Geschichte Italiens. Wolfgang AltgeldЧитать онлайн книгу.
Im Gewirr der italienischen Kommunen gelangten drei Städte im Laufe des Spätmittelalters zu überregionaler Bedeutung: Venedig, Mailand und Florenz. Die Entwicklung verlief dabei ähnlich (Erwerb der Herrschaft über Nachbarorte), weist aber auch charakteristische Unterschiede der inneren Macht- und Verfassungsstruktur auf.
[123]Venedig
Venedig bildete ein politisches Kuriosum, da es formal ein Teil des Byzantinischen Reiches blieb und zu den fränkischen und deutschen Königen und Kaisern immer nur in ein vertragliches (sogenannte Kaiserpakta), niemals aber lehns- oder staatsrechtliches Verhältnis trat. Als spätantikes Erbe ist seine Regierung durch einen dux (später »Doge«) und eine eigene Kirchenprovinz mit Miniaturdiözesen anzusehen. Seine wirtschaftliche Basis waren zunächst Salzgewinnung und Fischfang; der Handel mit diesen Ressourcen ermöglichte die Einfuhr von Getreide, das in Venedig nicht angebaut werden konnte. Seine besonderen Beziehungen zu Byzanz machten Venetien zum Lieferanten für östliche Luxuswaren, wie Edelsteine und Seidenstoffe, sowie für Sklaven. Als günstig erwies sich der Umstand, dass die Adriaküste kaum natürliche Häfen aufweist: Nach Comacchio, dessen Handel Venedig systematisch ruinierte, bietet erst wieder Ancona zuverlässige Landemöglichkeiten.
Bis zur Jahrtausendwende war offen, ob der Dogat in einer Familie erblich werden würde; entsprechende Bestrebungen vor allem der Familie Candiano wurden durch die Ermordung Pietros IV. 978 gewaltsam beendet. Die Modalitäten der Dogenwahl, aber auch der allgemeine Staatsaufbau wurden immer komplizierter: Doge, Collegio, Senat, Quaranzia, Großer Rat beschränkten und kontrollierten sich gegenseitig, wobei eine exklusive Gruppe von Familien die Macht zunehmend monopolisierte (serrata des Großen Rates 1314).
Die äußere Politik Venedigs war ganz auf den Schutz des Handels ausgerichtet. Entsprechend zeigte die Stadt auch [124]keine Kreuzzugsbegeisterung (»primo Veneziani, poi cristiani«). Dies galt zunächst auch für den vierten Kreuzzug 1203/04. Dann aber nutzte der damalige Doge Enrico Dandolo die Schwierigkeiten der Kreuzfahrer zu einem Geschäft im Sinne Venedigs und brachte es fertig, den Zug nach Konstantinopel umzuleiten, welches 1204 erobert wurde. Im dort errichteten sogenannten lateinischen Kaiserreich spielte Venedig die tonangebende Rolle und erlangte ein umfangreiches Kolonialgebiet im östlichen Mittelmeer. Dadurch geriet es aber in Konflikt mit den anderen Seehandelsmächten: Drei Kriege mit Genua (1257–69, 1294–99, 1350–55) und der existenzbedrohende Chioggia-Krieg gegen eine europäische Koalition 1378–81 konnten nur mühsam bestanden werden.
Danach wandelte sich der Charakter Venedigs: Die bisher fast ausschließlich auf den Seehandel ausgerichtete Republik begann mit dem Erwerb eines festländischen Hinterlandes (Terra ferma); den Hintergrund bildete auch der zunehmende Verlust des Kolonialgebietes durch die osmanische Expansion.
Mailand
Während des Endkampfes zwischen dem Papsttum und den Staufern bildete Mailand das Zentrum der päpstlichen Partei in Oberitalien. Deshalb hielt sich dort der päpstliche Legat Gregor von Montelongo auf, der auch bestimmenden Einfluss auf die innere und äußere Politik der Stadt nahm, d. h. die Rolle eines Signore spielte. In der Folgezeit rivalisierten die Familien della Torre und Visconti um die [126]Signorie, bis sich 1310 Letztere durchsetzten, auch mit Hilfe König Heinrichs VII., der Matteo Visconti zum Reichsvikar erhob. Matteo war nicht nur Signore von Mailand, sondern erlangte eine vergleichbare Stellung auch in Pavia, Tortona, Alessandria, Vercelli, Bergamo, Como und Novara, sein Sohn in Piacenza. Die Liste zeigt deutlich den Übergang vom »erweiterten« Contado der Stadt Mailand zum Staatsgebilde unter der Herrschaft der Familie Visconti. In der so entstehenden Mittelmacht in Oberitalien sah aber die Kurie eine Bedrohung des Kirchenstaates. Johannes XXII. ging deshalb 1322 mit Ketzerprozess, Absetzung, Exkommunikation, Interdikt und Kreuzzugsaufruf gegen die Visconti vor, jedoch vergeblich. Ebenso gefährdeten Streitigkeiten innerhalb der sehr kinderreichen Familie der Visconti deren Rolle, wobei das Machtgebiet, zu dem Asti, Parma, Bologna und vorübergehend sogar Genua hinzukamen, zeitweise aufgeteilt wurde. Jedoch entmachtete Gian Galeazzo 1385 seine Konkurrenten und wurde alleiniger Herr von Mailand.
1395 verlieh König Wenzel Gian Galeazzo Visconti die erbliche Herzogswürde; damit war der Aufstieg der Familie von der Stellung eines Signore über das Reichsvikariat zum Fürstenstatus abgeschlossen. Unter Gian Galeazzo erreichte der Mailänder Staat seine größte Ausdehnung und reichte östlich bis fast vor die Tore Venedigs, kollidierte also mit dessen Expansion auf die Terra ferma. Deshalb sah sich nach seinem Tode 1402 und der Ermordung Giovanni Marias 1412 der 20-jährige Nachfolger Filippo Maria allenthalben in der Defensive und konnte nur mit fragwürdigen Methoden seine Position bis zu seinem kinderlosen Tode am 13. August 1447 auf eingeschränktem Niveau behaupten.
[127]Anspruch auf die Nachfolge erhob der Söldnerführer Francesco Sforza, der mit einer unehelichen Tochter Filippo Maria Viscontis verheiratet war. Zunächst aber riefen die Spitzen der Mailänder Gesellschaft die »Ambrosianische Republik« aus, die – in anachronistischer Weise – die Selbstregierung der Bürger wiedererrichten wollte. Da die Untertanenstädte des Herzogtums in gleicher Weise ihre Selbständigkeit wiedererlangen wollten, drohte der Zerfall des Staates.
Die Visconti
Florenz
Neben den Markgrafen der Toskana, die in Florenz ihren Sitz hatten, und der energischen Reichsverwaltung Barbarossas konnte die Stadt im 12. Jahrhundert kaum eine eigenständige politische Rolle spielen, wenn sich auch die übliche kommunale Selbstverwaltungsstruktur (Konsuln 1138, Podestà 1158 erwähnt) entwickelte und der Erwerb eines Contado gelang. Erst vom Machtvakuum nach dem Tode Heinrichs VI. und dem Desinteresse Friedrichs II., der Florenz nie betrat, vermochte die Stadt zu profitieren. Im Jahr 1216 entstanden der Legende nach die (nachmals in ganz Italien verbreiteten) Parteinamen »Guelfen« und »Ghibellinen« nach einer blutigen Auseinandersetzung zweier feindlicher Familien. Jedoch löste sich ihre Bedeutung schnell vom ursprünglichen Anlass (Anhänger der Welfen oder Staufer); unter Friedrich II. bedeuteten sie Stellungnahme für Papst oder Kaiser, dann für oder gegen Karl von Anjou, schließlich für oder gegen ein politisches Zusammengehen mit Frankreich.
[128]Von