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Die Shoah. Achim BühlЧитать онлайн книгу.

Die Shoah - Achim Bühl


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Rahmen dieser Aktion entwickelte Tötungstechnologie bei der »Aktion Reinhardt« – der Ermordung der Juden im Generalgouvernement – übernommen wurden. Die Existenz eines »T4-Reinhardt-Netzwerks« belegt der Sachverhalt, dass die Kommandanten des Vernichtungslagers Belzec, Christian Wirth (1885–1944) und Gottlieb Hering (1887–1945), der Lagerkommandant von Sobibor, Franz Stangl (1908–1971), sowie der Lagerkommandant von Treblinka, Irmfried Eberl (1910–1948), allesamt maßgebliche Akteure der »T4-Aktion« waren. Die »T4-Aktion« bildete eine der entscheidenden Wegmarken in Richtung der genozidalen Elimination. Die unmittelbare Verbindung verdeutlicht auch der Sachverhalt, dass sich Himmler Anfang 1941 an Bouhler wegen Unterstützung bei der Ermordung von gebrechlichen und kranken KZ-Häftlingen wandte. Im Rahmen der »Aktion«, die den Codenamen »14f13« erhielt, wurden ca. 20 000 Menschen ermordet.

      Nach der Eroberung Polens im September 1939 änderten sich die Rahmenbedingungen für die nationalsozialistische Planung der »Endlösung«, insofern aus Sicht des Nazi-Regimes nunmehr Teile des besetzten Polens zur Verfügung standen, um Juden aus den angegliederten Gebieten Polens sowie Juden aus dem »Altreich« aufnehmen zu können. Der am 28. September 1939 geschlossene Freundschafts- und Grenzvertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion brachte auch das Gebiet zwischen Bug und Weichsel und damit den Distrikt Lublin unter deutsche Kontrolle. Die Sichtweise, dass Teile Ostpolens nunmehr als »Abschiebebahnhof« zur Verfügung stünden, machten sich regionale Nazigrößen zu eigen. Am 13. Februar 1940 wurden 1107 Juden aus Stettin und Umgebung von SA und SS in die ostpolnische Stadt Lublin des Generalgouvernements abgeschoben. Das Konzept einer umfassenden bevölkerungspolitischen Neugestaltung Polens (»Generalplan Ost«), das die Umsiedelung sogenannter Volksdeutscher aus den im Rahmen des »Hitler-Stalin-Pakts« von der Sowjetunion besetzten Gebieten und die Vertreibung als »rassisch minderwertig« eingestufter Bevölkerungsteile wie Juden, Sinti und Roma sowie »nicht germanisierungsfähiger Polen« in das Generalgouvernement vorsah, stieß aufgrund seines Umfangs – in den »angegliederten« beziehungsweise annektierten Gebieten Polens lebten alleine über 500 000 Juden –, wegen des Widerstands führender Nationalsozialisten des Generalgouvernements sowie der zur Verfügung stehenden Fläche rasch an seine Grenzen.

      Symptomatisch für das Misslingen der nationalsozialistischen »Raumordnungspolitik« erwies sich das Scheitern des »Nisko-Plans«. Der Nisko-Plan beabsichtigte, den ostpolnischen Raum des Distrikts Lublin zu einem sogenannten »Judenreservat« unter deutscher Verwaltung umzugestalten, das Juden aus annektierten Gebieten wie dem »Warthegau«, dem »Protektorat Böhmen und Mähren« sowie aus dem »Altreich« aufnehmen sollte. Die anvisierte Größenordnung der Zahl der umzusiedelnden Menschen belegt die Radikalisierung der Judenpolitik in Richtung eines genozidalen Vernichtungsantisemitismus, insofern die Größe des geographischen Raums nicht dafür geeignet war, derartige Menschenmassen aufzunehmen, geschweige denn sie auch nur annähernd versorgen zu können. Der Nisko-Plan nahm konzeptionell das Sterben der Verschleppten billigend in Kauf, denen als auszubeutende »Arbeitssklaven« Tod durch Unterernährung, Seuchen oder unmenschliche Arbeitsbedingungen drohte.

      Die Relevanz des Projekts einer »Neuordnung Europas« auf »rassenpolitischer Grundlage« aus Sicht des Nazi-Regimes kommt darin zum Ausdruck, dass am 7. Oktober 1939 Heinrich Himmler zum Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums ernannt wurde und für die Zielsetzung der »Germanisierung« des geplanten Siedlungsraums im Osten sowie für die damit verbundenen großangelegten demographischen Vertreibungen die Verantwortung erhielt. Im Rahmen der anvisierten »Umsiedelungen« wurde im Distrikt Lublin in der Nähe des Städtchens Nisko ein »Arbeitslager« errichtet, das als »Durchgangslager« für Deportierte dienen sollte und dessen Insassen »Behausungen« für die geplante Deportation auch von »Reichsjuden« bauen sollten. Im Oktober 1939 brachten Transporte aus Mährisch-Ostrau, aus Katowice sowie aus Wien ca. 4800 Juden nach Nisko, um mit dem Bau des »Judenreservats« zu beginnen. Spätestens im April 1940 wurde der Nisko-Plan, der sich als undurchführbar erwies, fallengelassen.

      Die militärischen Siege der deutschen Wehrmacht führten zwar dazu, dass im Sinne des nationalsozialistischen »Kampfs um Lebensraum« immer mehr Fläche zur Verfügung stand, gleichzeitig indes auch immer mehr »unerwünschte Bevölkerungsgruppen« in den Machtbereich des NS-Regimes gerieten. In dem von der deutschen Wehrmacht eroberten Teil Polens waren dies alleine knapp zwei Millionen Juden, wovon eine halbe Million in westpolnischen Gebieten lebte, die »einverleibt« werden sollten. Da es sich bei relevanten Teilen der jüdischen Bevölkerung um ärmere Schichten handelte, wurden durch deren Abschiebung in das Generalgouvernement weder Bauernhöfe noch Häuser und Gewerbebetriebe frei, sodass Baltendeutsche, deren Gebiete bedingt durch den »Hitler-Stalin-Pakt« an die Sowjetunion fielen, nicht wie seitens der NS-Propaganda verkündet ansehnliche Gehöfte erhielten, sondern häufig in Umsiedlungslagern untergebracht waren. Die Deportation nichtjüdischer Polen in das Generalgouvernement, die über entsprechenden Besitz verfügten, der als »Beute« an »Volksdeutsche« verteilt werden konnte, wurde daraufhin als vorrangig deklariert. Letztendlich erwies sich eine derart groß angelegte Bevölkerungsverschiebung, die Baltendeutsche, weitere »Volksdeutsche«, Polen, jüdische sowie nichtjüdische Deutsche aus dem »Altreich« umfasste, als nicht realisierbar.

      Die nationalsozialistische Planung der »Endlösung« konzentrierte sich bedingt durch den Misserfolg sodann auf den Plan, europäische Juden innerhalb des deutschen Herrschaftsgebiets nach Übersee auszuweisen, wofür die südostafrikanische Insel Madagaskar – eine französische Kolonie – gewählt wurde. Der »Madagaskar-Plan« war keine genuine Erfindung der Nazis, insofern bereits britische wie niederländische Antisemiten in der Zwischenkriegszeit das Konzept propagiert hatten und 1937 eine polnische Kommission die Insel vor Ort erkundete, um eine potentielle Emigration polnischer Juden auszuloten. Im Frühjahr 1940 wurde der »Madagaskar-Plan« von deutscher Seite erwogen als sich der Konflikt zwischen Nazigrößen, die eine »Umsiedelung« der Juden aus den annektierten westpolnischen Gebieten in das Generalgouvernement präferierten, und Generalgouverneur Hans Frank (1900–1946) zuspitzte, der keinerlei Interesse daran zeigte, sich zum Herrscher eines Gebiets »jüdischer Arbeitssklaven« degradieren zu lassen. Die Hoffnung auf den Sieg über Frankreich und Großbritannien sowie der Tatbestand, dass durch die Besetzung relevanter Teile Westeuropas weitere Hunderttausende Juden in den deutschen Machtbereich gelangten und sich die Umsiedelung derart großer Zahlen in ein östliches »Judenreservat« als unrealistisch erwies, führten dazu, dass im Juni 1940 der Referatsleiter für »Judenfragen« im Auswärtigen Amt, Franz Rademacher (1906–1973), mit der Umsetzung des »Madagaskar-Plans« beauftragt wurde. In diesbezüglichen Aufzeichnungen Rademachers heißt es:

      »Da Madagaskar nur Mandat wird, erwerben die dort ansässigen Juden nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Allen nach Madagaskar deportierten Juden wird dagegen vom Zeitpunkt der Deportation ab von den einzelnen europäischen Ländern die Staatsangehörigkeit dieser Länder aberkannt. Sie werden dafür Angehörige des Mandats Madagaskar.« (Schmid 1983: 29)

      Der Sachverhalt, dass der »Madagaskar-Plan« vorübergehend zu einem Stopp der Ghettoisierung der Juden im Generalgouvernement führte, ist als Beleg dafür zu werten, dass die »Übersee-Unternehmung« von Seiten des Nazi-Regimes durchaus ernsthaft verfolgt wurde. In der Ausarbeitung des Reichssicherheitshauptamts zum Madagaskar-Projekt vom August 1940 wird die Zahl der Juden, die nach Madagaskar verschleppt werden sollten, mit vier Millionen angegeben. Wie im Wannsee-Protokoll so wird auch hier die Zahl länderspezifisch aufgelistet. Neben Deutschland, dem Generalgouvernement, dem Protektorat Böhmen und Mähren werden die Benelux-Länder sowie Dänemark, Norwegen, die Slowakei und Frankreich aufgeführt. Gegen die Ernsthaftigkeit des »Madagaskar-Plans« spricht nicht, dass auch die südostafrikanische Insel weder auf Grund ihrer Fläche noch wegen ihrer Unwirtlichkeit dazu geeignet war, derart viele Juden aufzunehmen, und auf der Insel sporadisch gar die Pest ausbrach, insofern diese Tatbestände verdeutlichen, dass der »Madagaskar-Plan« eine weitere Wegmarke in Richtung des Übergangs von der räumlichen zur genozidalen Elimination der Juden darstellte. Im Papier heißt es: »Zur Vermeidung dauernder Beziehungen anderer Völker mit Juden ist eine Überseelösung insularen Charakters jeder anderen vorzuziehen.« Die deutsche Niederlage gegen Großbritannien und der dadurch versperrte Seeweg beendeten indes auch diesen in Erwägung gezogenen Plan der »Endlösung«.

      Das Ende


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