Die Melodie der Ruhe. Daniel WilkЧитать онлайн книгу.
der Gefühle auf unseren Körper und auf unser Erleben und Verhalten können beeinflusst werden
Gefühle haben keine physische Erscheinungsform. Freude beispielsweise ist nicht messbar, sondern immer individuell und situativ verschieden. Aber niemand würde deshalb ihre Existenz infrage stellen. Und doch ist der einzige Beweis dafür, dass es Freude gibt, das eigene Erleben.
Indem wir das eigene Fühlen beobachten, können wir leicht feststellen, dass es mit körperlichen Reaktionen verbunden ist. Diese Aussage klingt für Menschen, die ihre Gefühle ohnehin gut spüren, banal. Aber es gibt sehr viele Menschen, die in ihrem Alltag ihren Gefühlen keinen Wert beimessen – und sie oft sogar dann nicht bewusst wahrnehmen, wenn sie schon sehr intensiv sind.
Eine starke Angst wird immer eine höhere Herzfrequenz hervorrufen und viele weitere körperliche Reaktionen. Freude wird sich ebenfalls im Körper abbilden – aber mit angenehmen Auswirkungen.
Die Verbindung von Gefühl und Körper ist also eindeutig und kann von jedem nachvollzogen werden. Allerdings braucht es ein gewisses Maß an Sensibilität für sich selbst, um auch bei weniger intensiven Gefühlen körperliche Reaktionen zu erleben. Wie aber etwas, das physisch keine Existenz hat, physische Reaktionen auslösen kann, ist nicht bekannt.
Die Intensität der Gefühle und ihre körperlichen Reaktionen beeinflussen einander wechselseitig: Über den eigenen Ärger ärgert man sich nicht selten – eben weil die körperlichen Reaktionen schnell unangenehm werden und das Verhalten eher unkontrollierbar. Die Angst verstärkt die Herzfrequenz, die oft wiederum die Angst verstärkt.
Indem der Körper entspannt wird, werden Gefühle in ihm weniger »wirksam«. Wird die Entspannung häufig mit einer gewissen Tiefe erreicht, stellen sich Gefühle ein, die vielleicht ein grundsätzliches, dem Menschen innewohnendes Empfinden sind: tiefe Zufriedenheit mit dem eigenen Sein, milde Freude, Glück und umfassende Liebe. Als wäre der Mensch mit allem verbunden, als würde er von allem geliebt und genährt werden und Gleiches auch für alles ihn Umgebende empfinden. Vielleicht ist das die Liebe, die als Gott innewohnend oder als Gott selbst bezeichnet wird?
Indem wir still werden, verlieren wir das ehrgeizige Streben nach Materiellem, nach Erfolg, nach Anerkennung. Wir genügen uns selbst.
Entspannung an sich reduziert die Intensität der körperlichen Antwort auf Gefühle und unterbindet somit die aus den Körpersensationen folgenden Gefühle, das »Aufschaukeln«. Ein Mensch, der seinen eigenen unbewussten Rhythmus findet und ihm folgt, wird aus sich selbst heraus zufrieden und mag sich selbst.
Hinwendung zum Körper als Perspektivenwechsel
Im Alltag sind wir unserem Körper wenig nahe. Wir benutzen ihn und spüren – mehr oder weniger feinfühlig – Störungen in seinem Funktionieren. Wir verfolgen Ziele, die unsere soziale, berufliche und finanzielle Existenz betreffen. Die Benutzung des Körpers zur Erreichung dieser Ziele erfolgt unter der Annahme, dass er leistungsfähig ist und uns selbstverständlich als Werkzeug zur Verfügung steht. Er wird den angestrebten Zielen untergeordnet. Erst wenn seine Leistungsfähigkeit so ernsthaft eingeschränkt ist, dass wir nicht nur registrieren, dass wir es zu weit getrieben haben, sondern sogar die angestrebten Ziele infrage stellen, beginnen wir, unseren Umgang mit dem Körper zu hinterfragen.
Indem man eine bessere Beziehung zum Körper aufbaut und versteht, dass er es ist, der uns in der Welt repräsentiert, und dass es ohne ihn gar keine Ziele geben wird, eröffnet man sich den Zugang zu ihm, der es ermöglicht, ihn zu schützen und durch ihn umfassend in der physischen Welt zu sein. Die Hinwendung zum Körper verfeinert die Wahrnehmung und führt nach einiger Zeit zu differenzierteren und auch neuen Sichtweisen, die unsere Welt durch unsere erweiterte Wahrnehmung bereichern.
Die Wahrnehmung des Körpers an sich kann uns schließlich zu Lebenszielen führen, durch die wir mehr Zufriedenheit im körperlichen und seelischen Bereich erlangen, weil der Ausgangspunkt – die eigene Wahrnehmungs- und Leistungsfähigkeit – die Ziele realistischer bestimmen hilft. Die Sicht der Welt wird verankert im Sein des Körpers. Alles Betrachten und Wollen hat seinen Ausgangs- und Endpunkt im Körper.
Das, was wir von der Welt bewusst wahrnehmen, stellt sich uns gern als die ausschließliche Wirklichkeit dar. Tatsächlich wird es aber stark von unseren bisherigen Erfahrungen und den dazugehörigen Gefühlen beeinflusst, die mit dem Wahrgenommenen und den vergangenen Erlebnissen verbunden sind. Das ist leicht ersichtlich aus der selektiven Wahrnehmung: Wenn man sich für den Kauf eines bestimmten Autos entschlossen hat, gibt es plötzlich viel mehr von dieser Sorte auf den Straßen – jedenfalls für die bewusste Wahrnehmung. Wer in der Vergangenheit beängstigende Erfahrungen mit Hunden gemacht hat, wird in der Nähe von Hunden leichter Angst haben, als wenn ihm die unangenehmen Erfahrungen erspart geblieben wären. Lernt man nun einen Hund als lieben Hund kennen, ändert sich das eigene Erleben wiederum entsprechend.
Wenn man diesen Gedanken tiefer verfolgt, wird ersichtlich, dass das Bewusstsein zwar die Bühne der subjektiven Welt ist, was sich dort abspielt, wird aber immer auch aus dem Verborgenen, dem Unbewussten mitbestimmt. Hinter der Bühne gibt es bekannte und unbekannte Bereiche. Unbekannt ist auf jeden Fall die Zahl der Zimmer und der Schauspieler, auch wenn einzelne bekannt sind.
Unser Erleben und Handeln wird also nicht nur durch unseren Verstand bestimmt, sondern in unterschiedlichem Ausmaß auch durch unbewusste Erfahrungen und Bedürfnisse.
In tiefen Entspannungen kann auf diese unbewussten Inhalte Einfluss genommen werden. Ein entspanntes Bewusstsein verengt sich zunächst, erweitert sich als Folge häufiger Entspannungen jedoch aus sich selbst heraus. Es öffnet sich für zuvor unbewusste Inhalte und setzt sie neu in Bezug zueinander. Das wird gelingen, weil in der tiefen Entspannung zuvor unverarbeitete Erlebnisse ganz natürlich integriert werden. Sie werden durch unbewusste Mechanismen in ein gutes Verhältnis zueinander gebracht. In der Folge werden sie auch konstruktiv genutzt – zumindest in dem Sinne, dass sie vor ähnlichen unangenehmen Erlebnissen schützen.
Als Beispiel kann man sich vorstellen, dass ein Nichtschwimmer, der im Strandbereich des Meeres fast ertrunken wäre, weil er sich zu weit hinausgewagt hat, diese Erfahrung zunächst verdrängt. Wird diese Erfahrung nicht verarbeitet, meidet er zunächst die Erinnerung daran, die ihn jedes Mal aufregt. Das Meer wird er auch nicht mehr betreten wollen. Möglicherweise empfindet er bei jedem Anblick einer größeren Wassermenge starkes Herzklopfen und eine unangenehme Angst, die generalisiert wird. In tiefer Entspannung dagegen mag es ihm möglich sein, in der Vorstellung im Wasser zu schwimmen und die damit verbundenen schönen Gefühle zu genießen. Möglicherweise kommt er zu dem konstruktiven Entschluss, in einem sicheren Rahmen schwimmen zu lernen, um den fantasierten Genuss tatsächlich erleben zu können.
Zuvor verdrängte Gefühle und Erfahrungen werden bewusst zugelassen, sobald sie auf eine gute Weise in uns integriert werden.
Mit unserem bewussten Verstand halten wir unterschiedlich stark an vorgefassten Meinungen über die (Un-)Veränderbarkeit unserer Lebensbedingungen fest. Das hat den Vorteil, dass es uns die (manchmal trügerische) Sicherheit gibt, dass unsere Welt von uns kontrolliert werden kann und sie bis zu einem bestimmt Ausmaß unveränderbar scheint. Allerdings ist das eine Illusion, denn alles verändert sich permanent. Tatsächliche Sicherheit ergibt sich nur aus der Anpassung an die Veränderung, an den »Fluss der Dinge«, wie die fehlende Konstanz gerne genannt wird.
Indem wir annehmen, es gebe eine konstante Wirklichkeit, schaffen wir scheinbare Beständigkeit, die uns beruhigt. Andererseits bleiben uns Lösungen für Probleme leichter verborgen. In der Entspannung spielt der Verstand eine wesentlich geringere Rolle für unser Befinden in der Welt. Dadurch werden die bewussten Einstellungen flexibler. Indem in den Geschichten dieses Buches alternative Perspektiven auf diesem (unbewussten) Boden beispielhaft dargestellt werden, können sich neue Lösungswege eröffnen.
Achtsamkeit oder Bewusstheit als Weg zur Veränderung
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