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Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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un­ge­hin­dert, meist je­der ei­ner an­de­ren Grup­pe an und zo­gen stun­den­lang mit. Wir san­gen vor dem Hau­se des Fräu­leins von Ran­dow, dem Flam­men­den Stern des Mau­rer­meis­ters Schmidt, wir heims­ten Ge­schen­ke von dem Gast­hof Zur Son­ne, dem Gast­hof Zum Schwert, beim De­muth­bau­er, beim Ru­dolf­bau­er, beim Por­zellan­wa­ren­händ­ler Ger­titsch­ke ein. Wir san­gen aber nur ein­mal vor dem Hau­se der En­kes ne­ben­an, dem Eli­sen­hof, weil der Empfang kein gu­ter war. Im ers­ten Stock ward ein Fens­ter ge­öff­net, und der Be­sit­zer brüll­te uns an, er wer­de sei­nen Hund auf uns het­zen, wenn wir nicht mach­ten, dass wir fort­kämen. Un­se­re zah­men Raub­zü­ge gin­gen bis ins Nie­der­dorf, wo wir fast über­all, aber be­son­ders in klei­nen Leu­ten, wil­li­ge Ge­ber fan­den. Zu­wei­len lud man uns ins Haus, um uns mit But­ter­bro­ten und Milch zu trak­tie­ren. Haupt­säch­lich aber wa­ren es nach der Tra­di­ti­on Eier, die man uns gab und die wir in ziem­li­chen Men­gen heim­brach­ten. Erst bei die­ser Ge­le­gen­heit habe ich ei­gent­lich mit leich­tem Be­frem­den das Ei und sei­nen Nah­rungs­wert ken­nen­ge­lernt.

      Um den Ge­hor­sam deut­lich zu ma­chen, den wir ihm zu leis­ten ge­wohnt wa­ren, er­zähl­te mein Va­ter spä­ter oft und mit Hei­ter­keit, wie Carl mit ei­nem Korb voll Eier, sei­ner Grün­don­ners­tags­beu­te, ins Zim­mer ge­tre­ten war und er ihn prompt und ohne zu über­le­gen zur Erde warf, als mein Va­ter ihn im Scherz mit den Wor­ten »Schmeiß sie weg!« an­ge­herrscht hat­te.

      Der Er­lös uns­rer Bet­te­lei wur­de von mei­ner Mut­ter in Eier­spei­sen nach un­serm Wunsch ver­wan­delt. Ich kann mich er­in­nern, dass Rührei mir aus ir­gend­ei­nem Grund wi­der­lich war, wäh­rend mir Eier­ku­chen we­ni­ger wi­der­stan­den. Ich brach­te wohl zum ers­ten Mal mit den fer­ti­gen Spei­sen ihr Roh­ma­te­ri­al in Zu­sam­men­hang.

      Der Tau­ben­kult konn­te im we­sent­li­chen als Spiel gel­ten, ob­gleich auch sach­li­cher Ernst da­mit ver­bun­den war. Ich habe von der Lie­be zu die­sen Tie­ren eine Art Ab­nei­gung, Tau­ben­fleisch zu ge­nie­ßen, zu­rück­be­hal­ten. Auch ent­rüs­te­te ich mich mit Carl über das von den Weiß­stei­ner rei­chen Bau­ern viel­fach aus­ge­üb­te Ver­gnü­gen des Tau­ben­schie­ßens. Die Tier­chen wur­den in Kä­fi­gen auf den Schieß­platz ge­bracht und zu Aber­hun­der­ten aus der Luft ge­schos­sen, wenn man sie frei­ge­las­sen.

      *

      Am Ro­bin­son und am Le­der­strumpf, wie schon ge­sagt, habe ich le­sen ge­lernt. Da­ge­gen ist mein Ehr­geiz durch eine Ge­schich­te, »Das Step­pen­roß«, be­son­ders ent­facht wor­den. Ich nahm die­ses schnells­te der Ros­se in mei­ne Träu­me auf, be­stieg es selbst und be­sieg­te da­mit alle Ren­ner der Erde. Ob es da­mals in Deutsch­land Pfer­de­ren­nen ge­ge­ben hat, weiß ich nicht. Einst brach­te je­doch mein Va­ter ein Spiel nach Hau­se, wo in Blei ge­gos­se­ne Rei­ter, ven­tre à terre, be­mal­te Jock­eis auf Renn­pfer­den, auf eine als Renn­platz gra­du­ier­te Kar­te ge­stellt wur­den. Nach der Ent­schei­dung von Wür­fen aus dem Wür­fel­be­cher wur­de mit ih­nen vor­ge­rückt. Ein nie ge­se­he­nes Schau­spiel war mir da­durch na­he­ge­bracht und mei­ne Vor­stel­lungs­welt be­rei­chert.

      Mo­ti­ve al­ler Art scho­ben sich durch­ein­an­der und in­ein­an­der – un­mög­lich, ihre Fül­le auf­zu­zäh­len. Man darf im­mer wie­der vor­aus­set­zen, dass ich ein Wild­ling war, zwar heim­lich von mei­nen El­tern ge­lenkt und ge­führt, aber von dem na­tur­ge­ge­be­nen Wunsch dau­ernd be­seelt, nichts von der Ur­sprungs­we­sen­heit auf­zu­ge­ben. Selbst schein­bar im Schlepp­tau von Carl, ver­folg­te ich im­mer noch ei­gens­te Wege.

      Die großen Rund­flü­ge der Tau­ben im Blau, ihre blit­zen­den Schwen­kun­gen mach­ten mich un­zu­frie­den mit mei­ner Erd­ge­bun­den­heit. Ein Zau­ber­kas­ten mit Zau­ber­stab, den ich ge­schenkt er­hal­ten hat­te, Er­zäh­lun­gen von He­xen und Hexern, die das Ge­heim­nis be­sa­ßen, wie man durch die Luft flie­gen kann, brach­ten mich auf das Flug­pro­blem und sei­ne mög­li­chen Lö­sun­gen. Be­son­ders da ich im­mer wie­der des Nachts im Traum mich in Ge­gen­wart al­ler ohne alle Schwe­re und Schwie­rig­keit in die Luft er­hob mit ei­nem so über­zeu­gen­den Emp­fin­den von ver­ti­ka­ler Be­herr­schung des Raums, dass ich an eine Ver­gan­gen­heit, ein Vor­le­ben den­ken muss­te, wo mir die­se Be­we­gung ohne Schwe­re na­tür­lich ge­we­sen war.

      An ein Vor­le­ben dach­te ich oft. Wie vie­len, war mir ge­le­gent­lich so zu­mut, als ob ich al­les mit und um den Gast­hof zur Kro­ne, mit und um mei­ne Ge­schwis­ter, Salz­brunn und sei­ne Heil­quel­len schon ein­mal in der Tie­fe der Zei­ten Punkt für Punkt ge­nau er­lebt hät­te. Das war nun der Ge­dan­ke ei­ner ewi­gen Wie­der­kunft, den ich auch spä­ter nai­ver­wei­se im Sin­ne des Lu­cre­ti­us Ca­rus und sei­ner be­schränk­ten Zahl von Ato­men und ih­ren mög­li­chen Kom­bi­na­tio­nen ge­dacht habe.

      Der Zau­ber­kas­ten mach­te mich vor­über­ge­hend zum Schar­la­tan. Ich über­trug die Ver­su­che, Wun­der mit dem Nim­bus ei­nes Zau­be­rers vor­zutäu­schen, in mein Le­ben auf der Stra­ße. Fol­gen­des Stück­chen, das ich ver­ges­sen hat­te, wur­de von On­kel Gu­stav Schu­bert auf Rit­ter­gut Lohnig be­ob­ach­tet und mir spä­ter nicht ohne herz­li­ches Ver­gnü­gen wie­der­er­zählt.

      Der Vor­gang hat­te sich, wie ich mich selbst ent­sin­ne, so ab­ge­spielt: Eine klei­ne Ar­mee von Ho­fe­kin­dern wur­de von Vet­ter Ge­org, der ge­wöhn­lich mein Feld­we­bel war, und mir zu al­ler­hand mi­li­tä­ri­schen Auf­zü­gen und sons­ti­gen Übun­gen an­ge­lei­tet und an­ge­führt. Leb­te man doch seit 1866 merk­lich zu­gleich in ei­ner Nach­kriegs­zeit und Vor­kriegs­zeit. So ver­mehr­te sich an je­dem Ge­burts­tag und je­dem Weih­nach­ten mei­ne ös­ter­rei­chisch-preu­ßi­sche Zinn­sol­da­ten­ar­mee. Schließ­lich war uns ein­mal das Mi­li­tä­ri­sche über­ge­wor­den, und wir dach­ten auf an­de­re Un­ter­hal­tun­gen. Plötz­lich aber, ich weiß nicht wie, be­haup­te­te ich, ich kön­ne flie­gen. Die Ho­fe­kin­der sa­hen in uns bei­den, dem Soh­ne des Guts­herrn und mir, Halb­göt­ter. Sie zwei­fel­ten, aber wa­ren glau­bens­be­reit und for­der­ten nun das Wun­der zu se­hen. Ich schäm­te mich in­ner­lich mei­ner eit­len Auf­schnei­de­rei, ließ mich aber in ein Ver­fah­ren hin­ein­drän­gen, von dem ich hoff­te, es wer­de mir Ge­le­gen­heit ge­ben, vor der Schluss­pro­be aus­zu­bre­chen. Wenn das Wun­der ge­lin­gen sol­le, be­haup­te­te ich, müs­se vor­her ei­ner Rei­he von mys­ti­schen Ge­bräu­chen, und zwar aufs ge­naues­te, ent­spro­chen wer­den. Wür­den hier­bei Feh­ler ge­macht, so kön­ne das Ex­pe­ri­ment nicht ge­lin­gen.

      Ge­spannt, ein sol­ches Wun­der zu er­le­ben, zeig­te sich nun die Kin­der­schar von ei­ner mich auf eine be­un­ru­hi­gen­de Wei­se eh­ren­den Will­fäh­rig­keit. Es wuchs mei­ne Scham mit ih­rem Glau­ben. Da es ein Zu­rück nicht gab, fing ich den trau­ri­gen Ho­kus­po­kus an.

      Je­des Kind muss­te einen Stein ge­gen ein Scheu­nen­tor wer­fen, nach ei­ni­ger Zeit muss­te es drei­mal die Wor­te »Flie­ge, flie­ge, flie­ge!« aus­ru­fen. War dies ge­sche­hen, ging es zur Pum­pe, wo je­der der Teil­neh­mer ein Glas Was­ser, ohne et­was da­von zu ver­schüt­ten, zu trin­ken hat­te. Da ich ei­ner großen Ent­lar­vung ent­ge­gen­ging, zog ich die­se an­geb­lich un­um­gäng­li­che Vor­be­rei­tung so lan­ge wie mög­lich hin, ohne auf den Ge­dan­ken zu kom­men, we­gen ei­nes an­geb­lich ge­mach­ten Feh­lers, den Ver­such als ge­schei­tert an­zu­sa­gen. End­lich stieg ich fast ver­zwei­felnd auf ir­gend­ei­nen Vor­bau der Guts­stäl­le hin­auf und sprang mit den we­nig über­zeu­gen­den


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