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Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums. Horst-Joachim RahnЧитать онлайн книгу.

Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums - Horst-Joachim Rahn


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italienische Regisseur Marco Ferreri geht erheblich weiter: Er schockierte in 1973 mit seinem Film „Das große Fressen“ die Welt, denn er zeigte den Schock des Suizid durch übermäßiges Fressen und erzeugte große Abscheu, u. a. durch unappetitliche Gelage. Auch die Kirche war hier nicht immer ein Vorbild: Der italienische Kirchenlehrer Thomas von Aquin war so beleibt, dass eine Rundung in sein Pult gesägt werden musste, damit er arbeiten konnte. Und im Kloster Sankt Gallen tranken Mönche im Mittelalter nachweislich täglich fünf Maß Bier.197

      Die Verführungen des Alkohols und des fetten Essens sind auch heute nicht zu unterschätzen. Deshalb sage ich: „Wenn du lebst im Überfluss, kommt sehr bald ein kalter Guss.“* Denn die Gesundheit spielt irgendwann nicht mehr mit: „Übermäßiges Essen und Trinken tötet mehr Menschen als das Schwert“ (Sir W. Osler). Deshalb ist zu raten: „Wenn das Essen am besten schmeckt, soll man aufhören“ (Sprichwort). Vor allem für manche Jugendliche gilt: „Komasaufen kann keiner brauchen!“* Und auch: „Gelegentliches Fasten ist die beste Heilnahrung“ (E. Rau). Zum Schluss: „Saufen, Fressen und dergleichen, von welchem ich euch habe zuvor gesagt und sage noch zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben.“ (Galater 5,21).

      Antriebe sind in der Psychologie Impulse, die zielgerichtetes Handeln des Menschen auslösen, z. B. Bedürfnisse, Motive, Begehren, Egoismus, Ehrgeiz, Leidenschaft, Strebungen und Wollen. Sie bilden die wichtigste Grundlage des Verhaltens des Menschen. Häufig treten sie zusammen mit Emotionen auf, z. B. mit Affekten, Gefühlen und Stimmungen. Alle hier angesprochenen Antriebe sollen in dialektischer Sicht beurteilt werden.

      Ein Bedürfnis ist das Empfinden eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch, ihn zu beheben.198 Es stellt einen Beweggrund für menschliches Handeln dar: „Der Mensch braucht Wünsche“ (C.A. Helvetius). Die Bedürfnisse der Menschen sind praktisch unbegrenzt, die Mittel zu ihrer Befriedigung aber knapp. Die Bedürfnisse können vielfältiger Art199 sein, z. B. primäre Bedürfnisse (z. B. Hunger, Durst) und sekundäre Bedürfnisse, z. B. geistig-kulturelle Bedürfnisse. Es gibt soziale Bedürfnisse (z. B. Kontakt-, Geltungsbedürfnisse) und ökonomische Bedürfnisse, z. B. Kaufbedürfnisse. Es können auch individuelle und kollektive Bedürfnisse (z. B. Wunsch nach Verkehrssicherheit) unterschieden werden. Die Bedürfnispyramide von A. Maslow zeigt die hierarchische Ordnung der Bedürfnisse.200 Die Bedürfnisse sind Motive, die uns Menschen antreiben. Dabei gilt: „Die Evolution des Triebes ist das legitime Bedürfnis“ (F.P. Rinnhofer). Motive können im geisteswissenschaftlichen Universum positive und negative Wirkungen auslösen.

      ► Wir Menschen möchten glücklich leben: „Der Mensch hat ein gebieterisches und unaufhörliches Bedürfnis nach Glück“ (Sprichwort). Dabei haben Körper und Geist nicht die gleichen Motive: „Des Leibes Bedürfnis heißt nehmen, des Geistes Bedürfnis geben“ (A. Essigmann). Der Geist sucht eher den Genuss: „Essen ist ein Bedürfnis, genießen ist eine Kunst“ (La Rochefoucauld). Jeder Mensch genießt aber anders: „Jedem das Seine“ (M.P. Cato). Mancher liest dem Partner die Wünsche vom Mund ab: „Dein Wunsch ist mir Befehl“ (Vergil). Und: „Wir sollten nicht vergessen, dass sich jeder Mensch nach Liebe sehnt.“* „Der Mensch ist wohl mit einem Bedürfnis nach Liebe geboren, dem er nie entwächst“ (Sprichwort). Zum Schluss eine Weisheit: „Wer sich vom Feuer der Liebe verzehren lässt, hat kein Bedürfnis, das Feuer des Hasses zu schüren“ (K. Haberstich).

      ► Bedürfnisse können aber auch negative Wirkungen haben: „Jede Begierde ist ein Bedürfnis, das sich als Schmerz bemerkbar macht“ (Voltaire). Ein ähnliches Argument liefert A. Einstein: „Ein Leben, das vor allem auf die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist, führt früher oder später zur bitteren Enttäuschung.“ Und: „Je größer die Bedürfnisse, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Unzufriedenheit.“ Es gibt im Leben nicht nur große sondern auch kleine Geister: „Kleingeister verspüren ein großes Bedürfnis, sich anderen überlegen zu fühlen“ (E. Ferstl). Wie entsteht unser Wille? „Alles Wollen entspringt aus Bedürfnis, also aus Mangel, also des Leides“ (A. Schopenhauer). Welche Folgen sind mit Machtbedürfnissen verbunden? „Das Bedürfnis des Machtgefühls treibt die große Politik vorwärts“ (F.W. Nietzsche). Und zum Schluss typisch: „Es gehört zum deutschen Bedürfnis, beim Biere von der Regierung schlecht zu reden“ (O. von Bismarck).

      ► Fazit: Wir Menschen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse, die beispielsweise durch die Tradition, den Instinkt, die Bildung, die Gesellschaft bzw. die soziale Stellung geprägt sein können. Und es gilt auch: „Hinter jedem irritiertem Bedürfnis steckt ein gesunder, unerfüllter Wunsch“ (A. Selacher). Stärker ausgedrückt: „Was die Triebe dir diktieren, kann der Kopf nicht korrigieren“ (E. Koch). In den Wirtschaftswissenschaften rücken diejenigen Bedürfnisse in den Vordergrund, die am Markt als effektive Nachfrage wirksam werden. An der Spitze der individuellen Bedürfnisse des Menschen steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung, welches für eine Person die erstrebte Entfaltung und Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten mit sich bringt. Selbstverwirklichung stößt aber immer wieder dann an Grenzen, wenn sie in die Gefahr gerät, dass sie ausufert. Dazu ein weiser Spruch:

      „Statt zu klagen, dass wir nicht alles haben, was wir wollen, sollten wir lieber dankbar sein, dass wir nicht alles bekommen, was wir verdienen“

       (Dieter Hildebrandt)

      Und es gilt auch: „Je mehr wir brauchen, desto ärmer werden wir“ (M. Richter). Deshalb mein Rat: „Mit der Befriedigung unserer Bedürfnisse sollten wir es nicht übertreiben. Ein gewisses Maß an Bescheidenheit scheint gerade für unser heutiges Leben notwendig.“*

      Das Begehren kennzeichnet den gezielten Antrieb des Menschen zur Behebung eines Mangels mit einem damit verbundenen Bedürfnis, den Mangel zu beseitigen. Es wird auch als Begierde bezeichnet, wobei hier mehr körperliche Aspekte in den Vordergrund treten, z. B. Trieb, Lust, Wolllust. So wie es H.C. Neuert hinsichtlich der Begierde sehr treffend ausgedrückt hat: „Ich sehne mich nach deinen Küssen, begehre dich fast bis zum Schmerz, verzehre mich vor Lust und Verlangen, fiebere nach dir, mein Herz.“ Auf das Begehren gibt es noch eine andere kluge Antwort: „Der großen Liebe des Herzens ist das Begehren nicht mehr das wichtigste“ (M. Borée). Das Begehren kann sich nicht nur auf körperliche, sondern auch auf geldliche Aspekte richten.

      ► Wenn wir etwas begehren, dann ist das ganz normal: „Begierde ist des Menschen Wesen selbst“ (B. de Spinoza). Und anders gesagt: „Ein gewisses Maß an Begehren gibt dem Leben erst seinen Schwung“ (S. Johnson). Allerdings wissen wir auch: „Wir kennen uns bei weitem nicht in allen unsern Wünschen aus“ (La Rochefoucauld). Begehren ist mit einer gewissen Hoffnung verbunden: „Das Begehren, verbunden mit der Erwartung, das Gewünschte zu erlangen, nennt man Hoffnung“ (T. Hobbes). Die einen hoffen darauf, endlich den heiß begehrten Partner heiraten zu können und andere geben sich der Hoffnung hin, endlich reich zu werden. Dabei ist vor allem hinsichtlich des Reichtums zu beachten: „Die Begierde ist nach der Erfüllung der Wünsche ebenso ungestillt, wie sie es vorher war“ (M. Luther).

      ► Das Begehren der Menschen kann aber sehr schnell ausufern: „Die Sucht nach mehr richtet die Menschen zugrunde“ (Mohammed). „Je mehr die Menschen haben, desto mehr begehren sie“ (Justinus). Anders gesagt: „Der Menschen Wille ist ihr Himmelreich und wird oft ihre Hölle“ (aus Island). Mitunter ist der Wunsch das Begehren nicht Wert: „Man bedarf oft das Unnötigste am meisten“ (B. Auerbach). Hinsichtlich des Begehrens gilt:

      ▪ „Die Begehrlichkeit kennt keine Schranken, nur Steigerung“ (Seneca).

      ▪ „Begehren kennt keine Ruhe (aus England).


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