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Aphorismen zur Lebensweisheit. Arthur SchopenhauerЧитать онлайн книгу.

Aphorismen zur Lebensweisheit - Arthur Schopenhauer


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will ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß man zur Entschuldigung des Kartenspiels allenfalls anführen könnte, es sei eine Vorübung zum Welt- und Geschäftsleben, sofern man dadurch lernt, die vom Zufall unabänderlich gegebenen Umstände (Karten) klug zu benutzen, um daraus was immer angeht zu machen, zu welchem Zwecke man sich denn auch gewöhnt, Contenance zu halten, indem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt. – Weil also, wie gesagt, die FREIE MUSSE die Blüthe, oder vielmehr die Frucht des Daseyns eines Jeden ist, indem nur sie ihn in den Besitz seines eigenen Selbst einsetzt, so sind Die glücklich zu preisen, welche dann auch etwas Rechtes an sich selber erhalten; während den Allermeisten die freie Muße nichts abwirft, als einen Kerl, mit dem nichts anzufangen ist, der sich schrecklich langweilt, sich selber zur Last. Demnach freuen wir uns, »ihr lieben Brüder, daß wir nicht sind der Magd Kinder, sondern der Freien.« (Gal. 4, 31.)

      Ferner, wie das Land am glücklichsten ist, welches weniger, oder keiner, Einfuhr bedarf; so auch der Mensch, der an seinem innern Reichthum genug hat und zu seiner Unterhaltung wenig, oder nichts, von außen nöthig hat; da dergleichen Zufuhr viel kostet, abhängig macht, Gefahr bringt, Verdruß verursacht und am Ende doch nur ein schlechter Ersatz ist für die Erzeugnisse des eigenen Bodens. Denn von Andern, von außen überhaupt, darf man in keiner Hinsicht viel erwarten. Was Einer dem Andern seyn kann, hat seine sehr engen Gränzen: am Ende bleibt doch jeder allein, und da kommt es darauf an, WER jetzt allein sei. Auch hier gilt demnach, was Göthe (Dicht. u. Wahrh. Bd. 3. S. 474.) im Allgemeinen ausgesprochen hat, daß, in allen Dingen, jeder zuletzt auf sich selbst zurückgewiesen wird. Das Beste und Meiste muß daher Jeder sich selber seyn und leisten. Je mehr nun Dieses ist, und je mehr demzufolge er die Quellen seiner Genüsse in sich selbst findet, desto glücklicher wird er seyn. Mit größtem Rechte also sagt Aristoteles: η ϵυδαιμονια των αυταρϰων ϵστι (Eth. Eud. VII, 2.), zu deutsch: das Glück gehört Denen, die sich selber genügen. Denn alle äußern Quellen des Glückes und Genusses sind, ihrer Natur nach, höchst unsicher, mißlich, vergänglich und dem Zufall unterworfen, dürften daher, selbst unter den günstigsten Umständen, leicht stocken; ja, Dieses ist unvermeidlich, sofern sie doch nicht stets zur Hand seyn können. Im Alter nun gar ver siegen sie fast alle nothwendig: denn da verläßt uns Liebe, Scherz, Reiselust, Pferdelust und Tauglichkeit für die Gesellschaft: sogar die Freunde und Verwandten entführt uns der Tod. Da kommt es denn, mehr als je, darauf an, was Einer an sich selber habe. Denn Dieses wird am längsten Stich halten. Aber auch in jedem Alter ist und bleibt es die ächte und allein ausdauernde Quelle des Glücks. Ist doch in der Welt überall nicht viel zu holen: Noth und Schmerz erfüllen sie, und auf Die, welche diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile. Zudem hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und die Thorheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die Menschen sind erbärmlich. In einer so beschaffenen Welt gleicht Der, welcher viel an sich selber hat, der hellen, warmen, lustigen Weihnachtsstube, mitten im Schnee und Eise der Decembernacht. Demnach ist eine vorzügliche, eine reiche Individualität und besonders sehr viel Geist zu haben ohne Zweifel das glücklichste Loos auf Erden; so verschieden es etwan auch von dem glänzendesten ausgefallen seyn mag. Nur müssen die äußern Umstände es soweit begünstigen, daß man auch sich selbst besitzen und seiner froh werden könne; weshalb schon Koheleth (7, 12.) sagt: »Weisheit ist gut mit einem Erbgut, und hilft, daß Einer sich der Sonne freuen kann.« Wem nun, durch Gunst der Natur und des Schicksals, dieses Loos beschieden ist, der wird mit ängstlicher Sorgfalt darüber wachen, daß die innere Quelle seines Glückes ihm zugänglich bleibe; wozu Unabhängigkeit und Muße die Bedingungen sind. Diese wird er daher gern durch Mäßigkeit und Sparsamkeit erkaufen; um so mehr, als er nicht, gleich den Andern, auf die äußern Quellen der Genüsse verwiesen ist. Darum wird die Aussicht auf Aemter, Geld, Gunst und Beifall der Welt, ihn nicht verleiten, sich selber aufzugeben, um den niedrigen Absichten, oder dem schlechten Geschmacke, der Menschen sich zu fügen. Vorkommenden Falls wird er es machen wie HORAZ in der Epistel an den Mäcenas (Lib. I, ep . 7.).

      Die hier erörterte Wahrheit, daß die Hauptquelle des menschlichen Glückes im eigenen Innern entspringt, findet ihre Bestätigung auch an der sehr richtigen Bemerkung des ARISTOTELES, in der Nikomachäischen Ethik (I, 7; et VII, 13, 14), daß jeglicher Genuß irgend eine Aktivität, also die Anwendung irgend einer Kraft voraussetzt und ohne solche nicht bestehn kann. Nun ist die ursprüngliche Bestimmung der Kräfte, mit welchen die Natur den Menschen ausgerüstet hat, der Kampf gegen die Noth, die ihn von allen Seiten bedrängt. Wenn aber dieser Kampf ein Mal rastet, da werden ihm die unbeschäftigten Kräfte zur Last: er muß daher jetzt mit ihnen SPIELEN, d. h. sie zwecklos ge brauchen: denn sonst fällt er der andern Quelle des menschlichen Leidens, der Langenweile, sogleich anheim. Von dieser sind daher vor Allen die Großen und Reichen gemartert, und hat von ihrem Elend schon Lukretius eine Schilderung gegeben, deren Treffendes zu erkennen man noch heute, in jeder großen Stadt, täglich Gelegenheit findet:

       Exit saepe foras magnis ex aedibus ille, Esse domi quem penaesum est, subitoque reventat; Quippe foris nihilo melius qui sentiat esse. Currit, agens mannos, ad villam praecipitanter, Auxilium tectis quasi ferre ardentibus instans: Oscitat extemplo, tetigit quum limina viliae; Aut abit in somnum gravis, atque oblivia quaerit; Aut etiam properans urbem petit, atque revisit.

      III, 1073.

      Bei diesen Herren muß in der Jugend die Muskelkraft und die Zeugungskraft herhalten. Aber späterhin bleiben nur die Geisteskräfte: fehlt es dann an diesen, oder an ihrer Ausbildung und dem angesammelten Stoffe zu ihrer Thätigkeit; so ist der Jammer groß. Weil nun der WILLE die einzige unerschöpfliche Kraft ist; so wird er jetzt angereizt durch Erregung der Leidenschaften, z. B. durch hohe Hasardspiele, dieses wahrhaft degradirende Laster. – Ueberhaupt aber wird jedes unbeschäftigte Individuum, je nach der Art der in ihm verwaltenden Kräfte, sich ein Spiel zu ihrer Beschäftigung wählen: etwan Kegel, oder Schach; Jagd, oder Malerei; Wettrennen, oder Musik; Kartenspiel, oder Poesie; Heraldik, oder Philosophie, u.s.w. Wir können sogar die Sache methodisch untersuchen, indem wir auf die Wurzel aller menschlichen Kraftäußerungen zurückgehn, also auf die DREI PHYSIOLOGISCHEN GRUNDKRÄFTE, welche wir demnach hier in ihrem zwecklosen Spiele zu betrachten haben, in welchem sie als die Quellen dreier Arten möglicher Genüsse auftreten, aus denen jeder Mensch, je nachdem die eine, oder die andere jener Kräfte in ihm vorwaltet, die ihm angemessene erwählen wird. Also zuerst, die Genüsse der REPRODUKTIONSKRAFT: sie bestehn im Essen, Trinken, Verdauen, Ruhen und Schlafen. Diese werden daher sogar ganzen Völkern als ihre Nationalvergnügungen von den andern nachgerühmt. Zweitens die Genüsse der IRRITABILITÄT: sie bestehn im Wandern, Springen, Ringen, Tanzen, Fechten, Reiten und athletischen Spielen jeder Art, wie auch in der Jagd und sogar im Kampf und Krieg. Drittens, die Genüsse der SENSIBILITÄT: sie bestehn im Beschauen, Denken, Empfinden, Dichten, Bilden, Musici ren, Lernen, Lesen, Meditiren, Erfinden, Philosophiren u. s.w. – Ueber den Werth, den Grad, die Dauer jeder dieser Arten der Genüsse lassen sich mancherlei Betrachtungen anstellen, die dem Leser selbst überlassen bleiben. Jedem aber wird dabei einleuchten, daß unser, allemal durch den Gebrauch der eigenen Kräfte bedingter Genuß und mithin unser, in dessen häufiger Wiederkehr bestehendes Glück, um so größer seyn wird, je edlerer Art die ihn bedingende Kraft ist. Den Vorrang, welchen, in dieser Hinsicht, die Sensibilität, deren entschiedenes Ueberwiegen das Auszeichnende des Menschen vor den übrigen Thiergeschlechtern ist, vor den beiden andern physiologischen Grundkräften hat, als welche in gleichem und sogar in höherem Grade den Thieren einwohnen, wird ebenfalls Niemand ableugnen. Der Sensibilität gehören unsere Erkenntnißkräfte an: daher befähigt das Ueberwiegen derselben zu den im ERKENNEN bestehenden, also den sogenannten GEISTIGEN Genüssen, und zwar zu um so größeren, je entschiedener jenes Ueberwiegen ist. Dem normalen, gewöhnlichen Menschen kann eine Sache allein dadurch lebhafte Theilnahme abgewinnen, daß sie seinen WILLEN anregt, also ein persönliches Interesse für ihn hat. Nun ist aber jede anhaltende Erregung des WILLENS wenigstens gemischter Art, also mit Schmerz verknüpft. Ein absichtliches Erregungsmittel desselben, und zwar mittelst so kleiner Interessen, daß sie nur momentane und leichte, nicht bleibende und ernstliche Schmerzen verursachen können, sonach als ein bloßes Kitzeln des Willens zu betrachten sind, ist das Kartenspiel, diese durchgängige Beschäftigung der »guten Gesellschaft«,


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