Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
legten. Sonja steckte den Laser weg, da keine unmittelbare Gefahr drohte.
Der Fremde lag wie schlafend da, doch sein recht junges Gesicht war zu einer hässlichen Grimasse verzerrt, als wäre ihm vor seiner Bewusstlosigkeit etwas Schreckliches zugestoßen. Er trug eine weite, graue Robe, die ihm bis zu den Knien reichte, dazu gleichfarbige Stoffhosen und leichte Halbstiefel. Seine Haut war bleich wie bei jemandem, der schon lange kein Sonnenlicht mehr gesehen hatte. Der Schädel des Mannes war kahl rasiert.
»Was fehlt ihm?«, fragte Sentenza, als Anande mit dem medizinischen Scanner die Vitalfunktionen des Bewusstlosen untersuchte.
»Sauerstoffmangel und traumatische Zustände«, sagte der Doktor. »Die Lebenserhaltung in der Kapsel konnte die Luft nicht mehr regenerieren. Offenbar ist das Fluchtfahrzeug nur für ein paar Stunden Flug ausgelegt – und diese Zeit ist überschritten worden.«
»Grundgütiges Raumcorps!«, fluchte Sonja. »Wer konstruiert solche Rettungskapseln? Die müssen doch damit rechnen, dass man manchmal Tage oder sogar Wochen im freien Raum treibt, ehe man gerettet werden kann.«
»Wenn überhaupt«, gab Sentenza zu denken. »Eine Rettungskapsel zu finden, gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aufgrund ihrer Größe verfügen sie oft nicht über leistungsstarke Sender, um Rettungsschiffe über Lichtjahre hinweg zu erreichen. Mich wundert, dass diese Kapsel mit einem Hypersender ausgestattet ist.«
»Umso erstaunlicher ist, dass man den Flüchtigen nur eine kurze Lebensspanne einräumt«, fügte Thorpa hinzu und raschelte erregt mit seinen armartigen Astgeflechten. »Jetzt bin auch ich gespannt, wie das Mutterschiff aussieht.«
Anande hantierte mit der Fernsteuerung der Schwebeliege und ließ diese anfahren. Bei dem leichten Ruck bewegte sich der Bewusstlose plötzlich. Er wurde nicht wach, schlug aber um sich und murmelte kaum verständliche Worte, während Speichel aus seinen Mundwinkeln troff.
Sentenza bedeutete Anande, die Trage anzuhalten. Dann beugte er sich dicht über die Lippen des Patienten und versuchte, etwas von dem traumatischen Gebrabbel zu verstehen.
Doch der Fremde stieß nur noch ein einziges Wort aus, ehe er erneut in die Bewusstlosigkeit abdriftete. Dieses aber war auch für die anderen deutlich genug zu verstehen.
»Zuflucht«, sagte er und sank kraftlos in sich zusammen.
Die Luft war stickig geworden, schmeckte verbraucht. Gleichzeitig war die Temperatur im Tempelraum um einige Grad angestiegen. Beides sichere Anzeichen dafür, dass die Lebenserhaltung in dem Bereich versagte. Die Wärme zeigte Nova jedoch auch, dass nur in ihrem Bereich die technischen Einrichtungen versagten. Wären die Hauptmaschinen ausgefallen, hätte die Temperatur langsam, aber sicher abfallen müssen.
Nova beugte sich über den immer noch ohnmächtigen Akolythen. Er hatte sich beim Sturz den Kopf an einer Kante des Schreins aufgeschlagen und blutete heftig aus einer unschönen Wunde. Die Suchenden hatten sich kleine Stoffbahnen aus ihren grauen Gewändern gerissen und diese als Ersatzverband um Prosperos Stirn gebunden. Nova glaubte nicht, dass sie die Blutung damit gestoppt hatten, denn teilweise schimmerte es schon rot durch den Stoff hindurch. Der Akolyth musste schnellstmöglich zur Medostation gebracht werden. Vermutlich hatte er auch eine starke Gehirnerschütterung.
»Er wird schon wieder.«
Nova wandte den Blick und sah direkt in die Augen des Mannes, der sich als Erster den Anordnungen Prosperos widersetzt hatte und zur Tür gestürmt war. Jener Mann, den Nova heute das erste Mal in ihrer Gebetsgruppe gesehen hatte und dessen Namen sie nicht kannte.
»Sagst du das, um dich selbst zu beruhigen?«, fragte sie und gebrauchte die in der Gemeinde übliche Vertraulichkeit zwischen den Jüngern.
Der Mann zog die Brauen hoch. »So schlimm sieht es nicht aus. Nur eine Platzwunde.«
»Es ist mehr als eine Platzwunde«, widersprach Nova und fügte mit schärferem Ton als gewollt hinzu: »Das weißt du!«
Beunruhigt sah der Mann über seine Schulter zurück. Er entspannte sich sichtlich, als er keinen der anderen Suchenden in der Nähe gewahrte. Einige waren stur auf ihren Gebetsplätzen sitzen geblieben, während der Rest an dem Portal stand und versuchte, das Schott zu öffnen. Ohne Energie ein hoffnungsloses Unterfangen.
»Ich kann dir nichts vormachen, was?«, sagte der Mann geradeheraus. Im schwachen Schein der Glimmerstäbe, die über eine autonome Energieversorgung verfügten, wirkte sein Gesicht wie in Stein gemeißelt. Wie alle Suchenden war er barhäuptig. Erst den Adepten war es gestattet, wieder das Haar wachsen zu lassen. In seinen grauen Augen lag ein Ausdruck von Zuversicht. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Nova ihn als attraktiv bezeichnet, doch in ihrer jetzigen Situation war er nur ein Mitleidender.
»Ich wollte nur keine Panik verursachen«, sagte er.
Nova nickte. Das war das, was sie jetzt am wenigsten gebrauchen konnten. Sie mussten warten, bis jemand von außen das Portal gewaltsam öffnete oder die Energie in diesem Sektor der Zuflucht wiederhergestellt werden konnte.
»Mein Name ist übrigens Reno«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.
Nova ergriff sie und nannte ihren Namen. Seine Finger fühlten sich seltsam weich an, als hätte er noch nie in seinem Leben schwere körperliche Arbeit verrichtet. Aber das war kein Wunder. Die Gemeinschaft nahm jeden auf, der bereit war, Hab und Gut aufzugeben und sein Leben in den Dienst des Erlösers zu stellen.
»Ich habe dich vorhin beobachtet«, gestand Reno ihr. »Du hast dir gewiss Gedanken über unsere Situation gemacht. Was, glaubst du, ist geschehen?«
Nova hob die Schultern. Sie sah zu Prospero hinunter, den sie auf die Stufen vor den Schrein gebettet hatte. Er lag da wie tot. Sein Brustkorb bewegte sich kaum, doch er atmete noch.
»Ich weiß nicht. Ein Energieausfall …«
Reno machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein«, unterbrach er sie, und seine Stimme nahm einen leisen, fast verschwörerischen Tonfall an, »da muss mehr passiert sein. Bei einem Energieabfall in einem Sektor wird kein Alarm ausgelöst. Wir wissen aber, dass vorhin noch die Sirenen zu hören waren. Ich denke, wir haben Schaden erlitten und einige Bereiche sind jetzt ohne Energie und können nicht reaktiviert werden.«
»Sicherlich wird man den Schaden bereits reparieren«, mutmaßte Nova und schickte sich an, den provisorischen Verband von der Stirn des Akolythen zu wickeln, doch ehe sie die Bewegung vollenden konnte, legte sich Renos Hand auf ihren Arm. Sie zuckte zusammen.
»Das glaube ich nicht. Die Zuflucht ist nicht für große Reparaturen ausgestattet. Und hast du dich nicht gefragt, warum sie noch kein Loch in das Schott geschnitten haben, um uns hier herauszuholen? Die müssen doch oben schon mitbekommen haben, dass uns hier langsam, aber sicher die Luft ausgeht. Stattdessen kümmert sich niemand um uns.«
Nova blickte den anderen verständnislos an. Was seine Worte zum Ausdruck bringen wollten, war ungeheuerlich. Für einen Moment rotierten ihre Gedanken um einen nicht fassbaren Punkt, der sich mit rasender Geschwindigkeit von ihr entfernte und sie in einen Abgrund zu reißen drohte. Erst als sie Renos Hände auf ihren Schultern spürte und den eindringlichen Klang seiner sonoren Stimme hörte, fand sie in die Realität zurück. Der Schweiß perlte auf ihrer Stirn und sie merkte, wie heiße Schauer ihren Körper erfassten, die sie von innen heraus scheinbar verbrennen wollten.
»Das … kann nicht sein«, sagte sie lahm, obwohl sie selbst schon darüber nachgedacht hatte, warum ihnen niemand zu Hilfe kam. »Der Erlöser würde nicht zulassen, dass den Suchenden etwas zustößt.«
»Der Erlöser«, erwiderte Reno, »ist fort.« Er deutete auf das erloschene Hologramm.
Nova schluckte. Ihr Blick wanderte hinüber zu den anderen Suchenden. Sie atmete ein paarmal tief durch, doch diesmal halfen ihr die Übungen nicht, sich zu beruhigen. Ihre Gedanken kreisten um die unfassbare Vorstellung, dass Reno mit seiner Behauptung recht behielt und der Erlöser sie tatsächlich verlassen