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Nazis gelernt haben. In Deutschland hat die Distanz des Durchschnittsbürgers zu den politischen Parteien Tradition. Man mochte und verstand ihren Streit nicht. Er störte die nationale Einheit. Diese Mentalität verdichtete sich gleichsam in berühmten Aussprüchen, die sich großer Zustimmung erfreuten. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 proklamierte Kaiser Wilhelm II.: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Dabei war die Politik seiner Regierung parteiisch bis zu ihrem Untergang 1918. Auch die Ankündigung Hitlers im Jahr 1932, wenn er an die Macht komme, werde er die 30 Parteien aus Deutschland hinausfegen, fand große Zustimmung. Das Credo des Staatsrechtlers Carl Schmitt, der die NS-Diktatur theoretisch begründen half, lautete: Ein von Parteien beherrschtes Parlament löst die Staatsautorität auf. Nach 1945 wollten dann viele als „gebrannte Kinder“ von „Partei“ nichts mehr hören und aus ihrer Verführung durch die Nazi-Partei nicht lernen.

      Unterschiedliche Forschungen zur politischen Kultur registrieren seit langem den gleichen Befund: Parteien rangieren, was ihre Beliebtheit betrifft, weit unten, im Unterschied etwa zu den Institutionen der Justiz, der Polizei, auch noch der Regierungen. Politikwissenschaftler und Journalisten bringen das seit langem auf den Begriff der Parteienverdrossenheit und suchen die Gründe dafür in erster Linie im Verhalten von Parteien und Politikern. Ich frage mich allerdings, ob die Wissenschaftler nicht auch nach Gründen für diese Verdrossenheit bei den Bürgern fragen müssten – ob diese denn hinreichend wissen, wofür Parteien in einer Demokratie da sind und nötig sind.

      Man registriert heute in der Bevölkerung eine Zunahme an politischem Interesse, auch an politischer Aktivität, zumal bei jungen Leuten. Aber diese Aktivitäten äußern sich vor allem in Bürgerinitiativen für bestimmte Anliegen und in Protesten gegen anderes; viele fühlen sich dabei besser, auch im moralischen Sinn, als bei politischen Parteien, und man ist stolz darauf, wenn man etwas verhindern konnte. Fast alle politischen Parteien verlieren dagegen zusehends an Mitgliedern.

      Dem moralischen Überlegenheitsgefühl von Aktivisten gegenüber politischen Parteien kann man nicht oft genug entgegenhalten: Jeder und jede, der oder die sich politisch äußert oder betätigt, ergreift Partei. Das Politische ist das gesellschaftlich Umstrittene, das verbindlicher Regelung bedarf. Diese muss jeweils im Streit gefunden werden, und darin ist jeder, der Stellung nimmt, Partei.

      Diesen Streit ständig so zu führen, dass Verbindlichkeit, allgemein Geltendes möglich wird, ist die Grundaufgabe von Parteien. Diese sind nicht ersetzbar durch Initiativen und Bewegungen für oder gegen einzelne Vorhaben. Die Aufgaben politischer Parteien sind in jedem Handbuch der Politikwissenschaft leicht nachzulesen: Personalrekrutierung für politische Ämter; Bündelung unterschiedlicher Interessen und ihre Integration in ein politisches Programm (politische Willensbildung) für die Regierung einer heterogenen Gesellschaft. Das geht über die Tätigkeit der spezifischen Interessenverbände weit hinaus, weil eben die Integration einander widerstreitender Interessen immer geleistet werden muss. Aber große Interessenverbände haben Millionen Mitglieder, während die Parteien Mitglieder verlieren.

      Die Aufgabe der Integration von Interessen zum Zweck der Regierung kann auf den politisch-ethischen Begriff des Gemeinwohls gebracht werden. Parteien, die eine Gesellschaft als ganze regieren wollen, müssen ein Konzept vom Gemeinwohl entwickeln. Sie sind gleichsam Konkurrenten im Finden des jeweiligen Gemeinwohls; denn dieses ist nicht irgendwie vorgegeben – das ist das alte Missverständnis in Obrigkeitsstaaten –, sondern es ist aufgegeben, es muss jeweils gefunden und in Bezug auf Problemlagen definiert werden.

      Politische Parteien streiten also gewissermaßen stellvertretend für die Gesellschaft um das Gemeinwohl – um das, was allen am ehesten zuträglich oder wenigstens zumutbar ist. Viele wohlmeinende Bürger und erst recht „Spießbürger“ mögen aber den politischen Streit nicht. Aber dieser ist unvermeidlich, und er ist Ausdruck einer freien, aber heterogenen Gesellschaft, und er braucht die Konkurrenz von Parteien. Schon ein flüchtiger vergleichender Blick in die heutige Staatenwelt lässt erkennen, dass dort, wo es kein einigermaßen funktionierendes Parteiensystem im beschriebenen Sinn gibt, Demokratie keine Stabilität erlangen kann.

      Deshalb mein Fazit: „Parteienverdrossenheit“ ist ein schlechtes Erbe aus unserer Vergangenheit (Weimar und Nazidiktatur), das wir leider nicht überwunden haben.

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