Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
zu bedrückend werden konnte. Anande räusperte sich und machte Anstalten, seinen Patienten wieder zur Krankenstation zu schicken, doch Sentenza trat dem Arzt in den Weg. »Ist es das, was ich glaube, dass es das ist?«
Joel Lemore nickte mit ernstem Blick, worauf Sentenza sich seufzend abwandte und den Bildschirm anstarrte, der die letzten flackernden Blitze explodierender Asteroidentrümmer zeigte, die miteinander kollidierten.
»Könnten Sie uns bitte auch aufklären, Captain?«, fragte Weenderveen.
»Ist Ihnen der Name Gemeinschaft der galaktischen Erlösung ein Begriff?«, fragte der Priester in die Runde.
Weenderveen und Thorpa sahen sich ratlos an. Sonja schüttelte den Kopf. Nur Trooid hob einen Arm, um sich zu Wort zu melden.
»Eine religiöse Gruppe, die im Volksmund unter dem Namen Die Erleuchteten bekannt geworden ist.«
»Von denen hab ich schon mal was gehört«, sagte Darius Weenderveen. »Ist das nicht eine Art Sekte?«
Joel Lemore nickte. Seine Miene hatte sich verfinstert. Anscheinend sprach er nicht gern über das Thema. Er berichtete den Besatzungsmitgliedern der Ikarus das, was er über die Erleuchteten wusste. Und als er endete, begriffen sie, warum die Rettungskapsel explodiert war.
Einige Trümmer lagen noch im Gang herum, doch die Reparaturmannschaft hatte bereits erstklassige Arbeit geleistet und die durch die Detonation aufgerissenen Wände zusammengeflickt. Hier und dort hingen lose Daten- und Energieleitungen von der Decke. Vereinzelt sprühten Funken aus verendeten Terminals oder Relaisschaltungen. Noch immer lag ein grauer Dunst in dem Korridorabschnitt, der von dem Unfall betroffen war, doch die Ausbesserungsarbeiten schritten schneller voran, als man gedacht hatte.
Der Guardian trat rasch beiseite, als er Richterin Dorothea gewahrte, die in den zerstörten Flur trat und sich selbst ein Bild über das Ausmaß der Schäden machen wollte. Ihre orangefarbene, weit geschnittene Robe leuchtete unnatürlich durch die finsteren Rauchschwaden. Mit Ausnahme des Guardians trugen alle Leute der Reparaturmannschaft die grauen Gewänder der Suchenden – sie standen auf der untersten Stufe der Hierarchie der Erlösung.
»Berichte!«, forderte Dorothea den Guardian mit ihrer sanften Stimme auf, während ihre Blicke durch den Korridor schweiften.
Der Mann straffte sich und präsentierte den Elektrospeer gemäß der Etikette des Erlösers. Richterin Dorothea sah ihn an. Zu gern hätte sie ihm in die Augen geblickt, doch die lagen unter dem verdunkelten Visier seines martialisch wirkenden Helmes verborgen.
»Die Reparaturen sollen in den nächsten zwei Stunden abgeschlossen sein, Euer Exzellenz. Die Energiezufuhr zum Tempelraum vier ist jedoch noch immer unterbrochen.«
Dorothea schloss für einige Sekunden die Augen und sandte ein stummes Stoßgebet zum Erlöser. Ihr behagte der Gedanke nicht, bereitete ihr nahezu körperliche Übelkeit, dass eine Handvoll Suchender und der Akolyth Prospero noch immer ohne funktionierende Lebenserhaltung in dem Tempelraum eingeschlossen waren.
Blasphemie, wisperte die Stimme ihres Gewissens. Sie würde sich der Erneuerung stellen müssen, wenn ihre Gedanken weiterhin diese Wege beschritten. Alles, was um sie herum geschah, war der Wille einer höheren Macht, der sie dienten, dessen Bote der Erlöser war.
Sie mussten sich dieser Macht bedingungslos fügen, nur dann würden sie aufgehen in den Reihen der Geläuterten und Erleuchteten.
Die Richterin nickte dem Wächter kurz zu. Sie wandte sich zum Gehen, dabei streifte ihr Blick das Portal zum vierten Tempelraum. Vor ihrem geistigen Auge tauchte das Bild der Suchenden auf, wie sie in Panik gegen die Wände hämmerten, um Hilfe schrien und dabei ihre letzte Atemluft verbrauchten. Dorothea schüttelte die lästerlichen Gedanken ab. Sie verließ den vom Unfall heimgesuchten Korridor und wandte sich in einem weniger frequentierten Gang einem Kommunikationsterminal zu.
Der Bildschirm flimmerte kurz, dann war das Gesicht eines Mannes in ebenfalls orangefarbener Robe zu sehen. Im Gegensatz zu Dorothea trug er jedoch eine schwarze statt einer blauen Schärpe – er war der Superior der Zuflucht.
»Euer Eminenz«, sprach Dorothea ihn förmlich an und gab dann den Kurzbericht über die Reparaturen weiter. Als sie danach zögerte, sich gemäß der Etikette zu verabschieden, deutete der Superior ihr Benehmen richtig.
»Was liegt dir auf dem Herzen, Tochter?«
»Ich muss an die Gebetsrunde im Tempelraum vier denken«, gestand sie schleppend. »Ständig sehe ich ihre Gesichter vor mir und male mir ihre Qualen aus. Ich frage mich, ob …«
»Zweifelst du an den Lehren des Erlösers, Tochter?«, unterbrach Superior Saladin die Richterin.
»Nein«, beeilte sie sich zu sagen, doch es kam eine Spur zu rasch, als dass Saladin ihr Glauben schenken konnte. »Ich … ich dachte nur, dass sie allein sind, jetzt da die Energiezufuhr unterbrochen wurde.«
»Sie sind niemals allein«, warf Saladin ein. »Der Erlöser und die Flamme in ihrem Herzen auf dem beschwerlichen Weg der Erleuchtung werden immer bei ihnen sein.«
»O wenn sie den Erlöser doch nur sehen könnten«, sagte Dorothea. »Seine Milde und Gnade spüren könnten. Es würde sie bestimmt auf den rechten Weg führen und ihnen den Pfad der Erleuchtung zeigen.«
Superior Saladin schwieg eine Weile. Natürlich ergaben die Worte der Richterin Sinn. Die Isolation der Suchenden in Tempelraum vier konnte dazu führen, dass sie von ihrem Glauben abkamen und das Vertrauen in den Erlöser verloren. Er fragte sich, ob es Möglichkeiten gab, in dieser Richtung etwas zu unternehmen.
Schließlich sagte Saladin: »Deine Gedanken werden den Erlöser erreichen, Tochter Dorothea. Nun begib dich ins Cernum und erneuere dich. Deine Aufgabe ist der dreiundzwanzigste Stern des Rashetts. Mögest du Erleuchtung finden.«
Der Superior unterbrach die Verbindung. Sie ahnte, dass die Erneuerung längst fällig war. Einmal mehr aktivierte sie das Terminal und wartete, bis einer ihrer Akolythen sich meldete. Es war Oswin, der ihren Ruf beantwortete. Sein vernarbtes Gesicht füllte den gesamten Schirm aus. Sicher war er einmal ein hübscher Anblick gewesen, doch der Unfall vor zwei Jahren hatte ihn derartig verunstaltet, dass ihn seither keine Frau mehr angeblickt hatte. Mit Ausnahme Dorotheas. Sie dankte dem Erlöser, dass er das Zölibat auf dem Weg der Erleuchtung schon vor Äonen aufgehoben hatte.
»Euer Exzellenz«, begrüßte Oswin seine ihm vorgesetzte klerikale Mentorin.
»Wir halten einen Gottesdienst in Tempelraum sechs ab. In einer Stunde. Bitte bereite alles vor und lade die Suchenden und Adepten der ersten beiden Ebenen ein. Jeder, der momentan dienstfrei hat, soll anwesend sein. Gib auch Dinah Bescheid. Sie soll das Ritual der Erneuerung vorbereiten. Stern dreiundzwanzig.«
Oswin nickte und wartete, bis Dorothea abschaltete. Die Richterin atmete tief durch. Sie ertappte sich dabei, wie ihre Gedanken abermals zu den Eingeschlossenen in Tempelraum vier wanderte. Beinahe schon krampfhaft schüttelte sie sie ab und versuchte, sich auf den einberufenen Gottesdienst zu konzentrieren.
Es duftete nach Holunder. Der Geruch von Kirsche und Flieder lag ebenfalls in der Luft. Unter Saladins Füßen knirschte das Gras. Er war bereits zweimal stehen geblieben und hatte die frische, warme Luft in sich eingesogen. Es war stets eine Wohltat, die unteren Ebenen der Zuflucht zu verlassen und hierher ins Freie zu kommen. Der Sauerstoff ging nicht durch die Wiederaufbereitungsanlagen, sondern wurde direkt durch die verschwenderisch angelegte Flora des Gartens produziert.
Saladin breitete die Arme aus und schloss die Augen. Er spürte den sanften Wind auf seiner Haut, die Wärme des Lichtrings, der Sonnenhelle auch in die letzten Winkel des Gartens der Zuflucht brachte.
Das Paradies, dachte er und schlug die Lider auf. Er blickte nach Norden und vermochte von seinem jetzigen Standpunkt aus nicht einmal das Ende des Gartens zu