Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
Die Suchende mochte gerade noch von seinem Vorhaben überzeugt gewesen sein, doch nun aktivierte Asiano durch seinen bloßen Anblick das Programm der langjährigen Konditionierung, das seine Jünger fest auf ihn einschwor.
»Nova«, raunte Reno ihr zu.
»Still!«, herrschte sie ihn an und war nur noch Feuer und Flamme für das Hologramm Asianos.
Da wusste Reno, dass er sie verloren hatte.
Roderick Sentenza schaute grimmig in Sonjas Richtung. Der Chief hatte nach Priester Lemores Bericht und während des Flugs kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Und in ihrer gemeinsamen Ruheperiode war DiMersi in ihrer eigenen Kabine verschwunden. Sie nahm es ihm mehr als übel, dass er sie nicht über die KI-Modifikationen der Ikarus informiert hatte. Sentenza fragte sich, ob sie auch so reagiert hätte, wären sie nicht zusammen gewesen. Er kam zu dem Schluss, dass ihre Beziehung zueinander die Situation weder verbesserte noch verschlimmerte.
Die Brücke der Ikarus war voll besetzt. Nur Doktor Anande weilte in seinem Reich in der Krankenstation. Man hatte Priester Lemore An’tas Quartier zugewiesen. Er schien halbwegs genesen und bedurfte keiner direkten medizinischen Betreuung mehr. Seinen Schüler Yannick Kersseboom und den geborgenen Gundolf Johannsson behielt Anande noch in seiner Obhut.
Sentenzas Blick löste sich von Sonja. Sie sah ohnehin nicht zu ihm auf, sondern schien in ihre Instrumente vertieft zu sein. Der Hauptschirm verriet ihm, dass sie nur noch wenige Minuten von ihrem Ziel entfernt waren. Das Asteroidenfeld lag in unmittelbarer Nähe eines unabhängigen Systems, dessen Sonne in den Sternkarten als Albira verzeichnet war. Die Fluchtkapsel war demnach nicht sehr weit gekommen, wie auch aus dem Bericht Johannssons zu schließen war.
Schenkte Sentenza aber auch nur der Hälfte von Lemores Schilderungen Glauben, dann war es nicht verwunderlich, dass die Ikarus noch immer keinen Notruf empfing. Die Erleuchteten wollten keine Hilfe von außen. Eher würden sie sich mit Glanz und Gloria selbst in die Luft jagen und ihre Seelen erlösen.
Widerliche Vorstellung, dachte Roderick Sentenza.
»Nähern uns Albira II«, verkündete Trooid. »Unsere Ortungsgeräte erfassen einen Körper in einem großräumigen Orbit von fast 800 000 Kilometern.«
Wenn man da noch von Orbit sprechen kann, sinnierte Sentenza. Dann wandte er sich an Weenderveen. »Darius, senden Sie eine Botschaft an die Regierung von Albira II. Wir sind in Rettungsmission hier und …«
»Wir werden bereits gerufen«, unterbrach Weenderveen und stellte die Verbindung ohne Aufforderung her.
Der Hauptschirm flimmerte kurz, dann war das Gesicht einer Frau im gesetzten Alter zu erkennen. Sie mochte sechzig oder älter sein. Ihre Haut war von Falten übersät, die Augen lagen tief in ihren Höhlen.
»Ich bin Roderick Sentenza, Captain der Corpsambulanz Ikarus«, stellte Sentenza sich vor.
»Sie haben keine Erlaubnis, sich in unserem Sonnensystem aufzuhalten«, fiel ihm die Alte barsch ins Wort. »Kehren Sie sofort um!«
Sentenza lag eine grobe Erwiderung auf der Zunge, die er nur mit Mühe hinunterschlucken konnte. »Mit Verlaub, wir sind auf einer Rettungsmission. Ein Schiff ist in der Nähe Ihres Planeten havariert …«
»Erledigen Sie Ihre Arbeit, Sie haben zwei Stunden.«
»Ich …« Was immer Sentenza noch sagen wollte, er kam nicht mehr dazu. Die Verbindung war einfach unterbrochen worden.
»Denen hat noch niemand Manieren beigebracht«, stellte Thorpa nüchtern fest.
»Das sehe ich auch so«, stimmte Sentenza zu. »Andere Welten, andere Sitten. Weenderveen, geben Sie mir eine Verbindung zur Zuflucht.«
Das Bild des Schirms wurde umgeschaltet und zeigte nun nicht mehr den Planeten, sondern das Objekt, das ihn in großer Entfernung umkreiste. Als die Crew es sah, hielt sie den Atem an – ausnahmslos!
Priester Lemore hatte ihnen zwar gesagt, dass der Führer der Gemeinschaft der galaktischen Erlösung in seinem Missionsschiff unterwegs war, doch das Abbild des Raumers übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Der Schiffsrumpf bestand aus drei ringförmigen Wülsten, von denen die unterste den größten Raum einnahm. Die obere Wulst schloss mit einer gewaltigen, transparenten Kuppel ab, unter der sich eine Biosphäre verbarg.
»Durchmesser des unteren Ringes liegt bei vierhundert Metern«, las Trooid die Messungen der Sensoren laut vor. »Mittlerer Ring dreihundert und der obere zweihundert Meter. Höhe der Kuppel ebenfalls zweihundert Meter.«
»Interessante Konstruktion«, ließ Sonja vernehmen. »Trooid, kriegen Sie ein besseres Bild vom Inneren der Kuppel?«
»Zu dichte Wolkenformationen … hm, die scheinen aber kurz vor unserer Ankunft noch nicht da gewesen zu sein. Ich orte einen starken Energieanstieg im Bereich der Sphäre.«
»Sie verdunkeln«, meinte Sentenza. »Weenderveen, was macht meine Verbindung?«
»Sie antworten nicht auf unsere Rufe.«
Sentenza seufzte.
Nach der Erkenntnis, dass die Erleuchteten bereit waren, ihre Rettungskapseln zu zerstören, damit etwaige Flüchtlinge die Erlösung in einem strahlenden Tod fanden, hatte er auch nicht gerade Kooperationsbereitschaft erwartet.
»Anscheinend haben sie keine Probleme«, mutmaßte Thorpa.
»Quatsch!«, blaffte Sonja. »Sie haben doch gesehen, was mit der Rettungskapsel geschehen ist. Die krepieren lieber, als dass sie sich helfen lassen und eigene Schwäche eingestehen.«
»Dann können wir genauso gut umkehren«, schlug Darius Weenderveen vor.
Ehe ihn Sentenza für die Äußerung schelten konnte, mischte sich Priester Lemore ein, der plötzlich neben dem Kommandosessel des Captains stand.
»Die Schicksalsgläubigen ihrem Schicksal überlassen? Da haben Sie vielleicht sogar recht.«
»Wird das zur schlechten Angewohnheit, dass Sie ohne Aufforderung meine Brücke betreten«, schnappte Sentenza.
»Entschuldigung, Captain, aber ich habe bereits befürchtet, dass Sie auf den Gedanken kommen könnten, wieder von hier zu verschwinden, ohne etwas zu unternehmen.«
Sentenza sprang auf. Allein durch die ungestüme Geste zuckte Lemore zusammen und trat hastig zwei Schritte zurück, eckte dabei an einer Konsole an und zuckte abermals zusammen.
»Niemand hat hier irgendetwas entschieden, Priester«, sagte Sentenza mit ruhiger Stimme. »Wir sind hier, um Leben zu retten, auch wenn man vielleicht unsere Hilfe nicht will. Schreiben auch Sie sich das hinter die Ohren, Weenderveen. Wir müssen davon ausgehen, dass die meisten Angehörigen dieser … Sekte willentlich von ihrem sogenannten Erlöser beeinflusst werden. Sie wissen es nicht besser und gefährden dadurch ihre Existenz. Oder wie sieht die Amtskirche dies, Priester?«
Lemore räusperte sich. »Hm, Sie haben es schon ganz treffend ausgedrückt, Captain. Auch wenn wir in vielen Schriften die Grundthese der Erleuchteten wiederfinden, dass wir nach unserem Tode Frieden und Erlösung finden können, so verbietet uns der Glaube aber die Beendigung des eigenen Lebens, um diesen Zustand vorzeitig und in voller eigennütziger Absicht zu erreichen.«
Sentenza nickte, schickte den Priester wieder zurück in An’tas Quartier und schwang dann herum. »Weenderveen, senden Sie denen eine Nachricht, dass wir jetzt andocken – entweder mit oder ohne deren Erlaubnis. Trooid, Kurs auf eine Docknaht nehmen!«
»Aye, Sir!«
Die Ikarus beschleunigte. Schlagartig wuchs das Bild des anderen Schiffes auf dem Schirm an. Trooid verringerte den Vergrößerungsfaktor der Darstellung, worauf die Zuflucht nunmehr nur noch die Größe eines Punktes besaß.
»Irgendwelche Reaktionen?«, fragte Sentenza.
»Sie