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Der gläserne Vogel. Albrecht GralleЧитать онлайн книгу.

Der gläserne Vogel - Albrecht Gralle


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Arlingen. Das würde doch Sinn machen, aber Grabstetten in Garbstetten, wo liegt da der Vorteil?“

      „Vielleicht wenn es … geschichtliche Gründe gibt“, überlegte Phil.

      „Wie meinst du das?“

      „Vielleicht haben die Forscher herausgefunden, dass der Name nicht von Graben kommt, sondern von dem Wort Garben.“

      „Garben? Das Wort kenn ich nicht“, sagte Gina.

      „Garben, das sind so … so Bündel. Früher hatte man den Weizen in Garben gebunden.“

      „Ach so.“

      Phil gähnte. „Wie auch immer. Ich muss jetzt nach Hause, morgen schreiben wir eine Englischarbeit.“

      „Okay“, sagte Joker. „Morgen um vier bei mir?“

      „Halb sechs wäre besser“, sagte Gina. „Ich hab vorher noch Klavierunterricht.“

      „Gut. Halb sechs ist mir auch lieber. Phil?“

      „Halb sechs ist gebongt.“

      Sie radelten aus dem Wald und trennten sich bei der nächsten Kreuzung.

      Phil fuhr auffallend langsam. Als Gina und Joker abgebogen waren, drehte er um und trat heftig in die Pedale. Bald war er wieder bei der Schonung angekommen.

      Er wartete, bis zwei Spaziergänger vorbeigegangen waren, blickte unauffällig nach allen Seiten und hob sein Rad über den Zaun der Schonung, dann schob er es, so gut es ging, durch die eng stehenden kleinen Tannen, bis er bei der Kugel angekommen war.

      Kurz entschlossen packte er sein Rad und ließ es in die Kugel gleiten, bis es darin verschwunden war. Dann stürzte er sich selbst durch das Kugel-Tor.

      Auf der anderen Seite fand er, wie er es vermutet hatte, sein Fahrrad, das neben ihm auf dem Boden lag. Er hob es auf, untersuchte es kurz, nickte dann, stieg auf und fuhr durch den Wald bis zu dem großen Stein an der Bundesstraße.

      Zwei, drei Autos kamen vorbei. Phil wartete sie ab und radelte den schon bekannten Weg, Richtung Dorf.

      Er las auf dem Ortsschild Garbstetten und fuhr in das Dorf hinein.

      Nach ein paar Metern stieg er aus und schob das Rad vor sich her, während er sich nach allen Seiten umsah. Schließlich lächelte er, als er eine kleine Bäckerei entdeckte, die geöffnet war.

      Zwei Frauen standen vor der Theke und unterhielten sich mit der Verkäuferin. Sie traten zurück, um Phil vorzulassen.

      „Guten Tag“, sagte Phil, „ich hätte gerne zwei Brötchen.“

      „Welche Sorte?“

      „Ein Rosinenbrötchen und ein Roggenbrötchen.“

      Die Frau packte das Ganze in eine Tüte und Phil bezahlte.

      Er drehte sich um, ging zur Tür und blieb dann stehen, als ob ihm etwas eingefallen wäre.

      „Ach, entschuldigen Sie“, sagte er.

      „Ja? Hast du was vergessen?“

      „Nein, nein. Wissen Sie, ich mache gerade eine Fahrradtour und hab mich vorhin gefragt, ob der Name von dem Ort schon immer Garbstetten hieß.“

      Die beiden Kundinnen blickten sich erstaunt an, und die Verkäuferin sagte: „Natürlich. So heißt der Ort schon Jahrhunderte lang. Ich glaube, früher war hier mal ein Platz, wo Garben aus der Gegend gesammelt wurden. Aber genau weiß ich das nicht. Wie sollte der Ort denn sonst geheißen haben?“

      „Ach, dann habe ich wahrscheinlich auf der Karte nicht genau hingeschaut und habe Grabstetten gelesen.“

      „Nein, nein“, mischte sich jetzt eine der Kundinnen ein. „Grabstetten gibt es hier nicht. Hört sich ein bisschen nach Friedhof an.“

      „Na ja“, sagte Phil, „war nur eine Frage, also Tschüss.“

      Während Phil den Laden verließ, hörte er noch, wie eine der Frauen sagte: „Grabstetten. Komischer Name. Übrigens, Vera, ich habe ein neues Mittel gegen Gänseblümchen entdeckt, das …“

      Phil runzelte die Stirn und ging zu seinem Fahrrad. Er nahm das Rosinenbrötchen heraus und aß es im Stehen.

      Dann stieg er auf das Rad und fuhr nachdenklich zurück.

      Als er durch die Kugel wieder auf der Schonung angekommen war und unbemerkt sein Rad über den Zaun gehoben hatte, nahm er nicht den Weg nach Hause, sondern steuerte auf die Stadtbücherei zu.

      Am nächsten Tag regnete es, und Gina und Phil kamen fast gleichzeitig zu Fuß bei Joker an.

      Ohne Kommentar zogen sie ihre nassen Schuhe aus, als Joker ihnen öffnete (eine Erziehungsmaßnahme Ginas) und gingen auf Socken mit ihm eine Treppe nach oben in sein Zimmer.

      Joker hatte sich redlich bemüht, ein wenig Ordnung zu schaffen, aber Gina entdeckte ein zerkrümeltes Brötchen zwischen den Polstern eines ausgedienten Sessels, und der Papierkorb unter dem Schreibtisch quoll über, sodass zwei leere Joghurtbecher auf den Boden gefallen waren. Die Bücher, Zettel und Hefte, die sonst auf dem Schreibtisch lagen, hatte Joker einfach auf den Teppich gestapelt.

      „Na, Alter, wie geht’s?“, sagte Joker und haute Phil auf den Rücken.

      „Geht so.“

      „Geht so? Besonders munter siehst du tatsächlich nicht aus.“

      „Schlecht geschlafen.“

      Joker raschelte mit der Zeitung. „Also, Leute, ich weiß auch nicht. In letzter Zeit gibt es die merkwürdigsten Meldungen. Neulich war ja diese Geschichte über das Schaf, das seinen Schäfer erschossen hat, und heute … Hört euch das an. Eine irre Überschrift!“

      Phil und Gina ließen sich auf das ausrangierte Sofa nieder.

      „Angriff der Gummibärchen!

      In einer Süßwarenfabrik gab es am Samstag einen Unfall. Ausgelöst wurde er durch eine Fehlsteuerung der Fließbänder, die Gummibärchen zu der Verpackungseinheit transportierten.

      Die wohlschmeckenden bunten Tiere waren in das Getriebe geraten, hatten die Fließbänder blockiert und dabei einen riesigen Stau verursacht. Bei der Reparatur der Maschinen wurden zwei Ingenieure aus bisher noch unbekannten Gründen schwer verletzt.“

      Phil verzog den Mund zu einem müden Lächeln und sagte: „Ziemlich witzig. Ich hab übrigens eine Neuigkeit. Gestern war ich …“

      Er wurde unterbrochen, weil die Tür aufging und Jokers Mutter im Türrahmen stand.

      „Hallo, Gina und Phil!“

      „Hallo, Frau Konradin!“

      Man merkte, dass Joker der Sohn von Frau Konradin war, denn er hatte dieselben blonden Locken wie sie und einen Ausdruck im Gesicht, den Gina mit „dieser versteckte Charme in den Augenwinkeln“ bezeichnete.

      „Na, wie sieht’s aus?“, fragte sie. „Habt ihr Lust auf ein paar Knabbersachen?“

      „Klar haben wir Lust“, antwortete Joker.

      „Und bei diesem ekligen Wetter“, fuhr Jokers Mutter fort, „würde vermutlich ein Becher heißer Kakao nicht schaden.“

      „Das wäre echt toll!“ Gina verströmte ihr Nettes-Mädchen-Lächeln.

      Als Frau Konradin die Tür zugemacht hatte, platzte Gina los: „Was für eine Neuigkeit hast du denn, Phil? Irgendwas mit unserer Kugel-Tür?“

      „Was sonst? Ich bin gestern nicht gleich nach Hause gefahren, sondern nochmal durch das Tor geschlüpft.“


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