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Maximen und Reflexionen. Johann Wolfgang GoetheЧитать онлайн книгу.

Maximen und Reflexionen - Johann Wolfgang Goethe


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auf die Möglichkeit eines Auswegs zu suchen.

      145. Die Hindus der Wüste geloben, keine Fische zu essen.

      146. Ein unzulängliches Wahre wirkt eine Zeitlang fort, statt völliger Aufklärung aber tritt auf einmal ein blendendes Falsche herein; das genügt der Welt, und so sind Jahrhunderte bethört.

      147. In den Wissenschaften ist es höchst verdienstlich, das unzulängliche Wahre, was die Alten schon besessen, aufzusuchen und weiter zu führen.

      148. Es ist mit Meinungen, die man wagt, wie mit Steinen, die man voran im Brette bewegt: sie können [24]geschlagen werden, aber sie haben ein Spiel eingeleitet, das gewonnen wird.

      149. Es ist so gewiß als wunderbar, daß Wahrheit und Irrthum aus Einer Quelle entstehen; deßwegen man oft dem Irrthum nicht schaden darf, weil man zugleich der Wahrheit schadet.

      150. Die Wahrheit gehört dem Menschen, der Irrthum der Zeit an. Deßwegen sagte man von einem außerordentlichen Manne: »Le malheur des temps a causé son erreur, mais la force de son âme l’en a fait sortir avec gloire«.

      151. Jedermann hat seine Eigenheiten und kann sie nicht los werden; und doch geht mancher an seinen Eigenheiten, oft an den unschuldigsten, zu Grunde.

      152. Wer sich nicht zu viel dünkt, ist viel mehr, als er glaubt.

      153. In Kunst und Wissenschaft so wie im Thun und Handeln kommt alles darauf an, daß die Objecte rein aufgefaßt und ihrer Natur gemäß behandelt werden.

      154. Wenn verständige sinnige Personen im Alter die Wissenschaft gering schätzen, so kommt es nur daher, daß sie von ihr und von sich zu viel gefordert haben.

      155. Ich bedauere die Menschen, welche von der Vergänglichkeit der Dinge viel Wesens machen und sich in Betrachtung irdischer Nichtigkeit verlieren. Sind wir ja eben deßhalb da, um das Vergängliche unvergänglich zu machen; das kann ja nur dadurch geschehen, wenn man beides zu schätzen weiß.

      156. Ein Phänomen, Ein Versuch kann nichts beweisen, es ist das Glied einer großen Kette, das erst im Zusammenhange gilt. Wer eine Perlenschnur verdecken und nur die schönste einzelne vorzeigen wollte, verlangend, wir sollten [25]ihm glauben, die übrigen seien alle so: schwerlich würde sich jemand auf den Handel einlassen.

      157. Abbildungen, Wortbeschreibung, Maß, Zahl und Zeichen stellen noch immer kein Phänomen dar. Darum bloß konnte sich die Newtonische Lehre so lange halten, daß der Irrthum in dem Quartbande der lateinischen Übersetzung für ein paar Jahrhunderte einbalsamirt war.

      158. Man muß sein Glaubensbekenntniß von Zeit zu Zeit wiederholen, aussprechen, was man billigt, was man verdammt; der Gegentheil läßt’s ja auch nicht daran fehlen.

      159. In der jetzigen Zeit soll niemand schweigen oder nachgeben; man muß reden und sich rühren, nicht um zu überwinden, sondern sich auf seinem Posten zu erhalten; ob bei der Majorität oder Minorität, ist ganz gleichgültig.

      160. Was die Franzosen tournure nennen, ist eine zur Anmuth gemilderte Anmaßung. Man sieht daraus, daß die Deutschen keine tournure haben können; ihre Anmaßung ist hart und herb, ihre Anmuth mild und demüthig, das eine schließt das andere aus und sind nicht zu verbinden.

      161. Einen Regenbogen, der eine Viertelstunde steht, sieht man nicht mehr an.

      162. Es begegnete und geschieht mir noch, daß ein Werk bildender Kunst mir bei’m ersten Anblick mißfällt, weil ich ihm nicht gewachsen bin; ahnd’ ich aber ein Verdienst daran, so such’ ich ihm beizukommen, und dann fehlt es nicht an den erfreulichsten Entdeckungen: an den Dingen werd’ ich neue Eigenschaften und an mir neue Fähigkeiten gewahr.

      163. Der Glaube ist ein häuslich heimlich Capital, wie es öffentliche Spar- und Hülfscassen gibt, woraus man in [26]Tagen der Noth einzelnen ihr Bedürfniß reicht; hier nimmt der Gläubige sich seine Zinsen im Stillen selbst.

      164. Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht es sich mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zu befriedigen scheint, hegt und pflegt doch immer gewisse höhere Forderungen im Stillen fort und sieht sich nach Mitteln um, sie zu befriedigen.

      165. Der eigentliche Obscurantismus ist nicht, daß man die Ausbreitung des Wahren, Klaren, Nützlichen hindert, sondern daß man das Falsche in Curs bringt.

      [27]Aus Kunst und Alterthum.

      Vierten Bandes zweites Heft.

      1823.

      (Eigenes und Angeeignetes.)

      166. Der Irrthum ist viel leichter zu erkennen, als die Wahrheit zu finden; jener liegt auf der Oberfläche, damit läßt sich wohl fertig werden; diese ruht in der Tiefe, danach zu forschen ist nicht jedermanns Sache.

      167. Wir alle leben vom Vergangnen und gehen am Vergangenen zu Grunde.

      168. Wie wir was Großes lernen sollen, flüchten wir uns gleich in unsre angeborne Armseligkeit und haben doch immer etwas gelernt.

      169. Den Deutschen ist nichts daran gelegen, zusammen zu bleiben, aber doch, für sich zu bleiben. Jeder, sei er auch, welcher er wolle, hat so ein eignes Fürsich, das er sich nicht gern möchte nehmen lassen.

      170. Die empirisch-sittliche Welt besteht größtentheils nur aus bösem Willen und Neid.

      171. Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deßwegen schadet’s dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein.

      172. Mit dem Vertrauen ist es eine wunderliche Sache. Hört man nur Einen: der kann sich irren oder sich betrügen; hört man viele: die sind in demselbigen Falle, und gewöhnlich findet man da die Wahrheit gar nicht heraus.

      173. Unreine Lebensverhältnisse soll man niemand wünschen; sie sind aber für den, der zufällig hineingeräth, [28]Prüfsteine des Charakters und des Entschiedensten, was der Mensch vermag.

      174. Ein beschränkter, ehrlicher Mensch sieht oft die Schelmerei der feinsten Mächler (faiseurs) durch und durch.

      175. Wer keine Liebe fühlt, muß schmeicheln lernen, sonst kommt er nicht aus.

      176. Gegen die Kritik kann man sich weder schützen noch wehren; man muß ihr zum Trutz handeln, und das läßt sie sich nach und nach gefallen.

      177. Die Menge kann tüchtige Menschen nicht entbehren, und die Tüchtigen sind ihnen jederzeit zur Last.

      178. Wer meine Fehler überträgt, ist mein Herr, und wenn’s mein Diener wäre.

      179. Memoiren von oben herunter oder von unten hinauf: sie müssen sich immer begegnen.

      180. Wenn man von den Leuten Pflichten fordert und ihnen keine Rechte zugestehen will, muß man sie gut bezahlen.

      181. Das sogenannte Romantische einer Gegend ist ein stilles Gefühl des Erhabenen unter der Form der Vergangenheit oder, was gleich lautet, der Einsamkeit, Abwesenheit, Abgeschiedenheit.

      182. Der herrliche Kirchengesang: Veni Creator Spiritus ist ganz eigentlich ein Appell an’s Genie; deßwegen er auch geist- und kraftreiche Menschen gewaltig anspricht.

      183. Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.

      184. Aufrichtig zu sein, kann ich versprechen, unparteiisch zu sein, aber nicht.

      185. Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe [29]nie gesehen, daß tüchtige Menschen wären undankbar gewesen.

      186. Wir alle sind so bornirt, daß wir immer glauben, Recht zu haben; und so läßt sich ein außerordentlicher Geist denken, der nicht allein irrt, sondern sogar Lust am Irrthum hat.

      187. Reine mittlere Wirkung zur Vollendung des Guten und Rechten ist sehr selten; gewöhnlich sehen wir Pedanterie, welche zu retardiren, Frechheit, die zu übereilen strebt.

      188. Wort und Bild sind Correlate, die sich immerfort suchen, wie wir an Tropen und Gleichnissen genugsam gewahr werden. So von je her, was dem Ohr nach innen gesagt oder


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