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Das Karpatenschloss. Jules VerneЧитать онлайн книгу.

Das Karpatenschloss - Jules Verne


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      Inzwischen traten auch noch Miriota und der Forstwächter Nic Deck, die eben nach Hause gekommen waren, an die beiden Männer heran.

      »Wozu dient das? Fragte der junge Mann.

      »Weit in die Ferne zu sehen,« antwortete der Schäfer.

      »Ihr scherzt wohl, Frik?

      – Das kommt mir jetzt ebenso wenig in den Sinn, Forstwächter, als vor kaum einer Stunde, wo ich durch dieses Wunderding erkennen konnte, dass Ihr die Landstraße von Werst herabkamt, Ihr und auch ...«

      Er vollendete den Satz nicht. Über Miriotas Wangen war eine tiefe Röte geflogen und das Mädchen schlug die hübschen Augen nieder. Und eigentlich ist es doch gar nicht verboten, dass ein ehrbares Mädchen ihrem Verlobten entgegengeht.

      Sie und er, der Eine nach der Andern, ergriffen nun das Fernrohr und richteten es nach der Burg.

      Jetzt hatten sich auch noch ein halbes Dutzend Nachbarn auf der Terrasse eingefunden und versuchten, nach dem sie von seinen Eigenschaften erfahren hatten, Einer nach dem Andern das merkwürdige Instrument.

      »Ein Rauch! Ein Rauch über der Burg!« rief der Eine.

      »Vielleicht hat der Blitz in den Wartturm eingeschlagen,« bemerkte ein Anderer.

      »Hat es denn etwa gedonnert?« wandte sich Meister Koltz an Frik.

      »Seit acht Tagen keinen Laut!« versicherte der Schäfer.

      Die biederen Landleute wären wahrlich auch nicht verblüffter gewesen, wenn man ihnen gesagt hätte, dass sich auf dem Gipfel des Retyezat ein Krater geöffnet habe, um die unterirdischen Dünste austreten zu lassen.

      DRITTES KAPITEL

      D

      ie Dorfschaft Werst ist so unbedeutend, dass die meisten Landkarten ihre Lage gar nicht angeben. Bezüglich der Verwaltungsangelegenheiten steht sie sogar noch unter ihrem Nachbarorte Vulkan, so genannt nach dem Teile des Gebirgsstockes von Plesa, auf dem beide Gemeinden malerisch angeheftet sind.

      Heutigen Tages hat die Ausbeutung der hiesigen Mineralienlagerstätten den Flecken Petroseny, Livadzel und anderen, die in der Entfernung weniger Meilen im Umkreise liegen, ein nicht zu unterschätzendes geschäftliches Leben zugeführt. Weder Vulkan noch Werst haben aber von der Nähe des großen industriellen Zentrums irgendwelchen Nutzen gezogen; was diese Dörfer vor fünfzig Jahren waren, das werden sie nach einem halben Jahrhundert gewiss auch noch sein, so wie sie es heute sind, und nach Elisée Reclus besteht die reichliche Hälfte der Bewohnerschaft von Vulkan nur »aus Beamten zur Überwachung der Grenze, aus Zöllnern, Gendarmen, Steuereinnehmern und Krankenwärtern der Quarantäneanlagen«. Rechnet man die Gendarmen und Steuereinnehmer ab und eine geringe Anzahl Landbauern hinzu, so hat man die Bevölkerung von Werst – im Ganzen vier- bis fünfhundert Köpfe.

      Das Dorf besteht aus einer einzigen Straße, einer breiten Straße, deren bergiger Charakter das Fortkommen auf derselben nach auf- wie nach abwärts recht unangenehm erschwert.

      Sie dient als natürlicher Verbindungsweg zwischen der walachischen Grenze und dem inneren Siebenbürgen. Über sie ziehen die Herden von Rindern, Schafen und Schweinen, die Händler mit frischem Fleisch, mit Baum- und Feldfrüchten, sowie die wenigen Reisenden, die den Bergpass wählen, statt sich der Bahnlinie von Kolosvar und des Tales des Maros zu bedienen.

      Die Natur hat den Kessel zwischen den Bergen von Bihar, dem Retyezat und dem Paring wirklich verschwenderisch bedacht. Reich schon durch die Fruchtbarkeit des Erdbodens, ist er es noch mehr durch die Schätze, die unter ihm lagern, wie die Steinsalzlager bei Thorda, mit einer jährlichen Ausbeute von über zwanzig Millionen Tonnen; der sieben Kilometer im Umfange messende Berg Parajd, der durch und durch aus Chlornatrium besteht; die Erzgruben von Torotzko, die viel Blei, Bleiglanz, Quecksilber, vorzüglich aber Eisen liefern und deren Schächte und Stollen schon seit dem zehnten Jahrhundert abgebaut werden; das Bergwerk von Vayda Hunyad, aus dessen Erzen ein vorzüglicher Stahl hergestellt wird; ferner Steinkohlengruben, die in diesem einstigen Seegebiete schon in den obersten Schichten schöne Kohle enthalten und deshalb leicht zu bearbeiten sind (hierzu gehören die Gruben in den Bezirken Hatszeg, Livadzel und Petroseny, zusammen eine ungeheure Ablagerung, deren Inhalt auf zweihundert Millionen Tonnen abgeschätzt ist); endlich die Goldfundstätten beim Schlosse Offenbanya bei Topansalga, jenes Gebiet der Goldwäscher, wo unzählige, sehr einfach konstruierte Mühlen den kostbaren Sand von Verés-Patak auswaschen und jährlich für eine Million Gulden des edlen Metalls ausführen.

      Nach dem Vorstehenden scheint hier also ein von der Natur recht begünstigtes Land zu sein, und doch hat dieser Reichtum zum weiteren Gedeihen der Bewohner nicht im mindesten beigetragen. Wenn auch die wichtigeren Ortschaften, Toretzko, Petroseny und etwa Lonyi, einige Fortschritte, wie sie die ausgebildete Industrie mit sich bringt, aufweisen, wenn diese Flecken regelmäßige, nach Winkelmaß und Schnur errichtete Gebäude besitzen, und neben diesen Schuppen, Magazine, wirkliche Arbeiterviertel, wenn man in denselben vereinzelte Wohnungen findet, die mit Balkons und Veranden geschmückt sind, so darf man etwas Ähnliches doch weder im Dorfe Vulkan, noch in Werst suchen wollen.

      Der einzigen Straße sind hier wohlgezählte sechzig Häuser oder Häuschen angereiht, alle mit seltsamen Dächern, deren Sparrenwerk über die Lehmwand hinausragt, die eigentliche Fassade nach dem Garten zu gerichtet; als Stockwerke haben sie Kornböden mit Luken, daneben angebaute Scheuern, die halb zerfallen erscheinen und mit Stroh abgedeckt sind; da und dort zeigt sich ein Ziehbrunnen mit langem Schaukelbalken, an dessen einem Ende der Schöpfeimer hängt, endlich einige Wassertümpel, die bei jedem Gewittersturme »entfliehen« (soll heißen, deren Wasser durch den starken Wind hinausgetrieben wird), nebst den veränderlichen kleinen »Bächen« in den Wagen-Karrenspuren – das ist das Bild der zu beiden Seiten der Straße zwischen den schrägen Bergabhängen erbauten Dorfschaft Werst. Dennoch sieht das Ganze frisch und anziehend aus; da gibt es Blumen an den Fenstern und Türen; grünende Vorhänge bekleiden die Wände, wirr durcheinander wachsende Grashalme, die sich mit dem alten Stroh der Dächer vermischen; Pappeln, Ulmen, Buchen, Tannen, Ahornbäume, die über die Häuser emporragen, »so weit ihnen das möglich ist«. Über dem Allen erheben sich die Stufen der Mittelschichten der Bergkette und ganz im Hintergrunde die Gipfel von Einzelbergen, die im blauen Schimmer der Ferne mit dem Azur des Himmels verschwimmen.

      In Werst spricht man, ebenso wie in diesem ganzen Teile Transsilvaniens, weder deutsch noch ungarisch, sondern rumänisch, selbst in den wenigen Zigeunerfamilien, die in den verschiedenen Dörfern des Comitats weniger umherziehen, als sesshaft sind. Diese Fremdlinge nehmen die Sprache des Landes und wohl auch dessen herrschende Religion an. Die von Werst bilden eine Art kleinen Clan unter der Aufsicht eines Woiwoden, mit ihren Hütten, ihren »Barakas« mit spitzem Dache, ihrer Legion von Kindern: sie unterscheiden sich aber durch ihre Sitten und die Regelmäßigkeit ihrer Lebensführung vorteilhaft von denjenigen ihrer Stammesgenossen, die durch ganz Europa ein unstetes Wanderleben führen. Sie huldigen sogar dem griechischen Ritus, indem sie sich unschwer dem Glaubensbekenntnisse der Christen angliedern, in deren Mitte sie leben. Werst besitzt nämlich als geistlichen Herrn einen Popen, der aber in Vulkan wohnt und dem die Seelsorge in den beiden, nur eine Wegstunde von einander liegenden Dörfern anvertraut ist.

      Die Zivilisation gleicht der Luft oder dem Wasser. Wo sich nur ein Durchgang bietet, und wär‘s nur eine Spalte, ein Riss, der ihr offen steht, da dringt sie hindurch und drückt ihren Stempel auf alle Verhältnisse des Landes und Lebens.

      Leider muss man aber zugestehen, dass sich in diesem südlichen Teile der Karpaten noch keine solche Spalte aufgetan hat. Da Elisée Reclus von Vulkan noch sagen konnte, »dass es der äußerste Posten der Zivilisation im Tale der walachischen Sil sei«, so ist es gar nicht zu verwundern, in Werst eines der am meisten zurückgebliebenen Dörfer des Comitats von Kolosvar zu finden. Wie könnte es auch anders sein in diesen Ortschaften, wo Jeder geboren wird, aufwächst und wieder stirbt, ohne sie jemals verlassen zu haben!

      Und doch, wird der Leser hier einwenden, gab es einen Schulmeister und einen Ortsrichter in Werst? – Jawohl. Der Magister Hermod war aber nur im Stande zu lehren, was er selbst


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