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Kinder im Kreuzfeuer - Eia Asen


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Szenarien zu beschreiben, mit denen wir bei der Arbeit mit getrennten Eltern und ihren Kindern konfrontiert wurden.

       Eia Asen & Emma Morris London, im Februar 2021

      Dieses Buch beschreibt die Begutachtung und therapeutische Arbeit mit getrennten Eltern, die sich in schwerwiegende Konflikte und Streitigkeiten verstrickt haben – bevor, während und nachdem die formellen juristischen Verfahren initiiert, durchgeführt und zum Abschluss gebracht wurden. Es ist vor allem für Fachleute gedacht, die mit stark zerstrittenen Eltern im Zusammenhang mit deren Trennung arbeiten – ganz gleich, ob es sich um Psychologen, Psychiater, Kinder- oder Erwachsenenpsychotherapeuten, Familientherapeuten, Sozialarbeiter, gesetzliche Verfahrensbeistände oder juristische Fachleute wie Rechtsanwälte und Mediatoren oder um Studenten und Auszubildende in all diesen unterschiedlichen Bereichen handelt.1 Das Buch sollte auch Eltern interessieren, die im Anschluss an ihre Trennung die ihre Kinder betreffenden Probleme zu lösen versuchen.

      Wir haben das hier beschriebene Arbeitsmodell Family Ties genannt: Im Englischen hat das Wort ties verschiedene Bedeutungen wie »(Ver-)Bindungen«, »Verknüpfungen«, »Belastungen« oder »Fesseln«. Diese verschiedenen Formen von ties beschreiben die vielschichtigen und komplizierten Beziehungsverhältnisse, denen Kinder von hochstrittigen Eltern oft ausgesetzt sind. Der Family-Ties-Ansatz versucht, die Folgen elterlicher Streitigkeiten nach einer Trennung für die noch abhängigen Kinder zu verringern, wenn sie in die chronischen Streitigkeiten ihrer Eltern verwickelt werden. Nicht selten empfinden solche Kinder es als notwendig, für einen Elternteil gegen den anderen Partei zu ergreifen, und nach der physischen Trennung der Eltern wird ihre Beziehung zu dem Elternteil, bei dem sie nicht überwiegend leben, oft negativ beeinflusst. Schwelen zwischen den Eltern weiterhin Konflikte oder eskalieren sie nach der Trennung sogar, können sich die Kinder in extremeren Fällen strikt weigern, noch irgendeine Form von direktem oder indirektem Umgang mit dem anderen Elternteil aufrechtzuerhalten. An solch einem Punkt kommen auf der Suche nach einer Lösung des Konflikts Rechtsanwälte und schließlich oft Gerichte ins Spiel, die bei den entstehenden Sorge- und Umgangsrechtsstreiten Entscheidungen darüber treffen müssen, wo das betroffene Kind leben und wie viel Zeit es mit jedem Elternteil verbringen soll.

      Heutzutage existieren verschiedene therapeutische Ansätze und Modelle, die Kindern von dauerhaft zerstrittenen Eltern helfen sollen, eine hinreichend gute und adäquate Beziehung zu beiden Eltern aufzubauen und aufrechtzuerhalten, damit ihre psychosoziale Entwicklung geschützt und unterstützt wird. Einige dieser Ansätze basieren auf der Annahme, wenn Kinder sich weigerten, mit der Mutter oder dem Vater Umgang zu haben, sei dies vor allem darauf zurückzuführen, dass ein Elternteil das Kind dem anderen Elternteil aktiv »entfremde«. Begriffe wie »elterliches Entfremdungssyndrom«, »Eltern-Kind-Entfremdung« und »elterliches Beschuldigungssyndrom« können irreführend sein, da sie abträgliche Täter-Opfer-Szenarien heraufbeschwören, in denen der »entfremdete Elternteil« und das Kind Opfer des anderen, »manipulierenden« Elternteils sind. Unserer klinischen Erfahrung gemäß, sind die Dynamiken in zerstrittenen Familien erheblich komplexer, und unser Family-Ties-Modell stellt das Kindeswohl in den Mittelpunkt aller Arbeit; statt einem Elternteil die Schuld zuzusprechen, sollen Familiendynamiken verändert werden, die das betroffene Kind aus den in chronischen elterlichen Beziehungskonflikten so häufig entstehenden »Dreiecksverhältnissen« zu »detriangulieren«. Es ist nämlich höchst problematisch für Kinder, durch die widersprüchlichen Forderungen der Eltern eingeengt, dominiert oder buchstäblich »geteilt« und gleichzeitig in zwei verschiedene Richtungen gezerrt zu werden. Familiäre Bindungen können eben sowohl positive als auch negative Aspekte haben: Einerseits helfen sie Kindern, sich gehalten und sicher zu fühlen, und fördern so ihre psychosoziale Entwicklung. Andererseits können familiäre Bindungen im Falle schwerwiegender familiärer Konflikte nach der Trennung der Eltern Kindern das Gefühl vermitteln, an einen Elternteil auf Kosten des anderen »gekettet« zu sein.

      Der Family-Ties-Ansatz fokussiert expliziert auf die Stärkung positiver familiärer Verbindungen und Beziehungen und die Befreiung der Kinder von den Einschränkungen und »Fesseln«, die sich leider so oft in stark zerstrittenen Familien entwickeln. Diese Arbeit vollzieht sich in sieben einander überlappenden Arbeitsphasen (siehe Kasten 1.1).

      1Netzwerktreffen

      2individuelle parallele Arbeit mit beiden Eltern

      3individuelle Arbeit mit Kind(ern)

      4Identifizieren der Triangulationsprozesse und Planung der Interventionsschritte

      5Paararbeit mit den Eltern

      6Arbeit am Umgangskontakt

      7Familienarbeit

      Family Ties integriert Bindungs- und Mentalisierungskonzepte in einen systemischen Rahmen, also in die Familie und die verschiedenen »Systeme«, denen sie angehört, etwa die Großfamilie, den Freundeskreis und die Unterstützer wie auch das umfassendere soziale und kulturelle Umfeld. Entscheidend sind bei alledem die wohlverstandenen Interessen und das Wohl des jeweiligen Kindes sowie die Fähigkeit der Eltern, ihre Aufgaben zu erfüllen und die psychosoziale Funktionsfähigkeit und die entwicklungsspezifischen Bedürfnisse des Kindes zu fördern.

      Kapitel 1 steckt den familiären Kontext ab, in dem sich Kinder und ihre Eltern nach der Trennung bewegen und, wenn es zu keiner Einigung kommt, wo ihre gemeinsamen Kinder leben und wie viel Zeit sie bei jedem von ihnen verbringen sollen. Der konzeptionelle Rahmen und das Modell des Family-Ties-Ansatzes werden in Kapitel 2 erläutert. Die rechtlichen Zusammenhänge und Probleme, die im Falle einer juristischen Auseinandersetzung drohen, werden in Kapitel 3 beschrieben. Die Kapitel 4 bis 6 erörtern recht detailliert die Untersuchung von Eltern, Kindern und Familienbeziehungen, die ein integraler Aspekt für die Planung therapeutischer Interventionen ist. In Kapitel 7 geht es darum, wie man Kindern und ihren Eltern helfen kann, eine »hinreichend gute« (Winnicott 1965) Beziehung zu einem bisher abgelehnten Elternteil wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten. Kapitel 8 gibt Anregungen, wie man die oft sehr belastende Arbeit mit stark zerstrittenen Familien durch reflektierende Praxis erleichtern kann. Kapitel 9 enthält für Eltern, die juristische Streitigkeiten und Gerichtsverhandlungen vermeiden wollen, Empfehlungen bezüglich frühzeitiger therapeutischer Interventionen, die bei diesem Bemühen von Nutzen sein können.

      Ein Hinweis noch zu juristischen Zusammenhängen: Das Buch nimmt auf einige rechtliche Bestimmungen Bezug, die für Großbritannien gelten. Diese Bezugnahmen müssten für andere Länder entsprechend modifiziert werden. Sie sind allerdings weder prinzipiell anderer Natur als in anderen Ländern unseres Kulturkreises, noch betreffen sie in irgendeiner Weise die inhaltliche und therapeutische Substanz dieses Buches. Insofern lag es nahe, sie aufgrund ihrer paradigmatischen Gültigkeit in der vorliegenden Übersetzung unverändert zu übernehmen.

      Zum Abschluss möchten wir nachdrücklich darauf hinweisen, dass man vor raschen Lagebeurteilungen und vor der anschließenden Entwicklung therapeutischer Interventionen bei Elterntrennungen ein wenig Zeit vergehen lassen sollte, damit sich der fast unvermeidliche »Staub« setzen kann: Ein gewisses Chaos am Anfang ist (leider) normal, und wenn eine Familie buchstäblich zerfällt, hilft es nicht, die Handlungen der einzelnen Mitglieder, die einen neuen Modus Vivendi zu finden versuchen, zu pathologisieren.

      1Zurzeit


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