Das Lebenselixier. Эдвард Бульвер-ЛиттонЧитать онлайн книгу.
voller Wehmut den Kindern, die so bald Waisen werden sollten, während eines nach dem anderen in den kalten dunklen Gang, angefüllt mit den blutlosen Vertretern einer stummen rohen Natur - in grässlicher Weise vor dem Sterbezimmer eines Menschen aufgebaut - hinaustrat. Als die letzte Kindergestalt verschwunden war und die Tür sich mit einem scharfen Geräusch geschlossen hatte, wanderten meine Blicke noch unstet im Zimmer umher, bevor ich es über mich brachte, sie der zusammengebrochenen Gestalt zuzuwenden, neben der ich jetzt in der vollen Größe und Kraft stand, die den Stolz meines Geistes genährt hatte. In dem Moment, den meine wehmütige Umschau in Anspruch genommen hatte, brannte sich der Anblick dieses Ortes bis ans Ende meines Lebens unveränderlich in meine Erinnerung ein. Durch das hohe, tief herab reichende Fenster, das zur Hälfte von einem dünnen verblichenen Vorhang verhüllt wurde, strömte das Mondlicht herein, bedeckte den Boden mit dem weißen Schimmer eines Leichentuchs und verlor sich in der Dunkelheit unter dem Totenbett. Die Decke war niedrig, ein Eindruck, der sich durch die gekreuzten Stützbalken, die ich mit meiner erhobenen Hand erreichen konnte, noch verstärkte. Die hohe tropfende Kerze und das Flackern des Feuers, das sich durch das aufgehäufte Brennmaterial fraß, warfen ihre Reflexion einer übelriechenden zitternden Dunkelheit, ähnlich einer bösartigen Wolke, unmittelbar an die Decke über meinem Kopf.
Plötzlich ergriff der Sterbende mit seiner linken Hand (die rechte war bereits gelähmt) meinen Arm und zog mich näher und näher zu sich heran, bis seine Lippen beinahe mein Ohr berührten. Mit einer manchmal festen, manchmal durch Keuchen und Zischen zerrissenen Stimme sagte er:
„Ich habe Sie rufen lassen, damit Sie Ihr eigenes Werk bewundern können. Sie haben mein Leben in einem Augenblick zerstört, als es für meine Kinder am wichtigsten und für den Dienst an der Menschheit am nützlichsten war. Hätte ich noch einige Jahre länger gelebt, wären sie alt genug gewesen, um nicht den Versuchungen des Mangels ausgesetzt und nicht auf die Barmherzigkeit von Fremden angewiesen zu sein. Ihnen haben sie es zu verdanken, dass sie mittellose Waisen sein werden. Von Krankheiten heimgesuchte Mitmenschen, denen Ihr Arzneibuch nicht helfen konnte, kamen zu mir, um mich um Hilfe zu bitten und fanden sie. „Einbildung,“ sagten Sie. Aber was machte das schon aus, wenn ich die Einbildung in Richtung einer Heilung leitete? Nun haben Sie die Unglücklichen durch Ihren Spott ihrer letzten Chance beraubt. Sie werden leiden und zu Grunde gehen. Haben Sie geglaubt, ich sei im Irrtum? Sie wussten, dass mein Streben der Suche nach der Wahrheit galt. Sie haben gegen ihren Amtsbruder tödliche Arznei und eine vergiftete Sonde gebraucht. Sehen Sie mich an! Sind Sie zufrieden mit Ihrem Werk?“
Ich versuchte, meinen Arm dem Griff des sterbenden Mannes zu entwinden. Das ging jedoch nicht ohne Gewalt, die anzuwenden unmenschlich gewesen wäre. Seine Lippen näherten sich noch mehr meinem Ohr.
„Eitler Heuchler, rühmen Sie sich nicht damit, dass Ihr schriftstellerisches Talent der Wissenschaft gedient habe. Die Wissenschaft ist all denen gegenüber nachsichtig, die das Experiment als Prüfung einer Mutmaßung anbieten. Sie sind aus dem Stoff, aus dem Inquisitoren gemacht werden. Sie mutmaßen eine Entweihung der Wahrheit, wenn Ihre Dogmen in Zweifel gezogen werden. In Ihrer oberflächlichen Anmaßung haben Sie die Grenzen der Natur gezogen und sobald Ihre Vision verblasst, sagen Sie „Hier muss die Natur enden“; in der Bigotterie, die der Anmaßung das Verbrechen hinzufügt, würden Sie einen Entdecker steinigen, der Ihren Karten neue Gebiete hinzufügt und Ihre eigenmächtigen Grenzen erschüttert. Wahrlich die Vergeltung wird Sie ereilen! In den Räumen, die Ihre Wahrnehmung zu erforschen verschmäht hat, werden Sie verloren und verwirrt umherstreunen. Hah! Ich sehe Sie schon! Die flüsternden Phantome umringen Sie bereits!“
Die Stimme des Mannes verstummte abrupt; sein Blick erstarrte in glasigen Augen; seine Hand lockerte ihren Griff und er fiel auf sein Kissen zurück. Ich schlich mich aus dem Zimmer und traf auf die Krankenschwester und die alte Dienerin. Glücklicherweise waren die Kinder nicht anwesend. Aber aus einem nicht weit entfernten Zimmer hörte ich das Schluchzen des Mädchens.
Ich flüsterte der Schwester hastig zu: „Es ist alles vorüber!“, glitt unter dem Rachen der ungeheuren Anaconda vorbei und gelangte durch die dunkle Gasse zwischen den toten Wänden und die von geisterhaftem Mondlicht erhellten gespenstischen Straßen zurück in meine einsame Wohnung.
Kapitel III
Es dauerte einige Zeit, bis ich den Eindruck abschütteln konnte, den die Worte und der Blick des sterbenden Mannes auf mich gemacht hatten.
Nicht, dass mich mein Gewissen ernsthaft beunruhigt hätte. Was hatte ich schon getan? Eine Sache an den Pranger gestellt, die ich, wie die meisten vernünftigen Menschen – Ärzte oder nicht –, für eine jener Illusionen hielt, mit der die Quacksalberei Vorteile aus dem Wunder der Unwissenheit zieht. War es mir anzulasten, dass ich mich weigerte, die an Zaubermärchen erinnernden, angeblichen Kräfte mit demselben Respekt zu behandeln, wie die legitimen Errungenschaften der Wissenschaft? Hatte ich eine Ausbildung an wissenschaftlichen Akademien genossen, um mich zu einer Untersuchung herabzulassen, ob eine schlummernde Sibylle ein ihr auf den Rücken gelegtes Buch lesen oder mir in L...... sagen könnte, was im selben Augenblick ein an den Antipoden weilender Freund tue?
Und obwohl Dr. Lloyd ein ehrenwerter und ehrlicher Mann gewesen sein mochte, der aufrichtig an den Unfug geglaubt hatte, für den er von anderen die gleiche Leichtgläubigkeit forderte, kommt es nicht jeden Tag vor, dass ehrliche Menschen sich dadurch zum Gegenstand des Spotts machen, dass sie gegen den gesunden Menschenverstand verstoßen? Konnte ich voraussehen, dass eine Satire, die so sehr herausgefordert worden war, eine derartig tödliche Wunde schlagen könnte? War ich ein unmenschlicher Barbar, weil der zerstörte Gegner krankhaft empfindlich war? Deshalb machte mir mein Gewissen keine Vorwürfe und die Öffentlichkeit erwies sich nicht strenger als mein Gewissen. Die Öffentlichkeit hatte sich während der Auseinandersetzung auf meine Seite gestellt; die Öffentlichkeit wusste nichts von den Anschuldigungen, die mein Gegner auf seinem Sterbebett gegen mich erhob; die Öffentlichkeit wusste lediglich, dass ich ihm in seinen letzten Augenblicken Beistand geleistet hatte, sie sah mich der Bahre folgen, die ihn zu Grabe trug, bewunderte die Achtung, die ich ihm erwies, indem ich ihm einen einfachen Grabstein mit einer Inschrift, die seiner unbestreitbaren Menschenfreundlichkeit und Integrität Gerechtigkeit Rechnung trug, aufstellen ließ. Vor allem rühmte man den Eifer, mit dem ich eine Sammlung für seine Waisen initiierte und die Großzügigkeit, mit der ich als Erster eine Summe einzahlte, die im Vergleich zu den mir zu Verfügung stehenden Mitteln als groß bezeichnet werden konnte.
Ich beschränkte allerdings meine Unterstützung nicht auf diese Summe. Das Schluchzen des armen Mädchens klang immer noch in meinem Herzen nach. Da ihr Schmerz größer gewesen war als der ihrer Brüder, könnten ihr größere Prüfungen bevorstehen, wenn einmal die Zeit kam, ihren eigenen Weg durch die Welt zu beschreiten. Aus diesem Grunde legte ich, unter Vorsichtsmaßnahmen, die verhindern sollten, dass das Geschenk jemals bis zu meiner Hand zurück verfolgt werden konnte, eine Summe für sie an, die solange anwachsen konnte, bis sie ins heiratsfähige Alter käme und ihr als kleine Mitgift dienen konnte; sollte sie ledig bleiben, aber für ein Einkommen sorgte, das sie über die Versuchungen der Armut erhob und sie vor der Bitterkeit einer sklavischen Abhängigkeit bewahrte.
Dass Dr. Lloyd in Armut gestorben war, überraschte anfangs allgemein, da er in den letzten Jahren beachtliche Einkünfte erzielt hatte und stets ein zurückgezogenes Leben geführt hatte. Aber unmittelbar vor dem Beginn unserer Kontroverse hatte er sich dazu bewegen lassen, den Bruder seiner verstorbenen Frau, der Juniorpartner einer Londoner Bank war, durch ein Darlehen in Höhe seiner gesamten Ersparnisse zu unterstützen. Der Mann erwies sich als unredlich; er veruntreute nicht nur diese, sondern auch andere Summen, die ihm anvertraut worden waren und floh aus dem Land. Das selbe Gefühl gegen das Andenken seiner verstorbenen Gattin, das Dr. Lloyd um sein Vermögen brachte, bewog ihn auch, über die Ursache seines Verlustes Schweigen zu bewahren. Es war seinen Nachlassverwaltern vorbehalten den Verrat des Schwagers aufzudecken, den der arme Mann großzügig vor weiterer Schande bewahren wollte.
Der Bürgermeister von L...., ein reicher und von Gemeinsinn beseelter Kaufmann, kaufte das Museum, das Dr. Lloyd´s Passion für die Naturgeschichte zusammengetragen hatte, und die Summe, die aus dem Erlös des Verkaufs resultierte, reichte nicht nur aus, alle Verbindlichkeiten des