Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.
pochte ich an Johannas Zimmer. Ich pochte und tobte, bis sie öffnete. Aber ich traf sie ebenso unerbittlich hart, wie der unerbittlich harte Verkäufer war.
Wenn ich von dieser kleinen Geschichte absehe, so muss ich gestehen, ich habe vielfach nur aus Freude am Ärgern meine Schwester gequält. Schwer zu sagen, welch ein letztes Gefühl von Unbefriedigtsein zugrunde lag. Vielleicht war irgendein dumpfes Hadern mit einem unverstandenen Geschick die Ursache, auf Grund eines rastlosen Unbehagens, das mich damals wohl gelegentlich überkommen hat, einer Empfindung von Sinnlosigkeit meiner Existenz. Ein hässlicher Dämon, viel ärger als Puck, hatte mich in Besitz genommen.
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Was für ein Neues wollte damals in mir aufstehen und wühlte in mir? Habe ich mich vielleicht im Spiegel der Schönheit erblickt und missbilligt? Am Ende wollte sich damals das Ende meiner unbewussten Kindhaftigkeit leise ankündigen, aber: »Suche nicht alles zu verstehen, damit dir nicht alles unverständlich bleibe«, sagt ein Philosoph. Und so lasse ich denn den Umstand auf sich beruhen, der das Rohe in mir gegen das Veredelte, das Wilde gegen das Gesetzte, das Thersiteshafte gegen das Gute, das Hässliche gegen das Schöne aufzurufen schien.
Vielleicht sah meine Schwester in meinem Verhalten mit Besorgnis Zeichen der Verwahrlosung und hatte sich mit ihrer Lehrerin Mathilde Jaschke darüber ausgesprochen. Sie nahm mich jedenfalls eines Tages zu dieser Dame und deren Pflegemutter, dem Fräulein von Randow, mit.
Beide Persönlichkeiten neigten sich mit einer großen Zartheit und Wärme zu mir. Ich durfte Tee trinken, Kuchen essen und mich in den Räumen des Hauses, genannt Kurländischer Hof, nach Belieben umsehen. Wohlfühlen konnte sich hier ein zügelloses Naturkind zunächst freilich nicht, aber es überkam mich ein heimliches Staunen, eine stille Bewunderung. Die Zimmer mit ihren antiken Möbelstücken und ihren Parkettfußböden rochen nach poliertem Holz und nach Bohnerwachs und waren mit Reseda und Goldlack in Vasen und Schalen parfümiert.
Fräulein von Randow war wohlhabend. Ich habe die hohe, würdevolle Erscheinung mit der weißen Rüschenhaube und dem schlichten grauen Habit deutlich in Erinnerung. In ihrem Besitz befand sich eine alte Vitrine, die von vier Mohren getragen wurde. Ein anderer Schrank mit vielen kleinen Schüben war mit Olivenholz fourniert und das Äußere jedes Faches mit sogenanntem Landschaftsmarmor ausgelegt. Jedes der beiden Stücke war eine Seltenheit. Aber auch alles übrige der gesamten Einrichtung war kostbar und von erlesenem Geschmack. Das Ganze, als es später durch Erbschaft an Mathilde Jaschke, hernach auf meine Schwester überging, blieb jahrzehntelang eine Fundgrube und ist trotz mancher Verkäufe und Schenkungen bis zum heutigen Tag noch nicht erschöpft.
Die selbstverständliche Freiheit und Sicherheit, mit der meine Schwester sich im Hause der adligen Dame bewegte und wie sie hier gleichsam als dazugehörig betrachtet wurde, steigerte meinen Respekt vor ihr. Und in der Tat hatte schon damals das Verhältnis des weißgelockten Fräuleins von Randow zu ihr einen mütterlichen Charakter angenommen. Ähnlich stand es mit Fräulein Jaschke, der Pflegetochter.
Ein resoluter Geist und ein goldenes Herz waren vereinigt in ihr, Eigenschaften, womit sie sich überall durchsetzte.
»Das größte Zartgefühl schulden wir dem Knaben«, sagt Juvenal. Es war auch der Grundsatz, nach dem ich im Kurländischen Hof behandelt wurde. Hier erschloss sich mir ahnungsweise ein bis dahin unbekanntes Bildungsgebiet, wenn es mich vorerst auch nur sehr gelegentlich und sehr flüchtig berühren mochte. Eine gewisse Verwandtschaft bestand allerdings zwischen diesem Hause und Dachrödenshof als den letzten Ausläufern einer Kultur, die im großen ganzen versunken war.
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In der Umgebung des Fräuleins von Randow herrschte der Geist heiter-ernster Weltlichkeit, der keine moralische Schärfe zeigte und es einem ganz anders als in der scharfen Atmosphäre um das bucklig-fromme Täntchen Auguste wohlwerden ließ, deren spitze Blicke und spitzere Worte fortwährend Kritik übten. Welche der beiden Geistessphären an sich tiefer und bedeutsamer war, entscheide ich nicht.
Es war der Kummer meiner Mutter, dass mein Vater zu seiner Tochter Johanna, solange sie Kind war, kein freundliches Verhältnis gewinnen konnte. Er schien sie immer zurückzusetzen. Es war nicht zu ergründen, ob dies nun nach Hannchens gleichsam triumphaler Rückkehr aus der Pension anders geworden war. Immerhin schien sich mein Vater zurückzuhalten, und wahrscheinlich hatte meine Schwester im Kurländischen Hof mit der imponierenden adligen Dame und ihrer resoluten und gebildeten Pflegetochter einen neuen und starken Rückhalt gefunden.
Dieser Rückhalt verstärkte sich.
Er führte alsbald im Dachrödenshof und sogar bei meiner Mutter zu Eifersucht.
Tante Auguste und Fräulein Jaschke hatten einander nichts zu sagen und mieden sich. Elisabeth stand Fräulein Jaschke näher, da sie immer noch Hoffnungen weltlicher Art nährte, aber das Verhältnis war kriegerisch. Nie ist zwischen beiden das Kriegsbeil vergraben worden. Meistens war es die Seele Johannas, um die man auf beiden Seiten stritt, Elisabeth im zelotischen Sinn, Mathilde ihren Zögling verteidigend.
1 auf der Lehre des Aristoteles beruhend <<<
2 Piedestal = (meist aufwendig gestalteter) Sockel <<<
3 Großgrundbesitzer und Junker <<<
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Anders und tiefer war der Kampf, den meine Mutter damals, durch Jahre, um die Seele der Tochter kämpfte, die ihrer Meinung nach ihre kindliche Pflicht vergaß und in ein fremdes Lager überging.
Wie meine Mutter fühlte und nicht fühlte, lebte sie in einer Art Aschenputtelexistenz. Gram und Kummer deswegen waren vielfach auch mir gegenüber zum Ausdruck gekommen. Sie setzte instinktiv bei Johanna ein ähnliches Fühlen voraus. Vielleicht schwebte ihr von dieser Seite eine Entlastung vor, die sie anderwärts nicht erhoffen konnte.
Johanna ging einen anderen Weg. Obgleich sie, wie mein Vater es nannte, als Siebenmonatskind nur ein kleines Leben war, bestand ein starker Wille in ihr, den auch ich nicht selten zu spüren bekam. Sie schwieg,