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Reise zum Mittelpunkt der Erde. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

Reise zum Mittelpunkt der Erde - Jules Verne


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Mädchen aus den Vierlanden, die gute Martha und ich. In meiner doppelten Eigenschaft als Neffe und Waise wurde ich bei seinen Experimenten zu seinem Laborgehilfen. Ich gestehe, dass ich an den geologischen Wissenschaften Lust hatte; es floss mineralogisches Blut in meinen Adern, und ich langweilte mich nie in Gesellschaft meiner kostbaren Steine. Übrigens konnte man doch in diesem kleinen Hause der Königstraße glücklich leben, trotz der ungeduldigen Art seines Eigentümers, denn obwohl er sich etwas brutal benahm, liebte er mich doch. Aber der Mann verstand nicht zu warten und eilte sogar der Natur voran. Wenn er im April in die Fayence-Töpfe seines Salons Stöckchen Reseda- oder Windensetzlinge pflanzte, zupfte er sie jeden Morgen an den Blättern, um ihr Wachstum zu beschleunigen. Bei einem solchen Original war nichts anderes möglich, als zu gehorchen. Ich stürzte daher hastig in sein Arbeitszimmer.

      2. Ein altes Dokument

      ZWEITES KAPITEL Ein altes Dokument

      D

      ieses Kabinett war ein wahrhaftes Museum. Alle Musterstücke aus dem Reich der Mineralien fanden sich da mit Etiketten versehen in vollständigster Ordnung aufgereiht, nach den drei großen Abteilungen der brennbaren, metallischen und steinartigen Mineralien. Wie war ich mit diesem Spielzeug der mineralogischen Wissenschaft vertraut! Wie oft hatte ich, anstatt mit meinen Kameraden meine Zeit zu vertändeln, meine Freude daran, diese Graphiten, Anthraziten, Ligniten, die Kohlen und Torfe abzustauben! Und die Harze, Erdharze, organischen Salze, die vor den geringsten Stäubchen zu schützen waren! Und diese Metalle, vom Eisen bis zum Gold, deren relativer Wert vor der absoluten Gleichheit der wissenschaftlichen Gattungen verschwand! Und all die Steine, womit man das Haus an der Königstraße hätte neu aufbauen können, und noch ein schönes Zimmer dazu, worin ich mich recht hübsch eingerichtet hätte! Als ich aber in das Arbeitszimmer trat, dachte ich nicht an diese Wunder; mein einziger Gedanke war mein Onkel. Er war in seinem großen, mit Utrechter Samt beschlagenen Lehnstuhl vergraben und hielt ein Buch in den Händen, das er mit tiefster Bewunderung anschaute.

      »Welch ein Buch! Welch ein Buch!«, rief er aus. Dieser Ausruf erinnerte mich daran, dass der Professor Lidenbrock auch ein zeitweiliger Büchernarr war; eine alte Scharteke hatte in seinen Augen nur insofern Wert, als sie schwer aufzufinden oder wenigstens unleserlich war.

      »Aber«, sagte er, »siehst du denn nicht? Das ist doch ein unschätzbares Kleinod, das ich heute Morgen im Laden des Juden Hevelius aufgefunden habe.«

      »Prachtvoll!«, entgegnete ich mit geheucheltem Enthusiasmus. Wahrhaftig, wozu so viel Lärm um einen alten Quartanten in Kalbsleder, eine vergilbte Scharteke mit verblassten Buchstaben.

      Der Professor fuhr indessen fort in unerschöpflicher Bewunderung, indem er sich selbst fragte und antwortete:

      »Siehst du, ist es nicht hübsch? Ja, wunderschön! Was für ein Einband! Wie leicht lässt es sich aufschlagen! Wie schön schließen die Blätter, dass sie nirgends auseinander klaffen! Und an diesem Rücken sieht man nach sieben Jahrhunderten noch keinen Riss!«

      Ich konnte nichts Besseres tun, als ihn über den Inhalt zu fragen, obwohl der mich wenig kümmerte.

      »Und wie ist denn der Titel des merkwürdigen Buches?«, fragte ich hastig.

      »Dieses Werk«, entgegnete mein Onkel lebhaft, »ist die ›Heimskringla‹ von Snorri Sturleson, dem berühmten isländischen Chronisten des 12. Jahrhunderts! Es enthält die Geschichte der norwegischen Fürsten, die auf Island herrschten!«

      »Wirklich?«, fragte ich so erfreut wie möglich. »Und gewiss eine deutsche Übersetzung?«

      »Schön!«, antwortete der Professor lebhaft. »Eine Übersetzung! Und was ist mit der Übersetzung anzufangen? Wer kümmert sich um eine solche? Es ist ein Originalwerk in isländischer Sprache, dem prächtigen, reichen und zugleich einfachen Idiom!«

      »Wie das Deutsche«, fügte ich schmeichelnd bei.

      »Ja«, entgegnete mein Onkel mit Achselzucken, ohne zu berücksichtigen, dass die isländische Sprache die drei Geschlechter bezeichnet wie im Griechischen und die Eigennamen dekliniert werden wie im Lateinischen!

      »Oh!«, rief ich, indem ich meiner Gleichgültigkeit Gewalt antat. »Und wie schön sind die Lettern!«

      »Lettern! Was meinst du, Lettern? Wie? Du meinst, das sei gedruckt? Nein, Dummer, es ist ein Manuskript, ein Runen-Manuskript!«

      »Runen?«

      »Ja! Begehrst du nun eine Erklärung dieses Wortes!«

      »Das lass ich bleiben«, entgegnete ich mit dem Ton eines Beleidigten.

      Aber mein Onkel fuhr umso eifriger fort, mich gegen meinen Willen über Dinge zu belehren, die ich zu wissen gar nicht Lust hatte.

      »Die Runen«, fuhr er fort, »waren Schriftzeichen, die vor uralten Zeiten auf Island gebräuchlich waren und von Odin selbst erfunden sein sollen! Aber schau doch her, bewundere doch, Gottloser, die von einem Gott ausgedachten Zeichen!«

      Wahrhaftig, anstatt zu antworten, fiel ich auf die Knie, eine Antwort, die Göttern und Königen gefällt. Ein Zwischenfall gab der Unterhaltung eine andere Wendung. Ein schmutziges Pergament fiel aus der Scharteke heraus auf den Boden. Mit begreiflicher Gier fiel mein Onkel über diesen Zettel her. Ein altes Dokument, das vielleicht seit unvordenklicher Zeit in einem alten Buche lag, musste in seinen Augen unfehlbar sehr kostbar sein.

      »Was ist das?«, fragte er und entfaltete zugleich sorgfältig auf dem Tisch ein fünf Zoll langes, drei Zoll breites Pergamentstück, worauf sich in Querzeilen ein unverständliches Gekritzel von Schriftzügen befand. Ich gebe hier ein genaues Faksimile derselben. Es ist mir darum zu tun, diese seltsamen Zeichen zur Anschauung zu bringen, weil sie den Professor Lidenbrock nebst seinem Neffen zu der sonderbarsten Unternehmung des 19. Jahrhunderts veranlassten!

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      Der Professor betrachtete diese Zeichen eine Weile; dann sprach er, indem er seine Brille höher rückte:

      »Es ist Runisch; diese Zeichen sind denen auf dem Manuskript Snorri Sturlesons völlig gleich! Aber was mag das nur bedeuten?«

      Da es mir schien, das Runische sei eine Erfindung der Gelehrten, um die ungelehrten Leute zu hintergehen, so war es mir nicht unlieb, dass mein Onkel nichts davon verstand. Das nahm ich wenigstens aus seinen Fingerbewegungen ab.

      »Es ist doch Alt-Isländisch«, brummte er in seinen Bart. Und der Professor Lidenbrock musste das wohl verstehen, denn er galt für ein Wunder von einem Sprachenkenner. Die 2.000 Sprachen und 4.000 Dialekte, die man auf der Erde kennt, verstand er nicht nur geläufig, sondern sprach davon auch einen guten Teil. Um dieser Schwierigkeit willen war er im Begriff, sich allen Stürmen seines heftigen Gefühls hinzugeben, als es auf der kleinen Uhr des Kamins zwei schlug und die gute Martha die Tür mit den Worten öffnete:

      »Die Suppe ist aufgetragen.«

      »Zum Henker mit der Suppe«, schrie mein Onkel, »samt der Köchin und wer sie verzehrt!« Martha entfloh, ich eilte ihr nach und befand mich, ohne zu wissen wie, an meinem gewohnten Platz im Speisezimmer. Ich wartete eine Weile. Der Professor kam nicht. Zum ersten Mal, solange ich denken kann, erschien er nicht zum Mittagessen. Und doch, welch hervorragendes Essen! Petersiliensuppe, Eierkuchen mit Schinken in Sauerampfersauce, Kalbsnierenbraten mit Pflaumenkompott und zum Dessert Meerkrebschen mit Zucker und dazu ein hübscher Moselwein. Das alles versäumte mein Onkel über dem alten Papier.

      Wahrhaftig, als ergebener Neffe glaubte ich mich dazu verpflichtet, für uns beide essen zu müssen. Und ich tat es gewissenhaft.

      »Das habe ich noch nie erlebt«, sagte die gute Martha. »Herr Lidenbrock nicht bei Tische!«

      »Unglaublich.«

      »Das hat etwas Schlimmes zu bedeuten!«, fuhr die Alte mit Kopfschütteln fort.

      Meines Erachtens bedeutete es nichts anderes, als eine fürchterliche Szene, wenn mein Onkel sein Essen aufgezehrt finden würde.


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