Fremde und Fremdsein in der Antike. Holger SonnabendЧитать онлайн книгу.
die sich selbst ernähren und den Städten großen Nutzen bringen, keine Besoldung annehmen, sondern sogar noch die Abgabe für Metoikoi entrichten. Mir scheint das aber als eine ausreichende Förderung, wenn wir einerseits die Regelungen aufheben, die, ohne der Stadt zu nützen, den Fremden Erniedrigungen zu bringen scheinen, und wenn wir andererseits abschaffen, dass Fremde als Schwerbewaffnete gemeinsam mit den Bürgern in den Krieg ziehen. Denn groß ist die Gefahr für die Schwerbewaffneten, schwerwiegend ist aber auch für sie, sich von ihren Geschäften und Häusern zu entfernen. Aber sicher dürfte auch die Stadt einen Nutzen davon haben, wenn die Bürger lieber miteinander ins Feld ziehen, statt dass sich mit ihnen zusammen Lyder, Phryger, Syrer und andere Nichtgriechen aus vielerlei Ländern in der Schlachtreihe aufstellen, wie es jetzt üblich ist. Denn viele Fremde entstammen diesen Völkern. Zusätzlich zu dem Vorteil, dass die Fremden davon befreit würden, gemeinsam in der Schlachtreihe aufgestellt zu werden, käme es auch dem Ansehen der Stadt zugute, wenn die Athener in dem Ruf stünden, dann, wenn es ums Kämpfen geht, mehr auf sich als auf Fremde zu bauen. Und wenn wir ferner die Fremden außer zu den anderen Dingen, an denen sie zu beteiligen ehrenvoll ist, zusätzlich auch zur Reiterei zuließen, dann dürften wir uns meiner Meinung nach ihr größeres Wohlwollen gewinnen und zugleich die Stadt größer und stärker machen.
Es gibt innerhalb der Stadt viele Grundstücke, die nicht mit Häusern bebaut und als Bauplätze geeignet sind. Wenn nun die Stadt den Bauwilligen, die darum nachsuchen und würdig erscheinen, das Recht auf Besitz einräumte, dann dürften meiner Meinung nach auch infolge dieser Maßnahmen bei weitem mehr und bessere Leute ihre Niederlassung in Athen anstreben. Und wenn wir das Amt von Fremdenbeauftragten einführten – nach dem Vorbild der Waisenbeauftragten – und unter ihnen diejenigen auszeichnen würden, die die meisten Fremden vorweisen könnten, dann dürfte auch dieser Schritt die Fremden gewogener machen, und aller Wahrscheinlichkeit nach dürften alle Heimatlosen den Status eines Metoiken in Athen anstreben – und unsere Einnahmen vergrößern.«
Neben den dauerhaft ansässigen Fremden gab es in den griechischen Stadtstaaten auch immer viele Menschen fremder Herkunft, die sich dort nur vorübergehend aufhielten. Auch in dieser Hinsicht nahm die politische, wirtschaftliche und kulturelle Metropole Athen eine Spitzenposition ein. In dankenswerter Weise hat der Philosoph und Wissenschaftler Platon eine systematische Zuordnung dieser auswärtigen Gäste vorgenommen (Nomoi 12,6). Dabei unterscheidet er vier Gruppen von Fremden.
Platon bezeichnet sie als die »regelmäßigen Sommergäste«, die ihr Leben lang von Ort zu Ort ziehen und »zum großen Teil über das Meer sozusagen geflogen kommen wie die Zugvögel, um durch Handel ihren Gewinn zu machen und dann zu gegebener Zeit ihren Flug fortzusetzen nach anderen Städten.« In Athen gibt es spezielle Beamte, die sich um die Belange der fremden Händler und Kaufleute kümmern. Sie weisen ihnen feste Plätze auf den Märkten oder am Hafen zu und achten auch sorgsam darauf, dass diese »keine Neuerungen« einführen. Diese Bemerkung zeigt einmal mehr, dass es auch in der multikulturellen, kosmopolitischen Stadt Athen eine offenbar fest verwurzelte Urangst vor Fremden gab, die man im Verdacht hatte, sie würden die herkömmliche Ordnung gefährden.
Athen war wegen seiner Theater und seiner kulturellen Reputation ein Publikumsmagnet. Von überall her strömten bildungsbeflissene Menschen in die Stadt, und sei es auch nur, um später zu Hause erzählen zu können, sie seien in Athen gewesen und hätten sich die Stücke bedeutender Autoren oder eine der berühmten Prozessionen angesehen. Platon klassifiziert diese Fremden als »Gäste, die die Schaulust zu uns führt«. Sie müssen versorgt und verpflegt werden, dazu bedarf es einer Logistik, die in der Lage ist, der Masse der Besucher gerecht zu werden. In den Worten Platons: »Zur freundlichen Aufnahme für sie alle müssen in der Nähe der Tempel Herbergen bereitgestellt sein. Auch für sie bedarf es der Aufsicht und Fürsorge für ihre leibliche Verpflegung, und zwar sollen damit Priester und Tempeldiener betraut werden.«
Aus der Sicht der modernen Fremdenforschung ist an dieser Stelle zu notieren: Händler und Kaufleute sind willkommen, weil sie als Motoren der Wirtschaft gelten, jedoch begegnet man ihnen auch mit Misstrauen, weil sie die Gesellschaft mit neuen Sitten und Gewohnheiten infiltrieren könnten. Von ganz anderem Kaliber sind Bildungs- und Kulturreisenden: Ihnen muss man mit Freundlichkeit begegnen. Der Grund wird von Platon nicht genannt, liegt aber auf der Hand: Die Standards im Umgang mit Fremden setzten die sozialen Eliten. Wer nach Athen reiste, um sich Vorstellungen im Theater anzusehen, stammte in der Regel aus derselben Schicht. So handelte es sich hier um eine städteübergreifende Solidarität des Bildungsbürgertums, die das Fremdsein in Vertrautheit verwandelte.
Weil jede Stadt im klassischen Griechenland ein eigener Staat war und es Hunderte solcher Stadtstaaten gab, herrschte im Rahmen der zwischenstaatlichen Politik ein reger Verkehr von Gesandtschaften. Der Austausch war auch deswegen so intensiv, weil die Antike noch keine ständig vor Ort residierenden Botschaften kannte. Wenn es zwischen zwei Staaten etwas zu regeln gab, machte sich aus dem einen Staat eine Gruppe von Gesandten auf den Weg in die andere Stadt. Sie genossen in den Zielstädten als wichtige Fremde höchste Aufmerksamkeit und Fürsorge. Dass es sich bei ihnen um Fremde erster Klasse handelte, weiß auch Platon: »Für ihre Aufnahme und Unterkunft hat der Staat zu sorgen. Wohnen sollen sie ausschließlich bei Strategen, Hipparchen und Taxiarchen, und ihre Versorgung soll neben den Prytanen an erster Stelle demjenigen obliegen, bei dem er als Gast im Hause weilt.«
Die Athener behandelten fremde Gesandte gut. Sie durften bei der politischen Prominenz wohnen, bei den obersten Militärführern (Strategen), den Kommandanten der Reiterei (Hipparchen), den Führern anderer Einheiten (Taxiarchen), den Ratsherren (Prytanen). Im Gegenzug erwarteten sie, dass ihre eigenen Gesandten in der Fremde in gleicher Weise behandelt wurden.
Einen noch privilegierteren Status als reguläre Gesandte genossen sogenannte Auslandsbeobachter. Platon fasst unter diesem Begriff eine elitäre Gruppe zusammen, deren Aufgabe darin bestand, »etwas zu sehen oder von etwas Kunde zu geben, was an Schönheit und Trefflichkeit nicht seinesgleichen hat.« Diese auserwählten fremden Beobachter mussten nach Platons Angabe mindestens 50 Jahre alt sein, nach antiken Kategorien also mit einer Würde, Reife und Autorität zumindest wahrscheinlicher machenden Summe an absolvierten Lebensjahren ausgestattet sein. »Jeder derartige Fremde«, berichtet Platon, »soll uneingeladen Zutritt haben zu den Häusern der reichen und durch Bildung herausragenden Männer. Denn er ist ja selbst ein Mann von hervorragender Bildung. Beim Abschied soll er als Freund vom Freund mit Geschenken und gebührenden Ehren bedacht werden.«
Nicht in der Heimat, sondern in der Fremde zu sterben und dort, in fremder Erde, bestattet zu werden, war für viele antike Menschen eine schlimme Vorstellung. Tod in der Fremde bedeutete in der Regel und fast zwangsläufig, in der Fremde bestattet zu werden. Überführungen in die Heimat waren kostspielig und daher nicht üblich. Nach dem Tod in der Fremde war das Klagen groß (Stroszeck 2002/2003):
»Fern der Heimat starb ich im berühmten Athen.
Bei allen Verwandten ließ ich Sehnsucht zurück.«
So lautet die Inschrift auf dem Grab einer Frau namens Herseis, die um 400 v.