Europarecht. Bernhard KempenЧитать онлайн книгу.
ein, wo das Differenzierungsmerkmal die Staatsangehörigkeit ist. Sonstige spezielle Diskriminierungsverbote schließen seine Anwendbarkeit nicht aus. Finden also mehrere Ungleichbehandlungen parallel statt und knüpft keine speziellere Regelung an die Staatsangehörigkeit an, so können andere spezifische Verbote neben Art. 18 UAbs. 1 AEUV anwendbar sein. Zu verneinen ist dementsprechend eine unmittelbare Konkurrenz zu den Bestimmungen der → Warenverkehrsfreiheit der Art. 34 und 35 AEUV: Es ist zwar auch für diese Grundfreiheit anerkannt, dass sie neben dem ausdrücklich formulierten Beschränkungsverbot ebenfalls eine gleichheitsrechtliche Dimension enthält. Außerdem lässt sich für jede Ware auch bei weltweit arbeitsteiliger Herstellung ein Ursprung bestimmen, also ein Staat, der gleichsam als Herkunftsort der Ware gilt. Allerdings ist dieser Ursprung abzugrenzen von der (personenbezogenen) Staatsangehörigkeit (vgl. EuGH, Urt. v. 23.10.1986, 355/85, Rn. 9). Nur wenn sich eine Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit als Reflex auch auf den Warenverkehr auswirkt, aber primär personenorientiert ist, kann Art. 18 UAbs. 1 AEUV zur Anwendung kommen (vgl. EuGH, Urt. v. 20.3.1997, C-323/95, Rn. 13 ff.).
D › Diskriminierungsverbot, allgemeines (Jan Martin Hoffmann) › III. Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit
III. Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit
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Der Begriff „Diskriminierung“ wird in den Verträgen nicht definiert, sondern von diesen vorausgesetzt. Der EuGH erkennt dann eine Diskriminierung, wenn unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird (EuGH, Urt. v. 14.2.1995, C-279/93, Rn. 30). Für eine verbotene Ungleichbehandlung im vorstehenden Sinne muss noch die Benachteiligung eines Betroffenen hinzukommen.
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Eine Diskriminierung i.S.d. Art. 18 UAbs. 1 AEUV liegt nur dann vor, wenn sie auf staatliches Verhalten zurückzuführen ist, einem Mitgliedstaat zumindest zugerechnet werden kann (zur Drittwirkung s.u. Rn. 597); natürliche oder technische Gegebenheiten reichen nicht aus (EuGH, Urt. v. 18.3.1980, 52/79, Rn. 21). Erfasst werden weiterhin nur Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit und damit nur solche, die an personenbezogene Merkmale anknüpfen. Angehörige unterschiedlicher Mitgliedstaaten sind im Grundsatz also gleich zu behandeln. Ein Anspruch auf Ungleichbehandlung, wie er sich aus dem deutschen Verfassungsrecht für wesentlich Ungleiches ergeben kann, folgt aus Art. 18 UAbs. 1 AEUV hingegen nicht. Auch hat der EuGH aus der Norm bisher kein Beschränkungsverbot hergeleitet (vgl. EuGH, Urt. v. 14.7.1981, 155/80, Rn. 8).
1. Offene und versteckte Diskriminierungen
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Die Feststellung einer Ungleichbehandlung setzt nicht voraus, dass dem Mitgliedstaat ein zu missbilligendes Motiv nachgewiesen wird. Ebenso wenig muss die Ungleichbehandlung Ziel der in Rede stehenden Regelung sein, weil es alleine auf das Ergebnis ankommt, nicht auf ein Verschulden des Mitgliedstaats o.ä. Aus dem gleichen Grund muss die Regelung auch nicht ausdrücklich an das verbotene Differenzierungskriterium „Staatsangehörigkeit“ anknüpfen. Derartige offene oder formelle Diskriminierungen sind zwar leichter nachzuweisen; das ändert aber nichts daran, dass auch eine versteckte, sich nur materiell auswirkende Diskriminierung vom Verbot des Art. 18 UAbs. 1 AEUV erfasst wird. Letztere Konstellationen zeichnen sich dadurch aus, dass die unterschiedliche Behandlung an anderer Stelle ansetzt, die Wirkung gleichwohl typischerweise zulasten Angehöriger anderer Mitgliedstaaten geht. Als besonders illustrativ gilt das Differenzierungsmerkmal „Wohnsitz im Inland“, bei dessen Nutzung formell alle Unionsbürger gleich behandelt, faktisch aber hauptsächlich die eigenen Staatsangehörigen erfasst werden, die typischerweise den Großteil der Bewohner im Inland ausmachen (EuGH, Urt. v. 29.4.1999, C-224/97, Rn. 14). Ähnliches gilt für bestimmte Sprachanforderungen oder den Ort der Ausbildung.
2. „Inländerdiskriminierungen“
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Denkbar ist auch, dass ein Mitgliedstaat die eigenen Staatsangehörigen schlechter als EU-Ausländer stellt. Dieses Phänomen der sog. umgekehrten Diskriminierung (auch Inländerdiskriminierung) ist nach ständiger Rechtsprechung nicht von Art. 18 UAbs. 1 AEUV erfasst (EuGH, Urt. v. 23.10.1986, 355/85, Rn. 11), es sei denn, es besteht ein Zusammenhang mit dem Unionsrecht, bspw., weil Betroffene zuvor von einer Grundfreiheit Gebrauch gemacht haben.
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„Eigene“ Staatsangehörige können sich gegenüber einem Mitgliedstaat demnach nur auf Art. 18 UAbs. 1 AEUV berufen, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt, wobei der EuGH hinsichtlich dieses Kriteriums keine allzu strengen Anforderungen stellt. Fehlt es aber an diesem, so bleibt nur der Rückgriff auf Freiheits- (z.B. Art. 12 Abs. 1 GG) oder Gleichheitsregelungen des nationalen (Verfassungs-)Rechts (z.B. Art. 3 Abs. 1 GG); das Unionsrecht trifft hierzu dann keine Aussage.
D › Diskriminierungsverbot, allgemeines (Jan Martin Hoffmann) › IV. Anwendungsbereich der Verträge
IV. Anwendungsbereich der Verträge
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Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gilt nur im Anwendungsbereich der Verträge. Rein national geregelte Rechtsmaterien, die gänzlich unabhängig vom Unionsrecht bestehen, unterliegen nicht diesem Gleichbehandlungsgebot. Dass die Mitgliedstaaten i.R. ihrer Zuständigkeit unterschiedliche Regelungen treffen und es daher zu Ungleichbehandlungen kommt, ist als Phänomen jedem Mehrebenensystem mit zwischen den Ebenen aufgeteilter Hoheitsgewalt zu eigen. Daher sind aus diesem Grund entstehende Divergenzen hinzunehmen und ebenfalls nicht von Art. 18 UAbs. 1 AEUV erfasst (EuGH, Urt. v. 12.7.2005, C-403/03, Rn. 45).
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Allerdings ist die Reichweite des Verbots auch nicht auf Regelungen beschränkt, die unmittelbar im EUV und AEUV normiert sind, auch wenn der Tatbestand des Art. 18 UAbs. 1 AEUV sich ausdrücklich nur auf den Anwendungsbereich der Verträge bezieht. Neben dem Primärrecht (das ja bereits mehr → Rechtsquellen als die beiden genannten Verträge umfasst) wird der Anwendungsbereich ebenfalls durch Sekundärrecht eröffnet. Auch in der sog. Agency-Situation, also beim Vollzug des Unionsrechts gleich welcher Stufe, bewegt sich der betreffende Mitgliedstaat im Anwendungsbereich des Art. 18 UAbs. 1 AEUV (vgl. EuGH, Urt. v. 6.10.2009, C-123/08, Rn. 45). Außerdem ist die mitgliedstaatliche Rechtsetzung zur Durchführung von Unionsrecht diskriminierungsfrei zu gestalten. Gleichfalls ist der Anwendungsbereich der Verträge betroffen, wenn ein Zusammenhang mit den Grundfreiheiten – nicht ihre Anwendbarkeit auf den Sachverhalt, denn dann ist Art. 18 UAbs. 1 AEUV subsidiär (s. Rn. 585) – gegeben ist (EuGH, Urt. v. 13.2.1985, 293/83, Rn. 23 f.).
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In der (nicht unumstrittenen) Rechtsprechung des EuGH ist darüber hinaus anerkannt, dass jeder Unionsbürger, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, sich grundsätzlich im Anwendungsbereich der Verträge bewegt. Der Nachweis eines Bezugs zu einer konkreteren Norm des Unionsrechts (wie z.B. Art. 21 Abs. 1 AEUV) ist dann nicht erforderlich, damit Betroffene sich auf das Diskriminierungsverbot berufen können. Hieraus hat der Gerichtshof insbesondere ein Recht auf Teilhabe