftete musste Olga nun zurücklassen; selbst das Geld und den wenigen Schmuck, den sie besaß. Was ihr blieb, waren ein paar Decken und Kleider, wenige Fotos und Bücher.

      Olgas Blick verweilte einen Moment auf dem Proviant, den sie eingepackt hatte: Gekochtes Gemüse, ein Fässchen eingelegtes Fleisch, zwei Laibe selbstgebackenes Brot. Wie weit würde es reichen?

      Ihre Gedanken an zu Hause, an die vielen Dinge, die in der Stube lagen, wurden gestört durch das Läuten der Kirchenglocken, welches nun einsetzte.

      Aus einem entfernten Planwagen hörte man eine Frau, die das Heimatlied anstimmte.

      Viele folgten der Aufforderung und sangen mit. Aufgewühlt und ergriffen hörten sich die Worte an:

      Gott segne dich, mein Heimatland!

      Ich grüß` dich tausendmal,

      Dich Land, wo meine Wiege stand,

      Durch meiner Väter Wahl!

      Du Land, an allem Gut so reich,

      Ins Herz schloß ich dich ein;

      Ich bleib` dir in der Liebe gleich,

      Im Tode bin ich dein!

      So schirme, Gott, in Freud und Leid

      Du unser Heimatland!

      Bewahr der Felder Fruchtbarkeit

      Bis hin zum Schwarzmeerstrand!

      Erhalte du uns deutsch und rein,

      Send` uns ein freundlich Los,

      Bis wir bei unsern Vätern ruhn

      Im heimatlichen Schoß!

      Olga faltete die Hände in ihrem Schoß. Sie schloss die Augen und spürte Tränen an ihren Wangen hinunterkullern. Die Lippen fest zusammengepresst, blieb ihr Mund verschlossen. Kein Ton kam aus ihrem Hals.

      Selbst die Pferde an den Fuhrwerken spürten diese Traurigkeit. Aufgeregt wieherten sie, als könnten sie die Abfahrt kaum erwarten.

      Langsam setzte sich die Wagenkolonne in Bewegung.

      Olga vernahm ein Bellen, das näher kam und lauter wurde. Ohne ihren Kopf zu drehen, schielte sie mit den Augen zur Seite und sah einen Hund neben dem Wagen herspringen.

      »Sabaka, du kannst nicht mit«, murmelte Olga.

      »Schau nicht zurück«, hörte sie ihren Mann leise sagen.

      Nein, sie würde nicht zurückblicken, nicht einmal für einen winzigen Moment. Ihrer Heimat beraubt, einer ungewissen Zukunft entgegen – ein Blick zurück würde alles nur noch schlimmer machen, kam es ihr in den Sinn.

      Langsam kroch die Kolonne die kleine Anhöhe hinauf, die aus dem Ort hinausführte. Olga spürte, dass sie doch noch ein letztes Mal zurückblicken musste. Sie sah die Straße hinunter, die bis zum Fluss reichte. Rechts und links davon standen niedere, weißgetünchte Steinmauern, hinter denen sich die Bauernhäuser mit den großen Höfen befanden.

      Die Mauern und die Häuser wurden immer kleiner. Nur der Kirchturm mit seiner runden Kuppel und dem Kreuz darauf überragte noch die Dächer des Dorfes. Aber bald war auch das Kreuz der Kirche verschwunden.

      Olga spürte den aufkommenden Ostwind im Rücken. Es war, als wollte er sie schnell dem Westen zutreiben.

      Sie schaute zu ihrem Mann, der seine Tränen nicht verbergen konnte.

      »Es gibt kein Leben ohne Leid«, versuchte er sie zu trösten.

      »Und es gibt kein Leben ohne Geheimnisse« erwiderte Olga.

      Morgen hängen ihn die Russen auf, dachte sie.

      1

      Die Zeiger der Wanduhr standen auf 18.45 Uhr. Zu früh, um ins Gasthaus zu gehen. Nie betrat er vor sieben Uhr abends die Wirtsstube.

      Das hatte er mit sich selbst vereinbart. Warum, wusste er nicht.

      Die Wärme in seiner Stube machte ihn ein wenig schläfrig. Langsam erhob er sich aus seinem breiten Stuhl und trat zum Fenster. Er schaute in die Dunkelheit und erkannte die Umrisse des Maulbeerbaumes im Hof. Dachte er an diesen Seidenraupenbaum, tauchten Kindheitserinnerungen vor seinen Augen auf.

      Wie oft hatte er als kleiner Junge


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