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Bereit für das nächste Mal. Andrea FehringerЧитать онлайн книгу.

Bereit für das nächste Mal - Andrea Fehringer


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Studien der Uni Wien ergaben, dass ein wesentlicher Überträger des Coronavirus das Gesundheitspersonal selbst ist. Sie sind sogenannte Superspreader. Was logisch ist. Sie haben direkten Kontakt zu den Kranken.

      Das Problem bei der COVID-Primärversorgung ist, dass keine Strukturen vorhanden waren. Es wurden Turnusärzte für das System rekrutiert und Ärzte mit Jus practicandi aus allen Abteilungen verpflichtet. Lungenärzte sahen sich nach ersten Anlaufschwierigkeiten in der Primärverantwortung bei der COVID-Versorgung. Wir haben an all diesen Punkten entsprechend gesteuert. Es braucht schnelle Reaktionen in Spitälern. Es ist, als operierten wir am offenen Herzen, bei jeder Maßnahme, die wir setzen. Natürlich, auch Ärzte sind nicht frei von Egoismus und Existenzangst. Es ist erschreckend, wie einige Abteilungen sich dezent zurückziehen und sich eine Hysterie breitmacht. Anfangs bemerkten wir ein generelles Unbehagen bei fast allen Medizinern, mit denen wir arbeiten. Einen Pesthauch, der das Krankenhaus umweht.

      Das Gefühl ist aber künstlich erzeugt und geschürt wie ein Feuer im Kamin. Es zieht kein Todesvirus wie Ebola über Österreich hinweg und hinterlässt eine Autobahn an Leichen. Aber solange es keine Therapie und Impfung gibt, bleibt die Gefahr des Coronavirus bestehen. Am Beispiel Klagenfurt können wir sagen: Es waren im April über 700 stationäre Betten und rund 90 Intensivbetten frei, und es ist glücklicherweise zu keiner Unterversorgung gekommen. Bis Mitte April hatten wir in Kärnten zugleich maximal 13 COVID-positive Intensivpatienten und 21 stationäre Patienten. Das spiegelt auch wider, dass wir genug Krankenhausbetten haben, um im Krisenfall rasch handeln und entsprechend notwendige Kapazitäten zur Verfügung stellen zu können. Andererseits haben wir keine eigene Klinik oder zumindest eine Station für Infektionserkrankungen. Wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wo es eine eigene Tuberkulosestation gegeben hat. Dieses Konzept wurde als überholt betrachtet. Wir denken, es ist wieder an der Zeit, über solche Spezialkliniken laut nachzudenken. Hierin sollte das System in weiser Voraussicht investieren. Die nächste Pandemie kommt bestimmt.

      Die Erregung an der Endzeit führt unserer Meinung nach nicht zu einer sozialen Stärkung, was gerne gepredigt wird, sondern vielmehr zu einer sozialen Verarmung der Gesellschaft. Social distancing im ganz großen Stil. Immer noch werden durch unterschiedlichen Föderalismus Maßnahmen falsch getroffen, wie in Tirol, wo die Politik langsam reagiert hat. Erst hat man wohl wegen des Tourismus gewartet und dann die Verschärfungen vorgebetet, Ausgangssperre, liebe Tirolerinnen und Tiroler.

      Bei uns im Spital sind im März zwei Menschen gestorben, die COVID-positiv waren. Wir hätten schreien können: Wieder zwei Corona-Tote! In Wahrheit hatte der eine Patient, er war Mitte fünfzig, eine Lungenfibrose, also eine schwere Krankheit. Der Mann wollte nicht intubiert, sprich beatmet werden, weil er wusste, dass es nichts mehr bringen würde. Corona hat diesen Patienten nicht gekillt. Jeder Keim hätte genügt, um seine Lebensflamme auszulöschen.

      Die zweite sogenannte Corona-Tote war eine 91-jährige Dame. Sie hatte einen gütigen Blick und war zufrieden mit ihrem langen Leben. Sie lächelte die Krankenschwestern immer an. Zum behandelnden Arzt sagte sie: »Danke, Herr Doktor. Sie müssen sich nicht so anstrengen.« An einem Mittwoch um halb sieben hörte ihr Herz einfach auf zu schlagen.

      Bei den intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten ist nach aktueller Datenlage mit einer Sterblichkeit von dreißig bis siebzig Prozent zu rechnen. Man stirbt auch an Corona. Das ist kein außergewöhnlich hoher Wert bei älteren Leuten mit schwerem Akutem Atemnotsyndrom; wir nennen das ARDS – Acute Respiratory Distress Syndrome. Überlebende leiden an den üblichen Folgen einer langen Intensivbehandlung.

      Bitte verstehen Sie uns nicht falsch. Es ist tragisch, wenn Menschen an COVID-19 sterben. Man kann sich vom Patienten nicht mehr verabschieden. Es zeigen sich häusliche Tragödien, und es kommt beim Tod zum abrupten Bruch der Beziehung. Der geliebte Mensch ist einfach weg, aus dem Leben gerissen, für immer fort. Wir Ärzte gehen da in eine andere Richtung, wenn wir fordern: Wir müssen den Tod wieder ins Leben zurückbringen. Er gehört dazu. Hier pfuscht uns das Virus hinein und macht die Rechnung kaputt. Der Mensch wird in einen Sack gesteckt. Es gibt keine Verabschiedung mehr, keine Besuche. Keinen Übergang in etwas anderes, vielleicht Höheres, das durch die Verabschiedung eingeleitet wird.

      Wir haben das selbst erlebt. Unser Zentralbetriebsrat ist gestorben. Das Begräbnis fand mit nur fünf Personen statt. Es wären viel mehr Leute gekommen, aber es war verboten. Wir konnten nicht adieu sagen. Nur im Stillen. In sicherer Distanz und Abgeschiedenheit. Was hätten wir tun sollen, eine WhatsApp-Gruppe gründen? Wir sagen: Der Tod wird durch das Virus abstrahiert.

      Auch auf unserer Intensivstation konnte sich ein Angehöriger eines COVID-Patienten nicht mehr vom Sterbenden verabschieden. Der Sohn wurde dadurch traumatisiert, was wir in Einzelgesprächen bearbeiten konnten. Wir haben auf diesen Fall reagiert und mit unserem Hygieniker ausgemacht, dass sich Menschen zum Verabschieden in den Hochsicherheitsbereich einschleusen dürfen. Um sehr wohl Abschied zu nehmen.

      Die Frage ist: Wie weit und wie lange kann eine Gesellschaft ihre individuellen Bedürfnisse den Zielen der Politik, der Allgemeinheit unterordnen? Und wo sind die Grenzen, wenn die individuellen Bedürfnisse nicht nur kurzzeitig ausgesetzt sind, sondern die Psyche langfristig malträtiert wird? Wie bei Leuten, die an einem posttraumatischen Stresssyndrom leiden, nachdem sie dem Krieg entkommen sind. Wie viele Leute haben denn jetzt schon eine Wut im Bauch, die da drinnen brodelt und bloß ein Ventil sucht, über das sie hinauskommt? Der Druck im Schnellkochtopf erhöht sich. Selbst wenn die Einschränkungen gelockert sind und das Leben da draußen wieder aufblüht.

      Es geht unterdessen in der Gesellschaft nicht mehr um das reine Verbot. Sondern um Privilegien. Wenn ich etwas nicht darf, warum darf das der andere? Warum wurde das Reiten verboten? Wenn alle anderen Ausgangsbeschränkung haben, warum soll man überhaupt ausreiten? Die Leute schauen sich gegenseitig auf die Finger. Wer fährt U-Bahn, wer Bus? Warum? Wer trägt keine Maske? Wer greift im Supermarkt das Brot ohne Handschuhe an? Wem geht’s besser, wem geht’s schlechter? Wer darf wann aufsperren, wer darf wo Urlaub machen? Masken beim Frühstück im Hotel? Gibt es noch Buffets? Oder Leute, die im Fitnesscenter trainieren und dann ins Dampfbad oder in die Sauna gehen? Gibt es private Clubs? Wer genießt Vorzüge, die nicht sein dürfen, und warum? Wer darf aus den Fördertöpfen naschen, wem sind sie verwehrt? Die Gesellschaft verliert das Gleichheitsgebot. Und die Toleranzgrenze.

      Für Ärzte wird es in Zukunft eine andere Art der Klassifizierung von Notfallpatienten geben, wenn sie ins Krankenhaus eingeliefert werden. Man nennt dieses System der Schnelleinteilung Triage. Bislang war entscheidend, ob der Patient eine offene Wunde hatte oder nicht. Die Triage war demnach blutig/unblutig. In Zukunft wird die Triage thematisch ausgeweitet werden müssen: infektiös/nicht infektiös und erst dann blutig/ unblutig.

      Die allgemeine Verunsicherung führt außerdem dazu, dass in der Nacht weniger Akut-OPs durchgeführt werden. Hier stellt sich eine Grundsatzfrage: Haben wir bislang zu viel operiert? Bestimmt das Angebot die Nachfrage? Eigentlich müsste die Zahl der Akut-OPs gleichgeblieben sein. Es gibt aber deutlich weniger Eingriffe. Oder gehen Menschen jetzt nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus, und es kommt zu Langzeitfolgen?

      Botox und Schönheits-OPs müssen halt warten.

      Auf der anderen Seite kommt es zur Unterversorgung, was die Schmerztherapie betrifft. Wir Ärzte haben gehört, dass Menschen jetzt lieber starke Schmerzen aushalten, bevor sie aus dem Haus und ins Krankenhaus gehen. Weil sie Angst haben, sich mit dem Coronavirus anzustecken.

      Zunehmend bedrohlich ist ein anderer Umstand: Pharmafirmen können manche Präparate nicht mehr liefern. Zum Beispiel gibt es beim Blutdrucksenker Trandate einen Totalausfall.

      Der Vertreter von Aspen Pharma Ireland schreibt in einer Mail: »Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Produktion von Labetalol-Hydrochlorid bei einem Fremdhersteller in Italien eingestellt werden musste, was zu einem Lieferausfall im gesamten europäischen Markt führt, respektive führen wird. Der Produktionsaufbau mit entsprechender Wiederbelieferung ist leider erst ab Januar 2021 zu erwarten.«

      Jetzt lässt sich das verschmerzen, das Spital kann zu anderen Präparaten greifen, aber – weitergedacht: Was passiert, wenn andere Arzneien nicht mehr vorhanden sind?

      Aktuell verhält es


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