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Hegel. 100 Seiten. Dietmar DathЧитать онлайн книгу.

Hegel. 100 Seiten - Dietmar  Dath


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Sätzen Hegels, zu denen ich selbst nicken könnte, sondern lieber bewusst mit dem, was an ihm bei mir und anderen Anstoß erregt, also nach bestimmter Negation verlangt.

      Holzstich Bildnis des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel von Hugo Birkner (1818-1897), aus: 200 Bildnisse und Lebensbeschreibungen berühmter deutscher Männer, hrsg. von Ludwig Bechstein, Leipzig 1854.

      Hegel so auslegen zu wollen, dass er »aufgeht«, kann die besten Köpfe in Fallen locken, in denen ihre Deutung ihnen unter der Hand zur Willkür zerfällt. Ich erinnere mich mit Schaudern daran, wie ich erst beim wunderbaren amerikanischen Philosophen Robert B. Brandom in seiner 700-seitigen Rekonstruktion des Argumentationsgangs von Hegels Phänomenologie mit dem großen Titel A Spirit of Trust (2019) auf die schöne Unterscheidung stieß, das Wort »Verstand« bezeichne bei Hegel den darstellenden und statischen Intellekt, das Wort »Vernunft« dagegen den begrifflichen und dynamischen, woran ich mich tagelang erfreute, weil so viele dunkle Stellen bei Hegel davon heller wurden, bis ich plötzlich in der Phänomenologie selbst ein (vom editorischen Kommentar nachgewiesenes) falsches Goethezitat fand, bei dem Hegel ausgerechnet »Verstand« und »Vernunft« vertauscht (für Jagdbegeisterte: Es steht im Abschnitt a. »Die Lust und die Notwendigkeit« im Unterkapitel B. »Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewusstseins durch sich selbst« im Großkapitel V. »Gewissheit und Wahrheit der Vernunft« des »Vernunft«-Teils der Phänomenologie). War Hegel die von Brandom nachgezeichnete Unterscheidung beim Goethelesen auf einmal egal, oder hat er seinen Goethe entstellt, damit der in die Unterscheidung passt? Was ist da passiert?

      Man nimmt von solchen Erfahrungen die Mahnung mit: Wenn eine Deuterin oder ein Deuter Hegel klarer macht, muss diese Klarheit nicht zwingend richtiger sein als die Unklarheit vorher war. Die einzige simple Regel für Hegel ist: Es gibt keine simple Regel für Hegel.

      In der Konfrontation mit dem, was ich bei Hegel falsch finde oder nicht verstehe, lerne ich erst, wo er gegen meine Vorurteile Recht hat oder wo mein Verständnis Unzulänglichkeiten abbauen muss (was man sofort versteht, ist immer nur, was man schon wusste).

      Mein Publikum sollte mich genau so lesen: Wo es das ablehnt, was da steht, wo es denkt: »Also das kann der Hegel doch nicht gemeint haben!«, muss es

      1 bei Hegel nachsehen und

      2 selbst denken.

      So könnte gehen, was nicht geht, Hegel auf 100 Seiten.

      Wie ist die Welt gedacht?

      Wer sich mit der Geschichte systematischen Denkens befasst, das über Befunde der Einzelwissenschaften hinaus Weltbilder bauen will, stößt irgendwann auf eine Erscheinung namens »Idealismus«. Damit ist hier eine philosophische Richtung gemeint, die glaubt, die Welt wäre Denken. Bevor man darüber lacht, sollte man verstehen, was das heißen soll.

      Es gibt mindestens zwei Untergattungen des Idealismus, den subjektiven und den objektiven. Der subjektive lebt davon, dass eine Person, die denkt, nie etwas anderes dabei denken kann als Gedanken. Mehr noch: Wir können nicht wissen, wie oder was etwas ist, das man nicht wissen kann. Aber alles, was man weiß, ist eben Gedanke. Wissen gibt es nämlich gar nicht, wenn es nicht das Vermögen ist, sich an etwas zu erinnern und es in Überlegungen zu verwenden. Jeder Versuch, den Einfall, es gäbe nur Gedanken, zu widerlegen, wird sofort Denkvorgang. Der subjektive Idealist ist davon tief beeindruckt.

      Der nächstliegende Einwand dagegen ist der gröbste: Die experimentell ermittelbaren Überlebensregeln für mich, das Subjekt meines subjektiven Idealismus, sind so, dass ich zum Beispiel sterbe, falls ich lange genug keine Nahrung mehr zu mir nehme. Dann kann ich auch nichts mehr denken. Wer das bestreitet, mag es testen.

      »Subjektiv« im Sinne von »willkürlich«, das heißt so, dass einem Subjekt wie mir freistünde, sich alles zurechtzudenken, wie es will, ist das, was ich von der Welt weiß, meist nicht. Die Aussage: »Alles ist (nur) Gedanke.« fügt unter diesen Bedingungen dem, was man beachten muss, bloß eine Art Schnörkel hinzu – als hätte jemand eine Sprache erfunden, in der man an jedes Wort die Silbe »denk« hängt: »Esdenk istdenk eherdenk eindenk albernesdenk Spieldenk alsdenk eindenk seriösesdenk Denkergebnisdenk.«

      Da setzt eine andere Spielart des Idealismus an, die objektive. Der objektive Idealismus weiß, was der subjektive auch weiß, nämlich, dass man nichts denken kann als Gedanken. Aber anders als sein subjektiver Bruder erkennt er an, dass es zumindest eine subjektive Untersorte Denken gibt, die nicht einfach denken kann, was sie will. Ich und du gehören dazu.

      Der objektive Idealismus folgert daraus aber keineswegs, dass das, was dem Denken Grenzen setzt, etwas anderes wäre als Gedanke. Er folgert stattdessen, dass »Denken« etwas anderes sei als ein beliebiges Subjekt, das von sich meint, es denke. Der objektive Idealismus denkt sich einen Gedankenzusammenhang, der solche Subjekte überwölbt und in sich einbegreift.

      Das können Gedanken (eines) Gottes sein. Vielleicht ist es eine Riesen-Rechensumme namens »mathematisches Universum« (so sagen diverse Physikbegeisterte heutzutage). Man kann es auch »Geist« nennen (so sagten diverse Philosophiebegeisterte vor 200 Jahren).

      Seinen intellektuellen Höhepunkt und seine reichste systematische Ausarbeitung fand der Idealismus in Deutschland. Der sogenannte Deutsche Idealismus (man schreibt das Adjektiv oft groß, weil die beiden Wörter zusammen einen Begriff bilden) wurde weltberühmt, weil ein Philosoph diesen Höhepunkt erreicht und diese Ausarbeitung geleistet hatte. Sein Name ist Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

      In dessen Schriften steht neben Einsichten auch schwer verdauliches Zeug, zum Beispiel über die Natur, etwa übers Verhältnis von Materie und Licht. In Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften heißt es:

      Die erste qualifizierte Materie ist sie als reine Identität mit sich, als Einheit der Reflexion-in-sich, somit die erste, selbst noch abstrakte Manifestation. In der Natur daseiend ist sie die Beziehung aus sich als selbständig gegen die anderen Bestimmungen der Totalität. Dies existierende allgemeine Selbst der Materie ist das Licht, – als Individualität der Stern, und derselbe als Moment einer Totalität die Sonne.4

      Hier steht nichts über Sachverhalte, die heute sogar Kindern beigebracht werden und die man mit ein paar einfachen Versuchen leicht selbst lernt – nichts davon, dass Materie eine Masse hat und Licht nicht, dass Licht sich in Wellen ausbreitet, die mit Elektrizität und Magnetismus einhergehen, nichts darüber, dass sich am Licht aber auch Teilcheneigenschaften finden lassen. Das Wissen darüber hat uns bis zum Computer, auf dem ich diesen Satz hier gerade schreibe, eine Menge Zeug eingebracht, mit dessen Hilfe Hegel, hätte es ihm zur Verfügung gestanden, noch viel umständlichere Sätze hätte denken und schreiben können als die zitierten, weil ihm solche Technik, wäre sie vorhanden gewesen, weniger originelle Beschäftigungen abgenommen hätte.

      Hegels natürliche Feinde: Physik und Positivismus

      Das systematische Denken verlief nach dem Ende von Hegels Lebensbahn nicht lange auf den Schienen, die er ihm gelegt hatte. Es geriet weithin in den Bann der Naturwissenschaften. Rund 30 Jahre nach Hegels Tod fand der schottische Physiker James Clerk Maxwell Gleichungen, deren Geltung ungefähr 60 weitere Jahre später durch Heinrich Hertz experimentell bestätigt wurde. Mithilfe dieser Gleichungen kann man die Technik bauen, die ich eben gelobt habe. Mit Hegels Sätzen über Materie als »Reflexion-in-sich« und übers Licht als »allgemeines Selbst« derselben kann man dagegen zunächst nichts machen als mehr solcher Sätze. Etwa 100 Jahre nach Hegels Tod kam eine neue Denkrichtung auf, die den Unterschied zwischen einerseits dem, was man mit Maxwells Gleichungen machen kann, und andererseits dem, was man mit Hegels Sätzen machen kann, zur Hauptsache erklärte. Diese neue Denkrichtung lehnte nicht nur jeden Idealismus ab, also den subjektiven wie den objektiven, sondern auch das, was bis dahin als Gegenteil der idealistischen Richtungen gegolten hatte, nämlich den sogenannten »Materialismus«. Der glaubt nicht, die Welt sei Denken. Vielmehr hält er Denken für ein Produkt oder eine Eigenschaft eines angenommenen wahren Weltstoffs namens »Materie«.


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