Von der Erde zum Mond. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
Dann hätte sich vor den Augen des Beobachters eine andere Erscheinung abgebildet. Er hätte sehen können, wie sich um den Äquator herum die Elementarteile voneinander lösten, so wie der Stein einer Schleuder, deren Schnur plötzlich zerreißt, und um die Sonne herum mehrere konzentrische Ringe gleich denen des Saturn bildeten, wie alsdann diese aus dem Urstoff bestehenden Ringe für sich in eine Rundbewegung um die Zentralmasse fortgerissen zerbrachen und sich in Nebelgestirne untergeordneter Art, d. h. in Planeten, auflösten.
Hätte der Beobachter hierauf seine gesammelte Achtsamkeit auf die Planeten gerichtet, so hätte er gewahrt, dass dieselben sich gerade wie die Sonne verhielten und einem oder mehreren kosmischen Ringen den Ursprung gaben, woraus jene Gestirne niederen Ranges entstanden, welche man Trabanten nennt.
So bekommt man denn, aufsteigend vom Atom zum Elementarteilchen, von diesem zu Nebelfeldern und weiter zum Nebelgestirn und zum Hauptstern, von diesem zur Sonne, zu dem Planeten und seinen Trabanten einen Begriff von der ganzen Reihe der Umbildungen, welche die Himmelskörper seit dem Ursprung der Welt erfuhren.
Die Sonne scheint sich in der Unendlichkeit des Weltraums zu verlieren, und dennoch gehört sie, der gegenwärtigen wissenschaftlichen Theorie nach, zu den Nebelfeldern der Milchstraße. So klein sie auch inmitten der ätherischen Räume erscheinen mag, so ist sie doch das Zentrum eines Planetensystems und von enormer Größe, denn sie ist 14.000 Mal größer als die Erde. Um sie herum kreisen acht Planeten, welche zur ersten Schöpfungszeit aus ihr selbst hervorgegangen sind. Diese sind, vom nächsten zum entferntesten weitergehend: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Außerdem kreisen zwischen Mars und Jupiter regelmäßig noch andere, weniger große Himmelskörper, vielleicht Trümmer eines in mehrere tausend Stücke zerbrochenen Gestirns, von welchen mit dem Teleskop bis jetzt 97 entdeckt wurden.[12]
Von diesen abhängigen Körpern, welche die Sonne nach dem Gesetz der Gravitation in ihrer elliptischen Bahn beherrscht, besitzen einige ihre eigenen Trabanten. Uranus hat deren acht, Saturn acht, Jupiter vier, Neptun vielleicht drei, die Erde einen. Diesen, der einer der unbedeutendsten der Sonnenwelt ist, nennen wir Mond: Derselbe, den das kühne Genie der Amerikaner zu erobern trachtete.
Das Nachtgestirn hat durch seine verhältnismäßige Nähe und das sich rasch verändernde Aussehen während seiner Phasen von allem Anfang an zugleich mit der Sonne die Aufmerksamkeit der Erdbewohner auf sich gezogen, aber die Sonne ermüdet beim Anblick, und der blendende Glanz ihres Lichtes nötigt ihre Beschauer dazu, die Augen abzuwenden.
Die blonde Phöbe dagegen ist menschenfreundlicher, lässt sich gefällig in ihrer bescheidenen Anmut betrachten. Sanft anzuschauen, wenig ehrgeizig, erlaubt sie sich doch zuweilen, ihren Bruder, den strahlenden Apollo, in den Schatten zu stellen, ohne je von ihm verdunkelt zu werden. Die Mohammedaner haben in dankbarer Erkenntlichkeit gegen diese treue Freundin der Erde, ihre Monate nach ihrem Umlauf geregelt[13].
Die Urvölker widmeten dieser keuschen Göttin einen besonderen Gottesdienst. Die Ägypter nannten sie Isis, die Phönizier Astarte, die Griechen verehrten sie unter dem Namen Phöbe, Tochter der Latona und Jupiters, und erklärten ihre Verfinsterungen durch die geheimnisvollen Besuche der Diana beim schönen Endymion. Der mythologischen Legende nach durchstreifte der Nemeische Löwe, bevor er auf der Erde erschien, die Gefilde Lunas, und der Dichter Agesianax verherrlichte in Versen die süßen Augen, die reizende Nase und den freundlichen Mund, welche die bestrahlten Teile der anbetungswürdigen Selene erkennen lassen.
Aber begriffen auch die Alten den Charakter, das Temperament, kurz, die moralischen Eigenschaften Lunas vom mythologischen Standpunkt aus, so waren doch selbst die Gelehrtesten derselben in der Selenographie sehr unwissend.
Einige Astronomen der frühesten Zeiten entdeckten auch manche Eigenschaften, die in heutigen Zeiten von der Wissenschaft bestätigt werden konnten. Behaupteten die Arkadier schon zu einer Zeit, da der Mond noch nicht existierte, auf der Erde gewohnt zu haben. Hielt Simplicius ihn für unbeweglich am kristallenen Himmelsgewölbe befestigt. Sah Tatius ihn als ein von der Sonnenscheibe abgetrenntes Fragment an. Nahm des Aristoteles Schüler Klearch ihn als einen polierten Spiegel, auf welchem sich die Gebilde des Ozeans abstrahlten. Sahen andere in demselben nur eine Anhäufung von Ausdünstungen der Erde oder eine Kugel, die halb aus Feuer, halb aus Eis bestand und sich um sich selbst drehte, so gab es doch einige Gelehrte, die trotz des Fehlens an optischen Instrumenten durch scharfsinnige Beobachtung die meisten Gesetze errieten, welchen das Nachtgestirn unterworfen ist.
Thaies aus Milet äußerte 460 vor Christus die Meinung, der Mond sei von der Sonne beleuchtet. Aristarch von Samos fand die richtige Erklärung für seine Phasen. Kleomenes lehrte, der Mond strahle entliehenes Licht wider. Der Chaldäer Berosus machte die Entdeckung, dass die Dauer seiner Rotation mit dem seines Umlaufs übereinstimmt, und erklärte daraus die Tatsache, dass der Mond stets dieselbe Seite zeigt. Zwei Jahrhunderte vor dem Beginn der christlichen Zeitrechnung erkannte Hipparch schließlich einige Ungleichheiten in den scheinbaren Bewegungen des Erdtrabanten. Diese Beobachtungen bestätigten sich in der Folge und wurden den neuen Astronomen nützlich. Im zweiten Jahrhundert vervollständigte Ptolemäus, im zehnten Jahrhundert der Araber Abul-Wefa die Beobachtungen des Hipparch über die Ungleichheiten, denen der Mond beim Folgen der wellenförmigen Linie seiner Bahn unter Einwirkung der Sonne ausgesetzt ist. Später haben im 15. Jahrhundert Kopernikus und im 16. Jahrhundert Tycho Brahe das Planetensystem und die Funktion, die der Mond unter den Himmelskörpern innehat, ausführlich beschrieben. Zu dieser Zeit wurden seine Bewegungen fast vollständig bestimmt, doch wusste man von seiner physischen Beschaffenheit wenig. Damals erklärte Galilei die in gewissen Phasen eintretenden Lichterscheinungen mit der Existenz von Bergen, welchen er eine durchschnittliche Höhe von 4.500 Toisen[14] beimaß.
Später setzte Helvetius, ein Astronom aus Danzig, die höchsten Angaben auf 2.600 Toisen (15.600 par. Fuß) herab, aber sein Genosse Riccioli kam wieder auf 7.000 Toisen. Am Ende des 18. Jahrhunderts beschränkte Herschel, der mit dem stärksten Teleskop ausgerüstet war, diese Maße bedeutend, indem er für die höchsten Berge 1.900 Toisen und als durchschnittliche Höhe nur 400 Toisen (2.400 par. Fuß) ansetzte. Aber auch Herschel irrte noch, und es bedurfte der Beobachtungen von Schröter, Louville, Halley, Nasmyth, Bianchini, Pastorf, Lohrmann, Gruithuysen und besonders der ausdauernden Studien von Beer und Mädler, um die Frage entscheidend zu lösen. Ihnen verdankt man es, dass man die Höhe der Mondberge jetzt genau kennt. Die letzteren beiden haben 1.905 Berghöhen gemessen, von denen sechs 2.600 Toisen überragen und 22 über 2.400. Ihr höchster Gipfel reicht bis an 3.801 Toisen über der Mondfläche.
Zur selben Zeit wurden die Erkenntnisse über die Beschaffenheit des Mondes vermehrt. Er zeigte sich voller Krater, und seine im Wesentlichen vulkanische Natur ward durch jede Beobachtung bestätigt. Aufgrund fehlender Brechung der Lichtstrahlen bei den von ihm verdeckten Planeten schloss man, dass ihm eine Atmosphäre fast gänzlich fehle. Aus dem Mangel an Luft leitete man das Fehlen von Wasser ab. Daraus ergab sich deutlich, dass die Seleniten, um zu leben, besonders organisiert und von den Bewohnern der Erde sehr verschieden sein müssten.
Schließlich wurde mit Hilfe der durch neue Methoden vervollkommneten Instrumente der Mond unablässig untersucht und kein Punkt seiner Oberfläche blieb unerforscht: Immerhin beträgt sein Durchmesser 2.500 Meilen, seine Oberfläche entspricht dem dreizehnten Teil der Erdoberfläche und sein Umfang dem neunundvierzigsten Teil der Erdkugel. Aber dem Auge der Astronomen blieb keines seiner Geheimnisse verborgen. Und die geübten Gelehrten kamen mit ihren bedeutenden Beobachtungen noch viel weiter.
So bemerkten sie, dass zur Zeit des Vollmonds die Scheibe an manchen Stellen von weißen Linien durchfurcht schien, zur Zeit der einzelnen Mondphasen mit schwarzen. Durch genauere Studien gelang es ihnen, sich über das Wesen dieser Linien näheren Aufschluss zu verschaffen. Es waren lange, enge Furchen, tief zwischen parallelen Rändern, welche meist in die Umkreise von Kratern ausliefen, von 800 Toisen (4.800 Fuß) Breite und zehn bis hundert Meilen Länge. Die Astronomen nannten sie Furchen, das war aber auch alles, denn ob es ausgetrocknete Bette vormaliger Flüsse seien, konnten sie nicht mit Bestimmtheit sagen. Daher hofften auch die Amerikaner, diese geologischen Unklarheiten früher oder später zu enträtseln. Auch behielten sie sich vor, jene Reihe von parallelen Wällen zu durchforschen, welche der gelehrte Professor Gruithuysen aus München, der