Das große Geschäft. Johann-Günther KönigЧитать онлайн книгу.
nicht aber so. Ein Riese, der vor Schmerz schreit, wenn der Urin kommen soll und nicht will, ist kein Mann mehr, sondern eine Schießbudenfigur …«25
Die Ausscheidung der Stoffwechselendprodukte erfolgt in Form von Urin und Fäzes. Während es der Urin in aller Regel eilig hat, unserem Körper Ade zu sagen, nimmt sich der Darm, immerhin unser größtes sensorisches Organ, mehr Zeit. Aber irgendwann will auch er entleert sein, und wie das funktioniert, hat Giulia Enders in ihrem Werk Darm mit Charme trefflich zur Sprache gebracht:
»Unser Klogang ist eine Meisterleistung – zwei Nervensysteme arbeiten gewissenhaft zusammen, um unseren Müll so diskret und hygienisch wie möglich zu entsorgen. […] Unser Körper hat dafür allerlei Vorrichtungen und Tricks entwickelt. Es fängt schon damit an, wie ausgetüftelt unsere Schließmechanismen sind. Fast jeder kennt immer nur den äußeren Schließmuskel, den man gezielt auf- und zubewegen kann. Es gibt einen ganz ähnlichen Schließmuskel, wenige Zentimeter entfernt – nur können wir ihn nicht bewusst steuern. Jeder der beiden Schließmuskeln vertritt die Interessen eines anderen Nervensystems. Der äußere Schließmuskel ist treuer Mitarbeiter unseres Bewusstseins. Wenn unser Gehirn es unpassend findet, jetzt auf die Toilette zu gehen, dann hört der äußere Schließmuskel auf das Bewusstsein und hält so dicht, wie er eben kann. Der innere Schließmuskel ist der Vertreter unserer unbewussten Innenwelt. […]
Diese beiden Schließmuskeln müssen zusammenarbeiten. Wenn unsere Verdauungsreste beim inneren Schließmuskel ankommen, macht dieser reflexartig auf. Er lässt allerdings nicht einfach alles auf den äußeren Schließmuskelkollegen los, sondern erst einmal nur einen Testhappen. In dem Raum zwischen innerem und äußerem Schließmuskel sitzen viele Sensorzellen. Diese analysieren das angelieferte Produkt darauf, ob es fest oder gasförmig ist, und schicken ihre Information hoch an das Gehirn: Ich muss aufs Klo! … oder vielleicht auch nur pupsen. Es macht dann, was es mit seinem ›bewussten Bewusstsein‹ so gut kann: Es stellt uns auf unsere Umwelt ein. Dazu nimmt es Informationen von Augen und Ohren und zieht seinen Erfahrungsschatz hinzu. In Sekundenschnelle entsteht so eine erste Einschätzung, die das Gehirn zurück an den äußeren Schließmuskel funkt: ›Ich habe geguckt, wir sind gerade bei Tante Berta im Wohnzimmer – Pupse gehen vielleicht noch, wenn du sie ganz leise raustwitschen lässt. Fest eher ungut.‹ Der äußere Schließmuskel versteht und verschließt sich voller Loyalität noch fester als zuvor. Dieses Signal bemerkt dann auch der innere Schließmuskel und respektiert erst mal die Entscheidung seines Kollegen. Die beiden verbünden sich und schieben den Testhappen in eine Warteschleife. Raus muss es irgendwann, nur eben nicht hier und jetzt auch nicht. Einige Zeit später wird es der innere Schließmuskel einfach noch mal mit einem Testhappen probieren. Sitzen wir mittlerweile gemütlich zu Hause auf dem Sofa: freie Fahrt!«26
Nach der – hoffentlich wohlschmeckenden und bekömmlichen – Speisenaufnahme folgen die Verdauung und irgendwann später der Gang auf die Toilette. Was nun diesem Ablauf mit anschließender »freier Fahrt« gleichsam eingeschrieben ist, verdeutlicht Elias Canetti (1905 – 1994) in seinem Werk Masse und Macht in akribischer Klarheit. Sämtliche Nahrungsmittel, die wir uns zum Überleben einverleiben müssen, bestehen ja biologisch betrachtet aus anderen Lebewesen, und deren Verzehr bestimmt unsere Wirklichkeit aus der Sicht des Literaturnobelpreisträgers entschieden mehr, als es im alltäglichen Hin und Her den Anschein hat. In dem von Canetti unzweideutig betitelten Kapitel »Eingeweide der Macht« heißt es:
»Nichts hat so sehr zu einem gehört, als was zu Kot geworden ist. Der konstante Druck, unter dem die Speise gewordene Beute steht, während der ganzen langen Weile, die sie durch den Leib wandert, ihre Auflösung und die innige Verbindung, die sie mit dem Verdauenden eingeht, das vollkommene und endgültige Verschwinden erst aller Funktionen, dann aller Formen, die einmal ihre eigene Existenz ausgemacht haben, die Angleichung oder Assimilation an das, was vom Verdauenden als Leib bereits vorhanden ist – all das läßt sich sehr wohl als der zentralste, wenn auch verborgenste Vorgang der Macht sehen. Er ist so selbstverständlich, selbsttätig und jenseits alles Bewußten, daß man seine Bedeutung unterschätzt.«27
Unsere Exkretion, daran lässt Elias Canetti keinen Zweifel, hat weit größere Dimensionen, als die rein physiologische Funktion erkennen lässt. Die Bewältigung der Wirklichkeit durch das Ergreifen, Erkaufen, Zubereiten, Einverleiben und Verdauen von Beute, die die überlebenssichernden Nährstoffe, Mineralien und Vitamine enthält, bleibt für instinktentbundene Mängelwesen vom Schlage Homo sapiens offenbar nicht folgenlos. Weder im Psychischen noch im Sozialen und Kulturellen. Und eben deshalb kommt für Canetti beim Stuhlgang auch weit mehr ans Tageslicht, als es scheint:
»Der Kot, der von allem übrigbleibt, ist mit unserer ganzen Blutschuld beladen. An ihm läßt sich erkennen, was wir gemordet haben. Er ist die zusammengepreßte Summe sämtlicher Indizien gegen uns. Als unsere tägliche, fortgesetzte, als unsere nie unterbrochene Sünde stinkt und schreit er zum Himmel. Es ist auffallend, wie man sich mit ihm isoliert. In eigenen, nur dazu dienenden Räumen entledigt man sich seiner; der privateste Augenblick ist jener der Absonderung; wirklich allein ist man nur mit seinem Kot. Es ist klar, daß man sich seiner schämt. Er ist das uralte Siegel jenes Machtprozesses der Verdauung, der sich im Verborgenen abspielt und ohne dieses Siegel verborgen bliebe.«28
Ich kommentiere das nicht weiter. Ein durchschnittlicher Europäer verdaut in seinem Leben gut zwanzig Tonnen Nahrung. Und was gibt er davon an die Umwelt zurück? Schätzungsweise mindestens 30 000 Liter Urin und bis zu 8000 Kilogramm Kot. Allerdings haben auch die Fäzes viel Flüssigkeit in sich – gut drei Viertel der Menge sind nichts als Wasser. Einer der großen Universalgelehrten seiner Zeit, Leonardo da Vinci (1452 – 1519), kommentierte die Existenz ihm unliebsamer Mitmenschen denn auch spöttisch mit den Worten: »Zahlreich sind jene, die sich als einfache Kanäle für die Nahrung und als Erzeuger von Dung und Füller von Latrinen bezeichnen könnten, denn sie kennen keine andere Beschäftigung in dieser Welt. Sie befleißigen sich keiner Tugend. Von ihnen bleiben nur volle Latrinen übrig.«29
Übrigens hinterlassen Vegetarier fast doppelt so viele Fäzes wie Fleischesser, weil sie mehr unverdauliche Ballaststoffe zu sich nehmen. Die Fleischesser hingegen produzieren stärker riechenden Kot, weil beim Abbau tierischer Eiweiße chemische Stoffe entstehen, die für ein von Mitmenschen zuweilen als unangenehm empfundenes Odeur sorgen. Fäzes entwickeln ihren spezifischen Duft nach der Ausscheidung vor allem aufgrund der Verbindungen von Skatol und Indol, die beim Abbau der Aminosäure Tryptophan entstehen. Auch die sich bei der Verdauung von Proteinen bildenden Alkanthiolen nebst Schwefelwasserstoff tragen zur Geruchsbildung bei. Normaler Menschenharn entfaltet seinen strengen, von ausgasendem Ammoniak herrührenden Geruch hingegen erst mit der Oxidation an der Luft – zunächst duftet er mehr nach Fleischbrühe oder, nach dem Genuss von Spargel, Baldrian und Lauch, nach Methylmerkaptan. Bei manchen jedenfalls. Denn nach dem Spargelessen scheiden sich Untersuchungen zufolge die Menschen in zwei Gruppen. Bei der einen verströmt der Urin ein spezifisches Aroma, bei der anderen riecht er wie immer. Verursacht wird dieser Unterschied durch ein Enzym, das die im Spargel enthaltene Asparaginsäure zersetzt, und das die einen unter uns haben und die anderen nicht.30
Die natürlichen Ausgasungen und anderen anrüchigen Düfte, die mir in oder nahe der Örtchen für unaufschiebbare Bedürfnisse täglich mehr oder weniger intensiv um die Nase wehen, sind eine Tatsache des Lebens. Alois Gmeiner hebt sie in seiner Tour de Toilette wie folgt ins Bewusstsein: »Das mit dem Klogang ist so eine Sache. Die Erleichterung, die jeder nach dem Abdrücken verspürt, widerspricht der Peinlichkeit, die man nach dem Verlassen der Toilette zurücklässt. Der infame Geruch hat heutzutage im Gegensatz zu den letzten 100 000 Jahren Menschheitsentwicklung selbstverständlich seine Gegner, die alles daran setzen, den letzten Rest des Besuchs und den unvermeidlichen Beweis für das große Geschäft zu vernichten, oft aber bitter scheitern – der üble Geruch bleibt! Nicht bloß das, die bösen Gase suchen sich dann auch noch ihren Weg aus der Toilette und lösen sich erst langsam und gänzlich und von allen ›bemerkt‹ in Luft auf. Meist ist es dann auch schon zu spät. Andere rümpfen bereits ihre Nasen, und den Produzenten überkommt eine seltsame Scham. […] Doch wie so oft – der Mensch ist schlau und erfinderisch, wenn es darum geht, etwas zu verdrängen. Beliebt sind Duftsprays, die ein geradezu witziges Geruchsgemisch erzeugen …«31
Der Geruchssinn zählt zu den