Hilfskreuzer „Chamäleon“ auf Kaperfahrt in ferne Meere. Heinz-Dietmar LütjeЧитать онлайн книгу.
Vorwort
Nachdem die Fesseln des Versailler Vertrages gefallen waren und die schwunghafte Aufrüstung der deutschen Wehrmacht begann, war auch Großbritannien als die Seemacht Nummer 1 bestrebt durch multinationale und bilaterale Verträge allgemein zu einer Begrenzung der Seerüstung zu gelangen. Obwohl das Deutsche Reich bereits im März 1935 die allgemeine Wehrpflicht einführte kam es dennoch am 18. Juni 1935 zum Abschluss des Deutsch-Britischen Flottenvertrages. Dieser Vertrag begrenzte die deutsche Flottenstärke in allen Schiffsklassen – ausgenommen U-Boote – auf 35% der britischen. Für U-Boote wurde zunächst eine Begrenzung von 45% festgelegt, mit der Maßgabe, dass Deutschland später beim U-Bootsbau bis auf 100% der britischen U-Bootstonnage aufstocken dürfe.
Mit dieser Vereinbarung hatte Großbritannien gegen andere Vereinbarungen – so auch die Beschlüsse von Stresa im April 1935 – eindeutig verstoßen und hiermit auch den Versailler-Vertrag letztendlich selbst ad absurdum geführt und zudem die einseitige Verkündung der deutschen Wehrhoheit hingenommen und damit praktisch anerkannt. Für Hitler bedeutete das, nunmehr den Ausbau der Kriegsmarine zu forcieren und die Verkündung eines Flottenbauprogrammes, das unter anderem noch zwei Schlachtschiffe von über 50.000 Tonnen sowie zwei Schlachtkreuzer und 16 Zerstörer umfasste. 1937 wurde dann eine Zusatzvereinbarung zwischen Deutschland und Großbritannien getroffen, mit dem Zugeständnis der Briten, dass das Deutsche Reich nunmehr im U-Bootsbau im Verhältnis zur britischen Flotte gleichziehen durfte.
Im Gegensatz zu der sehr forcierten Aufrüstung des deutschen Heeres und der Luftwaffe wurde dennoch die Aufrüstung der Kriegsmarine bis Mitte 1938 sträflich vernachlässigt, da Hitler mindestens bis zu diesem Zeitpunkt davon ausging, trotz seiner Expansionspolitik mit Großbritannien zu einem Modus Vivendi zu gelangen. Mitte 1938 ließ Hitler aber dann Großadmiral Raeder als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wissen, dass er eine künftige Gegnerschaft Englands nicht mehr ganz ausschließen könne und drängte daher auf die beschleunigte Fertigstellung der beiden deutschen im Bau befindlichen Schlachtschiffe Bismarck und Tirpitz sowie den Bau weiterer Großkampfschiffe.
Während Hitler meinte eine schlagkräftige Flotte mit stärksten Schiffstypen zur Durchführung seiner weiteren Ziele zu benötigen, die erforderlichenfalls auch die britische Flotte mit Aussicht auf Erfolg bekämpfen könne, vertrat der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine die Auffassung, dass zur Bedrohung und Abschnürung des für England lebenswichtigen Nachschubs insbesondere der U-Bootsbau forciert werden müsse und daneben – statt schwerster Einheiten – Panzerschiffe der Admiral-Spee-Klasse gebaut werden sollten, die aufgrund ihres großen Aktionsradius wohl am geeignetsten erschienen, auch in überseeischen Aktionen die britische Seezufuhr zu bekämpfen und dennoch aufgrund ihrer respektablen Armierung auch britischen Seestreitkräften mit Aussicht auf Erfolg gegenüber treten zu können. Hitler widersprach dieser Auffassung mit dem Hinweis, das er die Flotte vor 1946 für seine weiteren politischen Zwecke nicht benötigen werde, so dass durchaus die Voraussetzung für einen langfristigen Aufbau einer starken, schlagkräftigen Schlachtflotte gegeben seien. Aufgrund dieser Planung Hitlers wurde zunächst ein Flottenbauprogramm beschlossen, das den Gesamtstand der deutschen Kriegsmarine im Jahre 1946 auf 10 Großkampfschiffe, 15 Panzerschiffe, vier Flugzeugträger, fünf schwere Kreuzer, 22 leichte Kreuzer sowie eine entsprechend große Anzahl von Zerstörern, Torpedobooten, U-Booten usw. gebracht hätte. Insgesamt war eine Soll-Stärke von ca. 800 Einheiten mit über 200.000 Mann geplant.
Als aber dann am 01. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann und vier Tage darauf die Kriegserklärung Englands und Frankreichs erfolgten war die deutsche Flotte in keinster Weise für den Seekrieg gegen England – und nicht ganz zu vergessen auch den französischen Seestreitkräften – gerüstet. Deutschland verfügte lediglich über die Schlachtschiffe Scharnhorst und Gneisenau sowie die drei Panzerschiffe Deutschland, Admiral Graf Spee und Admiral Scheer sowie die schweren Kreuzer Admiral Hipper und Blücher sowie 6 leichte Kreuzer der Städte Klasse.
Zusätzlich in Ausrüstung befindlich waren die Schlachtschiffe Bismarck und Tirpitz sowie der Flugzeugträger Graf Zeppelin, der nie fertiggestellt wurde, und die schweren Kreuzer Prinz Eugen, Seydlitz und Lützow.
Für überseeische Operationen gegen die englische Seezufuhr waren somit lediglich Scharnhorst und Gneisenau sowie drei Panzerschiffe wirklich geeignet, da die zwei schweren Kreuzer Admiral Hipper und Blücher aufgrund ihres deutlich geringeren Aktionsradius für die ozeanische Kriegsführung nur als bedingt einsatzfähig angesehen werden mussten. Die deutsche U-Bootflotte verfügte zu Beginn des Krieges über lediglich 57 Einheiten, der die gleiche Anzahl britischer U-Boote gegenüberstand. Hiervon war aber für die ozeanische Kriegsführung, insbesondere für den zu erwartenden Hauptkriegsschauplatz Nordatlantik nur etwa ein Drittel geeignet, so dass unter Berücksichtigung des An- und Abmarschweges, sowie nötige Ausrüstungs- und Werftliegezeiten, nicht einmal zehn Boote gleichzeitig im Nordatlantik stehen konnten. Damit allein konnte die Versorgung der britischen Inseln nicht annähernd kriegsentscheidend geschwächt werden. Deshalb wurde aufgrund der äußerst positiven Erfahrungen aus dem ersten Weltkrieg sofort nach Ausbruch der Feindseligkeiten begonnen ein umfangreiches Hilfskreuzerprogramm auf die Beine zu stellen.
Hilfskreuzer – richtig bezeichnet als Handelsstörkreuzer (HSK) – waren Handelsschiffe, die von der Kriegsmarine übernommen und entsprechend ausgerüstet wurden. Diese wurden üblicherweise mit sechs 15 Zentimeter-Geschützen sowie zum Teil einer entsprechenden Torpedobewaffnung und leichten Waffen versehen. Die Hauptaufgabe dieser Einheiten bestand darin, durch Bekämpfung der gegnerischen Handelsschifffahrt – hierzu zählten auch mit kriegswichtigen Gütern (Konterbande) für den Gegner beladene neutrale Schiffe –den Feind zu zwingen, seine Versorgungsrouten zu ändern und durch ein Konvoisystem den Nachschub insgesamt erheblich zu verlangsamen. Hinzu kommt die Bindung eines erheblichen Teils der gegnerischen Flotte durch die Sicherung der Handelsschifffahrt und die Jagd auf diese Störenfriede.
Getarnt als friedliche Handelsschiffe, mit wechselnden Schiffsnamen und Nationalitäten, haben diese Handelsstörkreuzer ausgezeichnete Erfolge bei der Bekämpfung des gegnerischen Nachschubes und der Zersplitterung der feindlichen Seestreitkräfte errungen, auch wenn sie sich am Ende dem übermächtigen Gegner nach tapferer Gegenwehr geschlagen geben mussten.
Die Geschichte der Feindfahrt eines solchen Handelsstörkreuzers ist Gegenstand des nachfolgenden Romans.
Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine fiktive Handlung und auch fiktive Personen, ausgenommen historischer Personen, handelt, so dass jede Übereinstimmung von Handlungen und Namen mit tatsächlich lebenden oder toten Personen rein zufällig und keinesfalls beabsichtigt wäre. Das gleiche gilt auch für zufällige Übereinstimmungen genannter Schiffe mit vielleicht tatsächlich zu jener Zeit die Weltmeere befahrenden Schiffen aller Nationalitäten.
1. Der Kommandant
Berlin, 8. September 1939, 22.30 Uhr, Oberkommando der Kriegsmarine.
Im zweiten Stock im Westflügel des Gebäudes schob Kapitän zur See von Preuss einen größeren Aktenstapel auf die linke Seite seines alten, massiven Schreibtisches und schaute auf die 3 verbliebenen dünnen grauen Aktendeckel vor sich. Er fingerte sich eine neue Zigarette aus der grünen Packung „Eckstein“ vor sich, steckte diese in Brand und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um die eben getroffene Entscheidung nochmals zu überdenken.
Nach einigen Minuten straffte er sich, drückte mit einer eckigen Bewegung den Stummel der Eckstein im überfüllten Ascher aus und griff zum Telefon. „Preuss, sagen Sie, Hälmer, ist der Admiral noch zu sprechen? Gut, dann melden Sie mich bitte an, ich komme sofort rüber.“
Wenige Minuten später stand von Preuss vor Vize-Admiral Scheidel.
„Ich danke Herrn Admiral, dass Herr Admiral mich noch so spät empfangen“, sagte von Preuss in strammer