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Das Gemeindekind. Marie von Ebner-EschenbachЧитать онлайн книгу.

Das Gemeindekind - Marie von Ebner-Eschenbach


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er sich durch einen raschen Blick überzeugte, der schmächtige rundrückige Gärtner und zwei alte Arbeiter. »Greif aus, elendes Krüppelvolk!« höhnte Pavel und schoss vorwärts im leichten wegverschlingenden Lauf.

      Er hatte einen guten Vorsprung vor seinen Verfolgern, und als er zu rennen begann, wurde ein noch viel besserer daraus. An dem Aufsehen, das er erregte, lag ihm jetzt nichts mehr, sondern nur daran, seinen Raub in Sicherheit zu bringen. Glühend, mit funkelnden Augen stürmte er in die Hütte. Vinska stand allein im Flur und errötete vor Freude, als Pavel ihr die Federn hinreichte. Bei seinen hastig hervorgestoßenen Worten: »Versteck sie! versteck dich!« erschrak sie jedoch sehr und fragte: »Was gibt’s mit ihnen? Ich mag sie gleich nicht, wenn’s was mit ihnen gibt.« Er drang ihr das gestohlene Gut auf, schob sie in die Stube und trat selbst zum Eingang der Hütte zurück, wo er sich an den Türpfosten lehnte, die Arme kreuzte und trotzigen Mutes die Häscher erwartete.

      Der Anführer derselben war so aufgeregt, dass er nur abgebrochen seine Befehle erteilen konnte: »Packt ihn! Packt den Hund! Ins Schloss mit ihm!« rief er seinen Begleitern zu, zweien presshaften und friedfertigen Menschen, die einander ansahen und dann ihn und dann wieder einander. – Packen? war das ihre Sache? … Sie hielten sich für verdienstvolle Gärtnergehilfen, weil sie zum Rechen griffen und mit ihm auf den Wegen herumscharrten, sobald sie [59]die Schlossfrau erblickten. Den Rest des Tages lagen sie im Grase, tranken Schnaps und rauchten zuweilen; meistens jedoch schliefen sie.

      Dem Pavel wäre es nur ein Spiel und zugleich ein wahres Genügen gewesen, die Guardia anzurennen und zu Boden zu schlagen, aber um Vinskas willen und ihrer Angst vor einem Skandal verzichtete er auf diese Ergötzlichkeit und ließ sich ruhig beim Kragen nehmen, was die beiden Alten zaghaft und ohne innere Überzeugung taten. Indessen wuchs ihnen der Kamm bei der Widerstandslosigkeit, mit der Pavel sich in sein Schicksal ergab, und ein großer Stolz erwachte in ihnen, als sie den wilden Buben, dem sie sonst von weitem auswichen, als Gefangenen durch das Dorf führten. Der Gärtner, der Zeter und Mordio schrie, bildete die Nachhut, und die Straßenjugend lief mit. »Was hat er getan?« fragten die Leute. Er soll etwas erwürgt haben … Was? weiß vorläufig niemand; aber das weiß man: Der kommt ins Zuchthaus wie die Mutter, der stirbt am Galgen wie der Vater. Fäuste erhoben sich drohend, Steine flogen und fehlten, aber Worte, schlimmer als Steine, trafen ihr Ziel. Pavel blickte keck umher, und das Bewusstsein unauslöschlichen Hasses gegen alle seine Nebenmenschen erquickte und stählte sein Herz.

      Gelassen trat er in den Schlosshof und wurde sogleich ins Haus und in ein ebenerdiges Zimmer mit vergitterten Fenstern gebracht, dessen Tür man hinter ihm absperrte.

      Es war eines der Gastzimmer, in dem Pavel sich befand, und seine Augen hatten, solange sie offenstanden, eine Pracht wie diejenige, die ihn hier umgab, nicht erblickt. Seidenzeug, grün schillernd wie Katzenaugen, hing an Fenstern und Türen in so reichen Falten, wie der neue [60]Sonntagsrock Vinskas sie warf, und mit demselben Stoff waren große und kleine Bänke, die Lehnen hatten, überzogen. An den Wänden befanden sich Bilder, das heißt eingerahmte dunkelbraune Flecken, aus denen an verschiedenen Stellen ein weißes Gesicht hervorschimmerte, eine fahle Totenhand zu winken schien … Ein großer Schrank war da, dem Altar in der Kirche sehr ähnlich, und am Fensterpfeiler ein Spiegel, in dem Pavel sich sehen konnte in seiner ganzen lebensgroßen Zerlumptheit. Als er hineinblickte und dachte: So bin ich? gewahrte er über seinem Kopf ein seltsames Ding. Ein flacher eiserner Kübel schien’s, aus dem goldene Arme herausragten und der mit einem äußerst dünnen Seilchen an der Decke befestigt war. Pavel sprang sogleich davon und betrachtete das böse Ding misstrauisch aus der Entfernung. Es schien keinen anderen Zweck und auch keine andere Absicht zu haben, als auf die Leute, die so unvorsichtig waren, in sein Bereich zu treten, niederzustürzen und sie zu erschlagen.

      Nach kurzer Zeit ließen Schritte auf dem Gange sich hören; die Tür wurde geöffnet, und die Baronin trat ein. Sie ging mühsam auf den Stock gestützt, war sehr gebeugt und blinzelte fortwährend. Fast auf den Fersen folgte ihr, tief bekümmert, die spärlichen Haare so zerzaust, als hätte er eben in ihnen gewühlt – der Schulmeister. Sein ungeschickt fahriges Benehmen fiel sogar dem schlechten Beobachter Pavel auf.

      »Wohin belieben Euer Gnaden sich zu setzen?« fragte der Alte, schoss dienstfertig umher und rückte die Sessel auseinander, um der Frau Baronin den Überblick und somit die Wahl zu erleichtern.

      »Lassen Sie’s gut sein, Schullehrer«, sagte sie ärgerlich, [61]nahm gerade unter dem Kronleuchter mit dem Rücken gegen die Fenster Platz, legte den Stock auf ihren Schoß und gab Pavel Befehl näher zu treten.

      Er gehorchte. Der Lehrer jedoch stellte sich hinter den Sessel der gnädigen Frau, und über ihren Kopf hinweg bedrohte er abwechselnd den Delinquenten mit Blicken des Ingrimms oder suchte ihn durch Mienen, welche die tiefste Wehmut ausdrückten, zu erschüttern und zu rühren.

      Die Baronin hielt die Hand wie einen Schirm an die Stirn und sprach, ihre rotgeränderten Augen zu Pavel erhebend: »Du bist groß geworden, ein großer Schlingel. Als ich dich zum letzten Mal gesehen habe, warst du noch ein kleiner. Wie alt bist du?«

      »Sechzehn Jahre«, erwiderte er zerstreut. Das eiserne Ding an der dünnen Schnur nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Im Geist sah er’s herunterfallen und die Frau Baronin auf ihrem Richterstuhl zu einem flachen Kuchen zusammenpressen.

      Diese nahm wieder das Wort: »Schau nicht in die Luft, schau mich an, wenn du mit mir redest … Sechzehn Jahre! … Vor drei Jahren hast du mir meine Kirschen gestohlen, heute erwürgst du mir meinen guten Pfau, der mir, das weiß Gott, lieber war als mancher Mensch.«

      Der Lehrer erhob seine flehend gefalteten Hände und gab dem Burschen ein Zeichen, diese Gebärde nachzuahmen. Pavel ließ sich aber nicht dazu herbei.

      »Warum hast du das getan?« fuhr die Baronin fort. »Antworte!«

      Pavel schwieg, und der alten Frau schoss das Blut ins Gesicht. Erregten Tones wiederholte sie ihre Frage.

      Der Junge schüttelte den Kopf; aus seinem dichten [62]Haargestrüpp hervor glitt sein Blick über die Zürnende, und ein leises Lächeln kräuselte seine Lippen.

      Da wurde die Greisin vom Zorn übermannt.

      »Frecher Bub!« rief sie, griff nach ihrem Stock und gab ihm damit einen Streich auf jede Schulter.

      Nun ja, dachte Pavel, wieder Prügel, immer Prügel … und er richtete einen stillen Stoßseufzer an das eiserne Ding: Wenn du doch herunterfallen, wenn du ihr doch auf den Kopf fallen möchtest!

      Habrecht machte hinter dem Rücken der Baronin ein Kompliment, in dem sich Anerkennung aussprach: »Euer Gnaden haben dem Holub Pavel eine spürbare Zurechtweisung gegeben«, bemerkte er. »Das war gut; eine sehr gute Vorbereitung zum Verhör, das ich jetzt mit Euer Gnaden Erlaubnis vornehmen will.«

      Der alten Frau war nach ihrer Gewalttat nicht wohl zumute. Sie hatte ihren Zorn auf einmal ausgegeben und lag nun im Bann eines viel unleidigeren Gefühls: einer grämlichen, sentimentalen Entrüstung. »Was ist da zu verhören?« sprach sie; »der schlimme Bub hat mir meinen Pfau erwürgt und will nicht sagen warum, weil er sonst sagen müsste: aus Bosheit.«

      »So ist es! O gewiss!« bestätigte der Lehrer. »Dem armen Pfau fehlten, als man ihn tot auffand, seine letzten Schwanzfedern, die hat der schlechte Bub ihm gewiss ausgerupft – aus Bosheit!«

      »Das ist nun wieder albern, Schulmeister!« fiel die Baronin ärgerlich ein. »Wenn der Junge – wie schon viele andere dumme Jungen vor ihm – meinem armen Pfau nur Federn ausgerupft hätte, wäre das noch kein Zeichen von Bosheit – Dummheit wäre es gewesen und Dieberei.«

      [63]»O wie wahr!« entgegnete Habrecht, »– Dummheit und Dieberei. So ist es und nicht anders, Euer Gnaden.«

      »Ist es so? Wer weiß es?«

      »Ganz recht, wer … außer – Euer Gnaden, die sogleich Licht in die Sache gebracht haben. Federn ausrupfen? Ei, ei, ei! Um Federn war’s dem Buben zu tun; dadurch hat er den Pfau gereizt und einen Kampf hervorgerufen, in dem das gute Tier gefallen ist.«

      Wie der Rabe Odins an dessen Ohr neigte sich Habrecht an das Ohr der Baronin und


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