FILM-KONZEPTE 61 - Jonas Mekas. Ann-Christin EikenbuschЧитать онлайн книгу.
Peter Kubelka war er die Verkörperung des filmenden Zeitzeugen aus einem Klassiker der sowjetischen Stummfilmavantgarde: »Als Parallelfigur zu Jonas sehe ich Dziga Vertov, der sich selbst als Mann mit der Kamera sah, wobei in meinen Augen Jonas dieser Titel viel stärker gebührt.«4
Wenn Kubelka ihn in diesem Vergleich noch über Vertov stellt, kommt er dem erwartbaren Widerspruch des Angesprochenen zuvor. 1968 hatte sich Mekas im Gespräch mit Pier Paolo Pasolini ablehnend zu einer Filmavantgarde geäußert, der es primär um Modernität bestellt sei – und Vertov als Beispiel genannt: »Maybe what we need is a very OPEN understanding of ›new‹, so that they couldn’t use it to club us on the head. Otherwise there will be more and more surrealists, Dziga Vertovs und cubists to club us on the head. I know it’s on its way.«5
Jonas Mekas spricht anlässlich der VIDEONALE.scope über das Werk von Joseph Cornell, Köln, Filmclub 813, 21.11.2015
Mekas’ Verweigerung gegenüber einem Avantgardebegriff, der sich auf Innovation stützt, ließ ihn für sein eigenes Werk vorsichtshalber jede Positionierung innerhalb des Dispositivs Kunst ablehnen. Die Verweigerung gegenüber jeder, selbst der wohlwollendsten Einordung endete nicht beim Schubladendenken der professionellen Vermittler oder der kommerziell bestimmten Präferenzen des Filmmarkts. Es betraf den Status seiner beruflichen Existenz an sich.
»I’m not a filmmaker«, war Mekas überzeugt, »I just keep on filming.« Und ein Regisseur sei er erst recht nicht, da er ja nichts inszeniere.6 Sein einziger abendfüllender Spielfilm, THE BRIG (1964), stand dazu für ihn nicht im Widerspruch – schließlich hatte er lediglich eine Inszenierung des Living Theatre in eine filmische Inszenierung übertragen.
Das heißt nicht, dass sich Mekas nicht doch in einem künstlerischen Berufsbild positioniert hätte – dann aber ebenfalls in distanzierender Absicht. 1961, auf dem Höhepunkt seiner Meinungsmacht als Filmkritiker der Village Voice, sagte er in einem Interview mit den Tänzern Erick Hawkins und Lucia Dlugoszewski: »I am not a dance critic. I am a poet and, as poets usually are, I have always been interested in other arts, which are as great a source of inspiration as life itself.«7
Mit fortschreitender Anerkennung durch künstlerische Institutionen ging Mekas in seinen späten Jahren nur noch mehr auf Distanz zum Kunstbegriff. »Er dozierte geradezu, dass er kein Künstler sei«, erinnert sich der Filmemacher, Kurator und zeitweilige Filmrestaurator in den Anthology Film Archives Bruce Posner. »Er machte daraus viel Aufhebens. Wie konnte er so etwas behaupten, ohne eine Miene zu verziehen? Es war doch vollkommener Unsinn. Ich weiß beim besten Willen nicht, was Mekas von seinem eigenen Werk hielt.«8
Bei Publikumsgesprächen erregte Mekas’ vehement vorgetragene Ablehnung gegenüber nahezu jedem üblichen Attribut künstlerischer Arbeit regelmäßig Debatten. Am 6. April 2013 wollte bei einem von Peter Kubelka moderierten Abend im Österreichischen Filmmuseum ein Besucher von Mekas wissen, was er mit dem Satz gemeint habe, der in einem Gespräch mit Ulrich Obrist gefallen sei: »My film is real life«. Offenbar hatte es Mekas gegenüber dem Kurator, mit dem er befreundet war, soweit getrieben, dass er zu einer Formulierung zurückfand, wie sie in der Filmgeschichte aus anderem Kontext bekannt ist – als Credo des Cinéma Vérité. Dazu passte auch Mekas’ Antwort gegenüber dem Wiener Zuschauer: »Eine Kamera kann nichts anderes aufnehmen als das, was vor ihr ist. Erwarten Sie nicht, dass ich ihnen etwas über Intuition erzähle, das führt nirgendwo hin.«9
In seiner Verweigerung, seine Arbeitsweise zu erklären, fand er in Kubelka einen Verbündeten. Schon als Filmjournalist und Herausgeber seiner Zeitschrift Film Culture hatte er dem österreichischen Filmkünstler 46 Jahre zuvor gegenübergesessen. Damals war er der Interviewer und Kubelka diktierte: »When you transcribe this interview, you should state that nothing I say has anything to do with my films.«10
Jonas Mekas und Peter Kubelka, Collage aus: Film Culture (1967), Nr. 44, S. 42
Tatsächlich zelebrierte Mekas in späteren Jahren geradezu die Gleichsetzung von Film und Leben in seiner visuellen Arbeit – als würde jeder künstlerische Eingriff diese Balance unweigerlich zum Einsturz bringen. Im Kommentar seines Films AS I WAS MOVING AHEAD OCCASIONALLY I SAW BRIEF GLIMPSES OF BEAUTY (2000) erklärt er aus dem Off in einem schwelgerischen, melodischen Tonfall, der an die musikalischen Textdeklamationen des von ihm verehrten Komponisten John Cage erinnert: »Every second of what you see is real. It’s real. Right there in front of your eyes. What you see, it’s real.«11 – als sei die Beschwörung des Wirklichkeitsanspruchs aus dem Off nicht selbst ein Weg, die Bilder aus der wirklichen Welt in die Ebene der Poesie zu überführen. Selbstverständlich war ihm das Artifizielle seiner bereits in der Kamera vorgenommenen Schnitte und die Montagen, an denen er lange arbeitete, durchaus bewusst – doch, wie er vorgab, nicht rational erklärlich. In einem späten Interviewfilm äußerte er: »It’s not really real. Because to be really real I would have to film it non-stop. But I only make excerpts. Why did I chose those 15 seconds and not the rest?«
In der Geschichte des nicht-fiktionalen Films ist die Gleichsetzung von Film und Leben, wie sie die veristische Schule des Dokumentarfilms forderte, selbst eine Irrealität – und als Utopie fast ein Äquivalent zu Picassos Gleichsetzung von Werk und menschlicher Existenz. 1957 hatte Mekas als Chefredakteur von Film Culture zu den ersten Filmkritikern gehört, die die ersten Kurzfilme der britischen Free-Cinema-Bewegung dem US-amerikanischen Publikum anempfahlen. In der Februar-Ausgabe 1958 bezeichnet er die Veröffentlichungen von TOGETHER (1956), O DREAMLAND (1953), MOMMA DON’T ALLOW (1956), NICE TIME (1957) und EVERY DAY EXCEPT CHRISTMAS (1957) als »the only creative contribution to cinema that reached us from Britain in 1957.«12
Ebenso gehörte Mekas einige Jahre später zu den Verfechtern der US-amerikanischen Cinema-Vérité-Bewegung des Direct Cinema. 1964 verteidigte er in seiner Village-Voice-Kolumne die Vorzüge des Films WHAT’S HAPPENING! THE BEATLES IN THE U. S.A (1964) von John und David Maysles gegenüber dem von Kritik und Publikum wegen seiner aus der Avantgarde entlehnten Stilmittel gefeierten Spielfilm A HARD DAY’S NIGHT (1964): »You have to see the Maysles film to realize what really good photography is, or what cinema is, or what really the Beatles are… Only one who is completely ignorant of the work of the ›new American cinema‹ film-makers during the past three years can call ›A Hard Day’s Night‹, even jokingly, the ›Citizen Kane‹ of the hand-held cinema (Sarris did it). But why should I argue about it. There are so many people who like ›A Hard Day’s Night‹ for so many different reasons. I have said often enough that art is not the only thing in life. But I haven’t said strongly enough, and I may as well say it right now, that art exists. Aesthetic experience exists. ›A Hard Day’s Night‹ has nothing to do with it. At best, it is fun. But ›fun‹ is not an aesthetic experience: fun remains on the surface. I have nothing against the surface. But it belongs where it is and shouldn’t be taken for anything else.«13
In seiner stark wertenden Grenzziehung zwischen der unverstellten dokumentarischen Arbeit und der ästhetisierenden Adaption dokumentarischer Stilformen steht Mekas in einer langen Tradition. Ende der 1920er Jahre hatte Walter Ruttmanns Film BERLIN – DIE SINFONIE DER GROSSSTADT (1927)