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Blackout, Bauchweh und kein' Bock. Timo NolleЧитать онлайн книгу.

Blackout, Bauchweh und kein' Bock - Timo Nolle


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Ich vertrete ein positives Bild von Leistung, bei dem es nicht um die perfekte Umsetzung äußerer Leistungsvorgaben geht, sondern um die individuelle Weiterentwicklung. Und auch dies stimmt nur, wenn Weiterentwicklung zugleich als Selbstverwirklichung verstanden wird und die Entwicklungsrichtung von innen kommt.

       1.5Selbstbestimmung als Kompass im Prozess

      •Warum lernen und verändern sich Menschen und nehmen hierfür bestimmte Anstrengungen und Entbehrungen in Kauf?

      •Warum sind bestimmte Ziele motivierend und andere nicht?

      •Warum geht es manchen Menschen gut damit, wenn sie sich zur Erreichung eines bestimmten Ziels anstrengen, und warum können sie daraus sogar zusätzliche Energie ziehen, während andere Menschen bei den gleichen Anstrengungen krank werden, unzufrieden sind und das Lern- und Veränderungsvorhaben vorzeitig abbrechen?

      Diese Fragen lassen sich im Hinblick auf Unterricht, Studium und Ausbildung genauso stellen wie im Hinblick auf Therapie, Beratung und Coaching. Wenn Menschen etwas erreichen oder in ihrem Leben verändern wollen und mit einem bestimmten Verhalten einen bestimmten Zweck verfolgen, wird dies als Motivation bezeichnet.

      Diesen Fragen gehen die beiden Forscher Edward Deci und Richard Ryan seit den 1980er-Jahren in unzähligen empirischen Studien nach (Deci 1980; Deci u. Ryan 1985). Entstanden ist die Selbstbestimmungstheorie (Deci u. Ryan 2000), die m. E. nicht nur eine wichtige und empirisch gut abgesicherte Theorie zur Entstehung und Erhaltung von Motivation und erfolgsorientiertem Verhalten in Lern- und Entwicklungsprozessen darstellt; sie ist auch enorm brauchbar für die praktische Gestaltung von Veränderungsprozessen – sei es in psychotherapeutischen, pädagogischen oder medizinischen Kontexten.

      Aus der Selbstbestimmungstheorie lassen sich unmittelbare Leitlinien und konkrete Handlungen für die Arbeit mit Klienten und Schülern ableiten. Ebenso nützt die Selbstbestimmungstheorie bei der Reflexion und Analyse von ungünstig verlaufenden Lern-, Entwick 98

      lungs-, Heilungs- und Veränderungsprozessen, weil sie Indikatoren bietet, mit denen sich auftretende Schwierigkeiten identifizieren, beschreiben und verändern lassen. Im Zentrum der Theorie von Deci und Ryan steht das Selbst der Person, welches zugleich als Prozess und als Ergebnis einer stetigen Integration und Entwicklung angesehen werden kann. Im Unterschied zu vielen anderen Theorien menschlicher Motivation wird die Motivation für bestimmte Handlungen nicht nur quantitativ in hoch und niedrig unterschieden, die wichtigere Unterscheidung bezieht sich auf das erlebte Maß an Selbstbestimmung vs. Kontrolliertheit und Zwang (wobei Selbstbestimmung nicht gleichbedeutend mit Freiwilligkeit ist).

      Die zentrale Annahme der Selbstbestimmungstheorie ist, dass Menschen aktiv zu psychischem Wachstum und Integration tendieren und dass dies eine naturgegebene Konstante ist, die überall auf der Welt Gültigkeit hat. Integration meint hier einerseits das Streben nach Autonomie (dem Bilden einer inneren Einheit mit Grenzen zu anderen Menschen) und andererseits nach Homonomie (dem Streben, sich mit anderen zu verbinden und enge Beziehungen einzugehen). Deci und Ryan nehmen an, dass eine gesunde Entwicklung nur gelingen kann, wenn beide Strebungen ausgelebt werden können.

      Die Selbstbestimmungstheorie ermöglicht die Identifizierung von Kontextfaktoren, die menschliche Entwicklung fördern und zu psychischer Gesundheit und Wohlbefinden beitragen. Die Qualität eines Lern- und Veränderungsprozesses hängt demnach wesentlich von dem Grad der erlebten Selbstbestimmung ab.

      Für eine gesunde körperliche Entwicklung und den Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit ist die Befriedigung biologischer Grundbedürfnisse eine notwendige Voraussetzung. Ohne die Befriedigung dieser biologischen Bedürfnisse können Menschen nicht wachsen, vorhandene Gesundheit und Fähigkeiten gehen verloren, und sie werden krank.

      Deci und Ryan gehen davon aus, dass es in gleicher Weise psychologische Grundbedürfnisse gibt, die für die Entwicklung und Erhaltung einer gesunden und vitalen Psyche und Persönlichkeit notwendige Voraussetzung sind. Dementsprechend streben Menschen nach der Befriedigung eben dieser Bedürfnisse. Drei Grundbedürfnisse sind hierbei zentral:

      •Autonomie

      •Kompetenz

      •soziale Eingebundenheit und Beziehung.

      Je mehr diese Bedürfnisse befriedigt werden, desto mehr Selbstbestimmung ist vorhanden. Die psychologischen Grundbedürfnisse können auch als Merkmale einer »artgerechten Haltung« für Menschen angesehen werden. Sind sie erfüllt, geht es uns Menschen gut. Dann sind wir kreativ, in Beziehung miteinander, können kommunizieren und haben mehr Zugriff auf unser kognitives, kreatives sowie emotionales Potenzial.

       1.5.1Autonomie-Erleben

      Autonomie-Erleben beschreibt das Erleben von Einfluss bei der Ausführung einer Handlung oder bei Entscheidungen. Der Mensch erlebt sich selbst als Urheber und Sinnstifter seiner Handlungen. Es bedeutet, dass die Handlung und Entscheidung subjektiv einen Sinn hat, dass sie mit den individuellen Werten der Person im Einklang steht. Zudem weist Autonomie-Erleben eine gewisse theoretische Nähe zu dem Konstrukt Kohärenz innerhalb des Salutogenese-Konzepts von Antonovsky (1997) auf. Zwischen der Handlung, dem Handlungsziel und den damit verbundenen Werten wird ein Zusammenhang erkannt, ein Sinn gesehen.

      Zusammengenommen könnte es heißen:

      »Ich entscheide selbst, was passiert, es passt zu meinen Werten, und ich verstehe, aus welchen Gründen es passiert.«

      Autonomie kann auch in einem Kontext erlebt werden, in dem die eigene Freiheit eingeschränkt ist. Beispielsweise können relevante Entscheidungsbefugnisse zeitweise an andere Personen abgetreten werden, wenn man von den guten Absichten und Kompetenzen der anderen Person überzeugt ist (bei der Technik »Verdeckte Aufstellung mit verzögerter Rückmeldung« wird dieser Aspekt genutzt, s. S. 169). Von außen auferlegte Aufgaben wie Hausarbeiten und Prüfungssituationen können als autonome Situationen erlebt werden, wenn innerhalb der Aufgaben ein Gestaltungsspielraum besteht und die Aufgaben in einen Kontext eingebettet sind, der grundsätzlich im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen steht.

      In Lern- und Entwicklungsprozessen sind Sinn-Erleben, Nachvollziehbarkeit und Gestaltungsspielraum im Unterricht zentrale Voraussetzungen für Autonomie-Erleben, weil von einer vollständig freiwilligen Teilnahme am Unterricht nicht die Rede sein kann: Durch die Schulpflicht ist Schülern diese Entscheidung bereits abgenommen. Weil Schüler sich nicht selbst entscheiden, zur Schule zu gehen, trägt die Entscheidung nicht zur Entstehung von Autonomie-Erleben bei. Gerade deshalb muss Unterricht (und auch jede Form von Beratung) die Entstehung von Autonomie-Erleben aktiv unterstützen.

      Das Erleben von Autonomie hat sich für die Qualität von Lern- und Entwicklungsprozessen als besonders relevant erwiesen. Hohes Autonomie-Erleben führt zu besserem Problemlöseverhalten, ermöglicht mehr Kreativität und erweitert das Durchhaltevermögen. Empirisch konnte gezeigt werden, dass bei autonom motiviertem Verhalten psychische Energie nicht aufgebraucht wird und es zu weniger emotionaler Erschöpfung kommt (Deci u. Ryan 2008).

      In der Beratung kann das Autonomie-Erleben z. B. durch eine ausführliche Anliegenklärung unterstützt werden. Paraphrasierend und spiegelnd wird mitgeteilt, welches Verständnis »im Kopf des Therapeuten« entsteht. Der Therapeut lässt den Klienten an seinen Überlegungen, seinen Gedanken und Hypothesen, aber auch an seinem Nichtverstehen und seinen Zweifeln teilhaben. Für den Klienten wird das Handeln vor dem Hintergrund der verstehbaren


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